«Wir müssen über Lindsay Mills sprechen»

von Yannic Schmezer 31. Oktober 2017

Das Stück «Edward Snowden steht hinterm Fenster und weckt Birnen ein» erzählt die fiktive Geschichte von Snowdens Freundin Lindsay Mills. Die letzte Aufführung findet heute Abend im Schlachthaus Theater statt.

Immer wieder flimmern kurze Videosequenzen über die vier vertikal hängenden Bildschirme. Zu Beginn des Stücks ist es ein unruhiger Zusammenschnitt von Newssendungen und Sequenzen aus dem Dokumentarfilm «Citizenfour», die knapp über die Enthüllungen von Edward Snowden informieren. Einmal taucht Obama auf und sagt mit besorgter Miene, dass Snowden viel Schaden bei den Geheimdiensten angerichtet habe. Auf der Bühne schwingt sich eine leichtbekleidete Frau um eine Fahnenstange, klettert an ihr hoch und wieder runter, tanzt daran. «Wir müssen über Lindsay Mills sprechen», sagt sie energisch und insistiert, «wir müssen jetzt über Lindsay Mills sprechen!».

Kollateralschaden

Also, sprechen wir über Lindsay Mills: Mills ist die Freundin von Edward Snowden. Sie ist Tänzerin und Akrobatin, eine «Lady of Leisure», also eine Frau der Musse, wie sie sich selbst auf Instagram beschreibt. Davon sieht man im Stück vom Trio Bues/Mezger/Schwabenland aber nicht viel, denn wirklich entspannt oder fähig zu geniessen wirkt Mills jedenfalls nicht – im Gegenteil: Sie ist die verletzte, einsame Freundin, vom Freund für die grössere Sache alleine gelassen, von Medien und Geheimdiensten belästigt, ihre Privatsphäre hat sich quasi über Nacht nach aussen gekehrt. Und eigentlich hätte sie doch nur ein schönes Leben führen wollen, zusammen mit ihrem «Ed» im schicken Zuhause in Hawaii. Schnell wird klar, dass der von Obama zu Beginn angesprochene Kollateralschaden nicht nur die Behörden getroffen hat, sondern mit viel unmittelbarer Wucht auch das Leben von Mills.

Verschlüsselte Fernbeziehung

Das Stück ist eine fiktive Geschichte. Über das Leben von Mills ist zwar einiges bekannt – einen Teil davon hat auch sie selbst durch ihre rege Social-Media-Aktivität preisgegeben – doch wie sich das Beziehungsleben der beiden tatschlich gestaltet, darüber lässt sich nur spekulieren. Und so projizieren die Schauspielenden dann auch die üblichen Probleme einer Fernbeziehung auf die Bühne. Wie funktioniert das zum Beispiel mit dem Sex? Kommt dazu, dass sich mit Ed keine normale Konversation per Videochat führen lässt. «Skype und Tor (Anm. d. Red.: Tor ist eine Verschlüsselungssoftware) vertragen sich nicht so gut», sagt Mills, kurz nachdem der Videochat mit ihrem Freund zum x-ten Mal abgeschmiert ist. Und wenn dann die Verbindung doch einmal funktioniert, ist Ed abwesend, redet durch seine Freundin hindurch und sagt fast apathisch, dass es schön sei, bei ihr zu sein.

Trotz des Fokus’ auf die menschlichen Bedürfnisse von Mills, wird das Kernthema von Snowdens Enthüllungen, nämlich der Verlust der Privatsphäre, nicht überschattet. Stattdessen wird fast schmerzlich ihr zunehmender Verlust aufgezeigt. Regelmässig eingespielte Sequenzen zeigen aus der Perspektive eines autonomen Staubsaugers intime Momente in der Beziehung von Mills und Snowden. Man möchte wegschauen, kann aber nicht, weil es ja doch irgendwie interessant ist. Ein paradoxer Seitenwechsel vollzieht sich schliesslich, als Mills von ihrem Nachbaren Armin erfährt, dass Ed überall im Haus Überwachungskameras installiert hätte, um sie zu beschützen. Und so tut das Stück auch noch den immerwährenden Graben zwischen Privatsphäre und Sicherheit auf. «Wofür hat Ed ist nochmals aufgeopfert?», fragt Mills schliesslich. «Ach ja, für die Privatsphäre!».

Gelungene Inszenierung

«Edward Snowden steht hinterm Fenster und weckt Birnen ein» lohnt sich allemal. Die schauspielerische Umsetzung ist hervorragend, neben der authentisch verzweifelten Mills ist da noch Armin, der sonderliche Programmierer von nebenan, der sich mit seinem immensen Übergewicht träge über die Bühne schleppt, mal lässig mit Popcorn seine Runden ums Publikum dreht oder an der Stange tanzt und so auch für komisch Momente sorgt. Gleichsam löblich ist die musikalische Untermalung bestehend aus elektronischer, aber auch akustischer Livemusik. Nicht selten ertappt man sich auf die linke Seite herüberschielend, wo die Berner Musikerin Christine Hasler auf der Gitarre makellos eine Melodie zupft, die Playback nicht besser hätte klingen können. Das Stück ist eine gelungene Inszenierung des Nebenschauplatzes eines der grossen Ereignisse der Zeitgeschichte.