1941 steht die Wifag vor der Liquidation. Nun greift Otto Wirz ein. Er ist Notar und ein Mann, der sich als Firmensanierer bereits einen Namen gemacht hat: Ab 1931 hat er als Sachwalter die kriselnde Schokladefabrik Tobler Holding Co. wieder auf Kurs gebracht; Ende 1937 sitzt er in jenem Verwaltungsrat, der die Spar- und Leihkasse Bern erfolgreich saniert. Und jetzt, ab Sommer 1941, übernimmt er die Wifag: Er stellt ein Konsortium auf die Beine, kauft der Spar- und Leihkasse Bern zusammen mit Karl Bretscher die Wifag-Aktien ab und lässt sich am 27. Juni 1941 an einer ausserordentlichen Generalversammlung dieses Konsortiums zum Verwaltungsratspräsidenten wählen.
Rasche Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg
Um den weitgehend zusammengebrochenen Export von Druckmaschinen zu kompensieren, forciert Wirz die Produktion von Werkzeugmaschinen. Dank Kunden wie den Eidgenössischen Konstruktionswerkstätten und der Munitionsfabrik Thun oder der Waffenfabrik Bern kann in diesem Bereich exportunabhängig produziert werden. Die Strategie hat Erfolg: Zwischen 1940 und 1943 verdoppelt sich der Wifag-Umsatz von zwei auf vier Millionen Franken. Das Geld wird investiert in die Schuldensanierung, in die Erneuerung des überalterten Maschinenparks und in die Weiterentwicklung einer Rotationsdruckmaschine, mit der man hofft, die Nachkriegszeit mit einem Entwicklungsvorsprung in Angriff nehmen zu können.
Das Kriegsende 1945 bringt tatsächlich rasch eine verbesserte Auftragslage. Die Werkzeugmaschinenproduktion verliert jetzt an Bedeutung, dafür gibt es auf dem in- und vor allem dem ausländischen Markt eine grosse Nachfrage nach Rollenoffset-Druckmaschinen. 1946 trifft bei der Wifag das erste «Fremdarbeiter»-Kontingent von dreissig italienischen Facharbeitern ein. Der einsetzende Aufschwung kommt auch den Angestellten zugute: Nachdem bereits 1943 ein Fonds für die Alterversorgung geschaffen worden ist, wird auf Ende 1951 eine von der Firma und von den Arbeitnehmern getragene Pensionskasse eingeführt. Als Karl Bretscher 1953 aus der Firma ausscheidet, kauft ihm Wirz seinen Aktenanteil ab. Seither ist die Wifag ein Familienunternehmen.
Die Jahrzehnte der Hochkonjunktur, die nun folgen, sind die besten in den Firmengeschichte. Der Personalbestand, der Anfang der vierziger Jahre bei 270 gelegen hat, steigt bis 1957 auf 751, bis 1968 auf 894, 2008 wird die dannzumalige Wifag-Polytype-Gruppe (vor allem in Bern und Fribourg) insgesamt 1500 Arbeitsplätze anbieten. Der Umsatz liegt 1961 bei 60 und übersteigt 1979 erstmal die 100 Millionen-Grenze (2008: rund 500 Millionen).
Zu seinem 75. Geburtstag erhält Otto Wirz 1965 eine Festschrift, in der er als Patron der sozialen Marktwirtschaft gewürdigt wird, dem es ein Anliegen sei, «seinen Mitarbeitern in einer freiheitlichen Atmosphäre Verantwortung zu übertragen und ihnen Gelegenheit zur persönlichen Initiative und Gestaltung zu geben». Er habe stets jene Massnahmen ergriffen, «die dem Arbeitsfrieden und der gerechten Honorierung der geleisteten Arbeit, der Altersfürsorge, der Gesundheit und der Ausbildung des Personals dienten».
Ursula Wirz: Das Familienunternehmen über alles
Als Otto Wirz – unterdessen seit fünfunddreissig Jahren Präsident des Wifag-Verwaltungsrats – 1976 stirbt, wird seine Tochter Ursula Wirz zur Nachfolgerin ernannt. Sie hat seit 1957 als Juristin im Betrieb ihre Sporen abverdient. Nun übernimmt sie die strategische Leitung der Wifag-Gruppe, die unterdessen aus sechs Betrieben besteht: Neben der Wifag in Bern und der Maschinenfabrik Polytype AG in Fribourg gehören als kleinere Ableger die WIFAC b.v. in Mijdrecht bei Amsterdam, die Maschinenfabrik Drendt b.v. in Eerbeek (Ostholland), die Wifag GmbH in Stuttgart und die Polytype France S.à.r.L. in Nanterre/Paris dazu. Trotzdem ist die Wifag-Gruppe zu wenig gross, um gegenüber der starken deutschen Konkurrenz je Marktführerin zu werden. Ihre Stärke liegt bei technologischen Innovationen, die für die Branche immer wieder wegweisend sind.
Als der Wifag-CEO Götz Stein anlässlich des Hundertjahrjubiläums der Firma 2004 auf die achtziger und neunziger Jahre zurückblickt, schreibt er: «Wir wollen auch in Zukunft die Meilensteine setzen, an denen sich der Druckmaschinenbau orientiert», und zwar, wie er präzisiert, nun insbesondere im Bereich des «digitalen Zeitungs-Offsetdrucks». Er schliesst: «Wir spielen nicht ‘Hans Dampf in allen Gassen’, trumpfen nicht mit Grösse auf, wir beschränken uns bewusst auf unsere Marktnische, wollen aber darin […] unserer Lead-Rolle auch in Zukunft entsprechen.» Abgesehen davon, dass in der Folgezeit die Durchbrüche in der Forschungsabteilung ausbleiben, muss Stein 2004 bewusst gewesen sein, wie viel Zweckoptimismus und Wunschdenken in seiner Absichtserklärung steckt.
Denn zu deutlich zeichnet sich unterdessen ab, dass die Produktionsfortschritte, die auch durch die Wifag-Innovationen ermöglicht worden sind, die Branche zu zerstören beginnen. Die über Europa hinaus installierten Hightech-Druckmaschinen können bereits nicht mehr ausgelastet werden und halten noch Jahrzehnte lang. Gleichzeitig wird von Jahr zu Jahr klarer, dass die Computertechnologie – insbesondere die Tablet-Computer, die sich zum Zeitungslesen eignen und eben zu boomen beginnen – das bedruckte Papier als unverzichtbares Transportmedium für die veröffentlichte Information zu ersetzen beginnt. Wachsende Überkapazitäten bei gleichzeitig einsetzendem Nachfragerückgang: Das ist die strukturelle Krise, der sich CEO Stein 2004 gegenübersieht.