Im Podiumsgespräch des Politforums Bern im Käfigturm argumentierte Marianne Binder-Keller von der «Mitte» leidenschaftlich aus frauenrechtlerischer Sicht für das Verhüllungsverbot. Der progressive Imam Mustafa Memeti vom Haus der Religionen in Bern sowie Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, sprachen sich aus frauenemanzipatorischen Gründen für die Initiative aus und die Berner SPlerin Lea Kusano unterzeichnete ein «Linkes Manifest für ein Burkaverbot». Und immer wieder höre ich in Debatten die Aussage: «Ich werde dann wahrscheinlich schon Nein stimmen, aber so ganz überzeugt bin ich nicht…»
Warum?
Warum stellen sich Menschen aus progressiven und frauenrechtlerischen Kreisen auf einmal auf die Seite von rechts-aussen Politikern? Nur weil in der Abstimmungszeitung der Befürworter*innen Parolen wie «Befreit Frauen von Erniedrigung und Unterdrückung» und «Ja zur Gleichberechtigung!» zu lesen sind, heisst das noch lange nicht, dass die Initiative auch hält, was sie vorgibt, zu tun – das tut sie nämlich in keiner Weise und die Argumente sind bekannt:
- Sie basiert auf übergestülpten Kulturklischees:
Die Annahme, dass alle Frauen, die ihr Gesicht verhüllen, dazu gezwungen werden und von einem Verhüllungsverbot gerettet werden müssten, geht von Zuschreibungen aus, welche mit der Situation von vollverschleierten Frauen in der Schweiz wenig zu tun haben. Studien aus mehreren westeuropäischen Ländern ergaben, dass hiesige Frauen, die einen Gesichtsschleier tragen, oftmals Konvertitinnen sind und sich aus selbstbestimmten und individuellen Gründen zum Tragen eines Nikabs oder einer Burka entschieden haben. Eine aktuelle Studie des Zentrums für Religionsforschung der Universität Luzern bestätigt dieses Bild auch für die Schweiz (1).
2. Das Verhüllungsverbot hilft keiner Frau:
Die Selbstbestimmtheit der Frauen, welche aus eigener Motivation einen Gesichtsschleier tragen, würde durch die Annahme der Initiative massiv beschnitten: Entweder müssen sie das Kleidungsstück gegen ihren Willen ablegen oder sie müssen sich vor der Zunahme von negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit und vor Bussen fürchten. Andernfalls müssen sie sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen oder auswandern.
Gibt es in der Schweiz trotzdem Frauen, welche zum Tragen eines Gesichtsschleiers gezwungen würden, so bietet das Verhüllungsverbot keine Verbesserung ihrer Lage. Im Gegenteil ist vielmehr zu befürchten, dass ihre Bewegungsfreiheit zusätzlich erheblich eingeschränkt würde, weil sie in Folge möglicherweise das Haus gar nicht mehr verlassen dürften und vollständig aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen würden.
3. Verschlechterung der rechtlichen Lage von Frauen unter Verschleierungszwang:
Mit dem Artikel 181 im Strafgesetzbuch zur Nötigung verfügt die Schweiz bereits über die rechtliche Grundlage, welche es verbietet, jemanden zum Tragen eines bestimmten Kleidungsstücks zu zwingen. Die rechtliche Lage einer Frau, welche zur Gesichtsverhüllung gezwungen wird und sich bisher aus ihrer unterdrückten Situation heraus nicht wehren oder sich Hilfe holen konnte, wird durch ein Verhüllungsverbot sogar noch verschlechtert. Denn das Verhüllungsverbot bestraft paradoxerweise nicht den Akt der Nötigung, sondern das Tragen des Gesichtsschleiers. Dadurch wird das Opfer nicht geschützt, sondern zusätzlich marginalisiert, der Täter verschont.
4. Kein Beitrag gegen patriarchale und menschenverachtende Ideologien
Dass hinter der Burka oder dem Niqab eine fundamentalistische und anti-feministische Ideologie stecken kann, will und kann ich nicht dementieren – ich befinde mich nicht in der Position, darüber zu urteilen (2). Die essenzielle Frage lautet aber, wie solchen Ideologien am besten entgegnet werden kann. Ein symbolisches Verbot für ein Kleidungsstück, das in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutung hat, wird nicht dazu führen, dass extremistisches und antifeministisches Gedankengut verschwinden werden. Studien aus Frankreich haben im Übrigen genau die gegenteilige Entwicklung nachgezeichnet. Seit 2011 in Frankreich ein Burkaverbot gilt, hat die Anzahl von vollverhüllten Frauen nicht ab- sondern zugenommen und die Burka sei zu einem radikalen subversiven Symbol geworden.
Antifeministisch, paternalistisch und gegen menschliche Grundwerte
Die oberen Überlegungen zeigen auf, dass ein Verhüllungsverbot die Versprechen von Frauenbefreiung und Gleichstellung in keiner Weise hält. Das Gegenteil ist der Fall: Unterdrückte oder marginalisierte Personen werden zusätzlich an den Rand der Gesellschaft gedrängt und sogar bestraft. Anstatt die Selbstbestimmung von Frauen zu fördern, wird einmal mehr aus übergeordneter Perspektive über den Körper von Frauen und deren angemessene Bekleidung verhandelt. Damit treten die Befürworter*innen in die gleichen Fussstapfen von denen, gegen die sie angeblich vorgehen wollen. Es ist höhnisch mit einem Verbot für Frauen für deren Befreiung kämpfen zu wollen. Selbstbestimmung von unterdrückten Menschen wird niemals mit bevormundenden, paternalistischen Befehlen erreicht, sondern durch Empowerment, konsequente Gleichstellungspolitik und verbessertem Angebot von Anlaufs- und Beratungsstellen.
Mit dem Verhüllungsverbot widersprechen sich die Initianten aber nicht nur in frauenrechtlerischer Hinsicht. Sie argumentieren mit der Rettung von «hiesigen» Werten (einander ins Gesicht schauen zu können) und fordern im gleichen Zug die Verletzung von einem fundamentalen Grundrecht: «Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit» und «staatliches Handeln muss verhältnismässig sein» steht in unserer Verfassung. Ist es legitim, Menschen in der Freiheit zu beschneiden, ihr Gesicht zu vermummen, nur weil Menschen sich beim Anblick eines verdeckten Gesichts unwohl fühlen könnten? Ist es verhältnismässig, dreissig bis vierzig Personen ihre religiöse Praxis zu verbieten, weil diese für einige Menschen befremdend wirkt? Die Fragen sollten obsolet sein. Solange keine Grundrechte von anderen Personen beeinträchtigt werden, soll das Recht auf persönliche Freiheit eines jeden Menschen bewahrt werden – auch von Minderheiten.
Wenn sich die Initiative also weder um Frauenrechte noch um Grundrechte schert – wofür ist sie dann? Wem bringt die Initiative etwas?
Kampf um Leitkultur nach kolonialistischer Manier
Am meisten profitieren die Initianten: Das Egerkinger Komitee. Es ist eine Gruppe um sechs rechtskonservative Männer, welche sich selbst im Auftrag sehen, «Widerstand gegen die Machtansprüche des politischen Islam in der Schweiz» zu leisten sowie «die Bevölkerung über das Ausmass und die Folgen der Islamisierung der Schweiz aufzuklären». Bereits mit dem Minarettverbot 2009 lancierte das Komitee die Verbannung von islamischen Symbolen aus der Öffentlichkeit und heizte durch diskriminierende und stigmatisierende Plakate und Hetzkampagnen die islamophobe Stimmungsmache an. Diesen Männern geht es mitnichten um feministische Anliegen oder um Schutz für Minderheiten. Es geht ihnen um Kulturkampf. Darum, Kulturen zu konstruieren, zwischen «Eigenem» und «Fremdem» zu differenzieren um schliesslich die «eigene Kultur» zu erhöhen und das konstruierte Andere zu verurteilen und zu degradieren. Wir kennen diese Praxis: Sie entspricht kolonialistischer Manier.
Inkonsequenz
Die deutsche Journalistin und Publizistin Khola Maryam Hübsch, welche seit diesem Jahr die muslimischen Glaubensgemeinschaften im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks vertritt, hat sich bereits 2016 mit der Debatte rund um ein Burkaverbot auseinandergesetzt und schrieb in einem Meinungsartikel (3): «In westlichen Gesellschaften gibt es eine Vielzahl von Kontexten und Kleidungsformen, die Frauen mehr oder weniger zum Objekt machen. Von Pornografie und Prostitution bis hin zu Sexzeitschriften und Schönheitsnormen – unsere Gesellschaft ist durchzogen von Symbolen, die Frauen sexualisieren und damit zum Objekt degradieren. Es ist ausgesprochen inkonsequent, nur die Verdinglichung der Frau zu verbieten, wenn sie außerhalb unserer gesellschaftlich und kulturell akzeptierten sexistischen Darstellungen liegt.»
Dieses Zitat drückt das aus, was an linker und feministischer Unterstützung für das Verhüllungsverbot problematisch ist: Sie spielt nicht nur den rechten Stimmungsmacher in die Hände, sie argumentiert selbst aus einer übergeordneten Position, welche definiert, welche Unterdrückungsverhältnisse im Rahmen liegen und welche nicht und wie Emanzipation auszusehen hat und wie nicht. Diese Sichtweise bedient sich selbst rassistischen Stigmatisierungen: Aufgrund von Äusserlichkeiten werden Zuschreibungen von Rückschrittlichkeit und Extremismus gemacht – mit einer Diskriminierungsform soll eine andere bekämpft werden. Dies entspricht nicht einem heutigen Verständnis von Feminismus. Feminismus ist ein Kampf gegen alle möglichen Diskriminierungsformen.
Emanzipation bedeutet im Wesentlichen Selbstermächtigung. Diese muss auf allen Ebenen erfolgen. Setzen wir uns also ein für eine konsequente Gleichstellungspolitik, für tatsächliches Empowerment und wirklichen Schutz von unterdrückten Personen und gegen rassistische und antifeministische Ressentiments und legen wir am 7. März 2021 ein konsequentes Nein zum Verhüllungsverbot in die Urne!