Wiederbelebung des Gesamtkunstwerks

von Michelle Huwiler 17. Juli 2021

Neues Erscheinungsbild, neues Programm, neue Leitung – der Skulpturenpark der Bernhard Luginbühl Stiftung wird diesen Sommer wiederbelebt. Die neue Geschäftsleiterin Joana Schertenleib öffnet die Türen und macht das Werk von Bernhard Luginbühl auch für junges Publikum zugänglich. Ein Augenschein in Mötschwil.

«Zum Glück sind die Nachbarn tolerant», erwähnt Joana Schertenleib, als sie den Schlüssel umdreht, «seit fast 60 Jahren sind sie es gewohnt, dass hier Freaks ein- und ausgehen und mit Eisen gewerkt wird». Kurz darauf setzt sich eine Kugel aus Blech in Bewegung und rumpelt über die rund 18 Meter langen Schienen der Skulptur «Atlas». Die monumentalen Ausmasse der Skulptur versetzen die Betrachterin in Staunen. Kaum zu glauben, dass die Plastik immer wieder auf Reisen war. Biel, Basel, Berlin, Neuenburg, Bern, Zürich: Die Kulturvermittlerin zählt die Orte auf, an denen die Skulptur temporär zu Gast war. Luginbühl konstruierte die meisten seiner gigantischen Skulpturen so, dass sie demontiert, transportiert und wieder aufgebaut werden können. Als endgültiger Platz sah er Mötschwil vor, ein idyllischer kleiner Weiler am Eingang des Emmentals.

Heimatverbunden und exotisch 

«Nur äusserst ungern verkaufte der Künstler seine Werke», fährt die neue Leiterin fort, während wird durch den Park spazieren, «er wollte sich mit ihnen umgeben.» So kaufte der international erfolgreiche Eisenplastiker 1966 neben Wohnhaus und Werkstatt in Mötschwil ein Grundstück und legte einen Park an. Hier versammelte er Schwarzen Bambus, Gunnera, Aronstab und Tulpenbäume: Exotische Pflanzen, die er von seinen Künstlerresidenzen im Ausland mitbrachte oder ihm von Botanischen Gärten geschenkt wurden. Heimatverbunden und exotisch zugleich – das könnte auch symbolisch für das gesamte Werk Luginbühls stehen. Die internationalen Mitbringsel wuchern zwischen Lagern von eisernen «objets trouvés» die Luginbühl zur Weiterverarbeitung aufbewahrte, und seinen ausgearbeiteten Werken: Der grosse Frosch, Heldenfiguren, Emmental I und II, C-Figuren, Tischlein deck dich. Rund 100 Skulpturen stehen im Park dicht nebeneinander, in einem kleinen Speicher ist ein Teil seines grafischen Werks ausgestellt.  In der Führung streut Joana Schertenleib Anekdoten zum Leben Luginbühls zwischen kunsthistorische Erläuterungen ein. Zu Beginn seines Schaffens bestanden die Skulpturen eher aus gestalteten Einzelteilen und wirkten zweidimensional. Er wandte sich daraufhin zunehmend dem Dreidimensionalen zu, verwendete mehr Fundstücke: nautischen Schrott, Ausschussware aus der Industrie und brachte Bewegung in die immer grösser werdenden Figuren. Anhand der im Park versammelten Skulpturen lassen sich mithilfe der Erläuterungen der Kulturvermittlerin wichtige Entwicklungen und Phasen im Werk Bernhard Luginbühls nachvollziehen.

Ein Vertreter der eher späten Werkgruppe «Heldenfiguren»  (Foto: Michelle Huwiler).

Erlebnis für alle Sinne 

Ein Streifzug durch den Garten ist auch ohne Führung eine inspirierende Entdeckungsreise und ein sinnliches Erlebnis. Rollende Eisenkugeln, klimpernde Installationen und summende Insekten liefern den Soundtrack. Beim genauen Hinschauen fällt die Farbigkeit der Plastiken auf. Flechten, Moos, Verwitterung – die Natur greift auf die Skulpturen über und eignet sich die Kunst an. Gleichzeitig inszeniert die Umgebung die Kunstwerke auf besondere Art: Das Rostrot der Skulpturen hebt sich ab vom blauen Himmel und den grünen Pflanzen. Der verwunschene Garten betont die zoomorphen und organischen Formen in Luginbühls Skulpturen. Der industrielle Rohstoff Eisen erhält in dieser Umgebung etwas Erdiges.

Gastfreundlicher Künstler

Bernhard Luginbühl selbst ordnete alle Bestandteile des Parkes an und schuf einen Ort von grosser Dichte, in dem er selbst wohnte, arbeitete und Gäste empfing. «Bärni», erklärt Joana Schertenleib weiter in ihrer Führung, «war eine sehr gewinnende Person und hatte wenig Berührungsängste». Immer wieder schaffte er es, Menschen für seine Grossprojekte zu überzeugen. Die ganze Familie Luginbühls war in sein Schaffen eingespannt und neben Assistenten gab es auch zahlreiche freiwillig Helfende aus Maschinenfabriken, Kranfirmen oder Entsorgungshöfen. Leute aus der Umgebung meldeten sich bei ihm, wenn sie Alteisenbestandteile fanden und teilten ihm mit :«Ich habe etwas für dich». Dabei konnte es sich auch um Eisenräder mit einem Durchmesser von 13 Metern handeln oder um einen mehrere Tonnen schweren Anker, der – einmal abgeladen – nie mehr bewegt werden konnte.

Luginbühl verwendete unterschiedlichste Fundstücke: nautischen Schrott sowie Ausschussware aus der Industrie  (Foto: Michelle Huwiler).

Oase, Mikrokosmos, Gesamtkunstwerk

Luginbühls Reich war zu dessen Lebzeiten ein lebendiger Treffpunkt. Wir betrachten zusammen alte Fotografien in Luginbühls Atelier. Tinguely, Niki de Saint Phalle, Dieter Roth, André Thomkins, Daniel Spoerry: befreundete Künstler begegneten sich in Mötschwil, tauschten sich aus und schufen Gemeinschaftswerke. Die neue Geschäftsleiterin nennt den Ort eine Oase, einen Mikrokosmos und ein Gesamtkunstwerk. Er inspiriert und begeistert sie: «Jedes Mal, wenn ich hier bin, entdecke ich etwas Neues. Ich liebe das!» Mit dieser Begeisterung will sie auch ein neues Publikum anstecken. Anfang 2021 hat die Kulturpublizistin die Geschäftsleitung des Luginbühl Parkes übernommen. Für die Stiftung bedeutet dies auch ein Schritt in Richtung professionellere Strukturen. Bis jetzt kümmerte sich die Familie Luginbühl um den Park, der in den letzten Jahren nur noch auf Anfrage zugänglich war. Bei Parkhüter Jwan, dem jüngsten Sohn des Eisenplastikers, kam der Wunsch auf, kürzer zu treten und sich wieder vermehrt seinem eigenen künstlerischen Werk zu widmen. Er fragte Joana Schertenleib an, ob sie übernehmen wolle.

Die neue Geschäftsführerin Joana Schertenleib im Park Luginbühl (Foto: Gilles Sulzberger).

Zwischen Tradition und Neuerung

Sie musste nicht lange überlegen. Im Umfeld der Familie Luginbühl aufgewachsen, übten der Künstler, sein Werk und der Park schon immer eine Faszination auf sie aus. Ausserdem kann die 28-Jährige, die freie Kunst und Kulturpublizistik studiert hat, Berufserfahrungen in Handwerk, Gastronomie und Kulturvermittlung vorweisen. In diesem Stellenprofil fügen sich diese unterschiedlichen Fähigkeiten wie auf wundersame Weise zusammen. Am Tisch vor Luginbühls Atelier erzählt sie, wie sie dem Stiftungsrat als Bewerbung ein Betriebskonzept vorlegte. Nach der Zusage stellte sie innerhalb kürzester Zeit ein Sommerprogramm zusammen, das sich sehen lässt. Als «Balanceakt aus Traditionserhaltung und nachhaltigen Neuerungen» bezeichnet sie ihre Herangehensweise. Sie tritt dem Werk Luginbühls mit Respekt und Sensibilität gegenüber und durchsucht den Kosmos nach spannenden Anknüpfungspunkten, die sich in die Gegenwart überführen lassen. Die legendären Bankette des Metzgersohns finden sich in der kulinarischen Reihe «Tafeln im Park» wieder. Das Erstaugustfeuer ist von den spektakulären Verbrennungsaktionen inspiriert. Die Skizzenkurse knüpfen beim graphischen Werk an. Hinter dem vielfältigen Programm stehen die übergeordneten Ziele: Öffnung, Vermittlung, Sichtbarkeit. Zehn Jahre nach dem Tod des Künstlers soll der Park wieder belebt werden. Mit sieben Öffnungstagen in diesem Sommer soll die Entwicklung angestossen werden, den Park nach der Vision des Künstlers wieder zu einem inspirierenden Treffpunkt werden zu lassen, allerdings in einer zeitgemässen Umsetzung. Die Generation ihrer Eltern sei mit dem Werk Luginbühls vertraut, stellt Schertenleib fest. Sie erinnerten sich noch an die grosse Ausstellung in der Reithalle oder die Verbrennungsaktion zum Millennium. Aber das verblasse in ihrer Generation.  Mit der Wiedereröffnung soll auch ein jüngeres Publikum auf das vielfältige Werk des international erfolgreichen Künstlers aufmerksam werden.

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Neue Perspektiven aufs Werk

Ihre Generation, davon ist Schertenleib überzeugt, werfe auch einen anderen Blick auf das Schaffen Bernhard Luginbühls. In der Vergangenheit wurde der Künstler oft als Patriarch und Schwergewicht rezipiert. Das sei auch ein zentraler Teil, aber er wirke aus ihrer Sicht heute eher etwas verstaubt. Sein Einsatz für Umweltschutz und gegen das Verbauen der Landschaft, seine Auseinandersetzung mit Handwerk, Tradition und Heimat haben eine grosse Nähe zu Themen, die uns in der Aktualität beschäftigen.  Ausserdem entdeckt die Kulturpublizistin in seinem Werk viel Schalk, Poetisches und Verspieltes, das sie vermehrt hervorheben möchte. Die Brüche und die Vielstimmigkeit wecken ihr Interesse. Das filmische Werk, die Tagebücher und Grafiken sind weniger bekannten Aspekte seines Schaffens und darin ortet sie viel Potenzial. Diese schlummernden Schätze möchte sie künftig mehr ins Bewusstsein holen. Dabei stellen sich zahlreiche Fragen betreffend Dokumentation des Werks, Aufarbeitung des Archivs, konservatorische Fragen und viele weitere Herausforderungen. Bisher wurde viel Wissen innerhalb der Familie tradiert und es muss erst noch festgehalten werden. «Dieser Ort ist noch ganz und gar nicht institutionalisiert«, wirft die Geschäftsleiterin ein. Was durchaus auch eine abschreckende Wirkung haben könnte, entlockt ihr die Ergänzung «und das ist wunderbar!». Nebst der Öffnung des Parkes setzt sie sich zum Ziel, die Strukturen des Kulturbetriebes zu professionalisieren. Gleichzeitig möchte sie den familiären und unkomplizierten Charakter des Ortes erhalten. Balanceakte stehen auch auf dieser Ebene an.

Aufbruch

Tatendrang sowie Inspiration scheinen Joana Schertenleib nicht so schnell auszugehen. Es sind Visionen da und ein Bewusstsein dafür, dass Neuerungen Schritt für Schritt angegangen werden müssen. Der Nachmittag ist im Flug vergangen, wir packen zusammen und bewegen uns durch den Park in Richtung Ausgang. Der Weg zurück zum Eisernen Tor, führt über in Betonplatten gegossene Hufeisen. Er heisst «Weg zum Glück».

 

An folgenden Tagen ist der Park jeweils von 11-20.00 Uhr geöffnet:

01.08.2021: Augustfeuer: frisch gemachte Würste und Führung zum Thema Feuer
05.09.2021: Konzert Louis Jucker (Beginn 16.00 Uhr)
Veranstaltung auf Anmeldung:
11.09.2021: Tafeln im Park II
mehr Infos auf https://luginbuehlstiftung.ch/