Gegen Ende der 1990er Jahre hätte alles anders kommen können: In der Ära Hartmut Mehdorn – also zwischen 1995 und 1999 – geht der Vorstand der grossen Heidelberger Druckmaschinen AG einmal in Klausur, um sich über die Frage klar zu werden, wer in der Branche Marktführer sei.
Als Experte mit dabei ist der Entwicklungs-Konstrukteur Boris Fuchs, der in den siebziger Jahren zehn Jahre lang bei der Wifag in Bern gearbeitet hat. In einer E-Mail vom 16. April 2015 schreibt er: Mehdorn habe sich «selbst an den Flipchart gestellt und notierte darauf einzeln die Plus- und Minuspunkte aller Hersteller». Bei der Auswertung habe sich gezeigt, dass die Wifag am besten abgeschnitten habe. Fuchs: «Herr Mehdorn gab unumwunden bekannt, dass er dieses Unternehmen kaufen werde.» Allerdings hat er nicht mit Wifag-Verwaltungsratspräsidentin Ursula Wirz gerechnet. Sie schlägt sein Übernahmeangebot rundweg aus.
Konkurrenzdruck, Preiszerfall, Nachfrageeinbruch
Fuchs kommentiert Ursula Wirz’ Entscheid so: «Man glaubte damals in Bern, trotz des relativ kleinen Familienunternehmens durch das hohe Innovationstempo allein am Markt bestehen zu können.»
So ist die Wifag nach 2004 allein mit der sich schnell verschärfenden strukturellen Krise konfrontiert. Zwar verzeichnet die Firma 2006 und 2007 noch einmal einen Auftragsboom, aber der Konkurrenzdruck ist bereits so gross, dass – um an die Aufträge zu bekommen – keine kostendeckenden Preise mehr in Rechnung gestellt werden können. Die jährlich anfallenden Defizite werden von Ursula Wirz stillschweigend aus dem Familienvermögen gedeckt. Unter dem Titel «Das Fräulein Doktor war zu gütig» kolportiert die NZZ am 29. Oktober 2009, Ursula Wirz habe die Wifag mit insgesamt «mehr als 60 Mio. Fr.» gestützt.[1] Am 3. Mai 2010 schreibt der «Bund» dann unter Berufung auf Insider, «in den letzten 15 Jahren» habe die Wifag operativ gar einen Verlust von «gegen 130 Millionen Franken» erwirtschaftet.
Kaum zwei Monate vor Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise stirbt Ursula Wirz am 27. Juni 2007. Sie vermacht ihr gesamtes Akteienpaket und ihr Wertschriftenvermögen der Ursula Wirz-Stiftung, die damit die Maschinenfabrik Wifag zu 98 Prozent übernimmt.
Nach dem Tod von Ursula Wirz stehen schwierige strategische Entscheide an, für die Ulrich Zimmerli als Verwaltungsratspräsident der Wifag-Polytype Holding AG und Götz Stein als Wifag-CEO und Verwaltungsratspräsident sowie Präsident der Ursula Wirz-Stiftung verantwortlich zeichnen. Man hofft vorerst, den Einbruch der Auftragslage mit einer einmaligen Reduktion des Personalbestands auffangen zu können. Im Frühjahr 2009 wird am Wifag-Standort Bern für das laufende Jahr der Abbau von 90 der rund 650 Arbeitsplätze angekündigt. Für die zuständige Gewerkschaft Unia übernimmt der Berner Sektionsleiter Roland «Duke» Herzog das Wifag-Dossier. Wegen der gravierenden Probleme, der Bedeutung der Wifag als Arbeitgeber und der höchst unklaren Zukunftsaussichten akzeptiert die Unia die angekündigte Massenentlassung und setzt sich für einen guten Sozialplan ein.
Das Ende des Wifag-Standorts Bern
Mitte Oktober 2009 gibt die Wifag jedoch dann bekannt, bis Juli 2010 weitere 300 Stellen streichen zu müssen. Herzog erinnert sich: «Damals wurde für uns deutlich, dass die Existenz der Wifag zur Disposition stand. Das Management diskutierte mit der Strategieberatungsfirma Roland Berger verschiedene Szenarien. Als Ergebnis wurde beschlossen, eine Partnerschaft zu suchen.» Die Wifag allein weiterzuführen, sei zu diesem Zeitpunkt illusorisch geworden, weil die Nachfrage nach Druckmaschinen im Weltmassstab dramatisch eingebrochen sei.
Das Wifag-Management führt Verhandlungen mit verschiedenen Interessenten. Am weitesten gedeihen sie mit der deutschen manroland AG, scheitern aber im April 2010 ergebnislos. Anderthalb Jahre später stellt manroland in Augsburg selber den Antrag für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Herzog erzählt: «Weil bei der Wifag beträchtliche Geldreserven vorhanden waren, bei den Beschäftigten nach der Ankündigung der neuen Masseentlassung die Kampfbereitschaft stieg und die Wifag-Verantwortlichen unbedingt eine Eskalation des Konflikts verhindern wollten, wurde es möglich, einen sehr teuren Sozialplan durchzusetzen.» Als Eckpunkte nennt er: keine Entlassungen für Mitarbeitende über 56, Übergangsrenten ab 58, Frühpensionierungen ab 60, dazu Abfindungen gemäss Alter und Dienstjahren und flankierende Massnahmen im Bereich der zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeiten für die Gekündigten.
Dann findet sich immerhin noch ein Käufer für das Fabrikgebäude und einige Maschinen: Die Mali International AG von Markus Liebherr will ab Sommer 2010 in den Produktionshallen Getriebe für Traktoren und Geländemaschinen herstellen. Zudem übernimmt Mali 50 Angestellte und 72 Lehrlinge. Die Wifag ist zu diesem Zeitpunkt froh, dank Mali und der Polytype AG in Fribourg rund 150 Stellen des ehemaligen Wifag-Personalbestands retten zu können. Doch der Deal mit Liebherr steht unter einem schlechten Stern. Kurz nachdem die Verträge unterschrieben sind, stirbt Liebherr im August 2010. Seine Tochter will danach die Aufbauarbeiten für die Getriebe-Produktion nicht weiterführen und stellt sie auf Ende 2011 definitiv ein.
Nach der Bekanntgabe des Schliessungsentscheids hat die «Berner Zeitung» am 7. Oktober 2011 kommentiert: «Die Rettung eines Teils der Wifag-Arbeitsplätze in Bern ist damit gescheitert. Vom Erbe des traditionsreichen Druckmaschinenherstellers bleibt im Wylerfeld nichts übrig.» Seither wird das Fabrikareal von Kleinbetrieben und Künstlergemeinschaften zwischengenutzt.