Wie Weihnachten wirkt

von Basrie Sakiri-Murati 24. Dezember 2021

Adventszeit, Zeit der Rituale: Lichter, Tannenbäume, Geschenke, Rummel … Wie wirkt das auf Menschen aus anderen Religionen? Unsere Kolumnistin, die unter Muslim*innen im Kosovo aufgewachsen ist, erinnert sich an ihr erstes Weihnachtsfest.

In meiner Kindheit kannte ich Weihnachten nicht. Ich wuchs im Kosovo auf, meine Eltern waren Muslime, wie alle in unserem Dorf. Obwohl ich wusste, dass Weihnachten ein religiöses Fest ist, wusste ich nicht, wie es gefeiert wird. Der Tannenbaum und Weihnachten waren für mich zwei verschiedene Sachen. Einen Tannenbaum schmückten auch die albanischen Muslime. Hauptsächlich die Städter, aber über Silvester.

Den ersten weihnächtlich geschmückten Tannenbaum habe ich mit Zwanzig in der Asylunterkunft Balmberg erlebt. Weihnachten 1989: Wir kamen aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Kontinenten, aber den Baum schmückten wir gemeinsam, als ob wir eine Familie wären. Es war ein besonderes Erlebnis. Freude und Sehnsucht überwältigten mich. Die meisten von uns waren sehr jung und ohne Familie. Die Sehnsucht nach den Liebsten in der Heimat war grösser als die Freude an dem wunderschönen Baum, dem leckeren Essen, der Weihnachtsstimmung. Und doch versuchte ich glücklich zu sein. Es war nicht einfach, aber ich war dankbar – für die Menschen, die Sicherheit, die sie mir gaben, und das Fest, das sie mit mir teilten.

Besonders beeindruckend an der Weihnachtszeit waren für mich die geschmückten Häuser und die Stadtbeleuchtung. Sowas hatte ich in meiner Heimat nie gesehen. Und trotzdem vermisste ich mein Zuhause mehr als je zuvor. Die Erinnerungen an meine Familie und an die Zeit zuhause überwältigten mich.

Ich lernte dann ziemlich rasch die Bedeutung von Weihnachten kennen. Obwohl das Fest für mich neu war, schloss ich mich dem Ritual an. Zu sehen, wie die Kinder freudig den Tannenbaum schmücken, «Güetzi» backen, gab mir Liebe und Kraft. (Weil die Kinder die selbstgemachten «Güetzi» so liebten, wollte meine Tochter mit sechs Jahren einmal bereits im September mit Backen beginnen. «Mami, Weihnachtsgüetzi schmecken bestimmt auch jetzt gut,» meinte sie.)

Und doch: Es gibt etwas, was mir an der Weihnachtzeit nicht gefällt: die gestressten Leute und das Besorgen der Geschenke. Als die Kinder klein waren, fand ich den Sinn des Schenkens schön. Heute bin ich eher überfordert als erfreut darüber. Da wir hier im Wohlstand leben, scheint mir die Sache mit den Geschenken überflüssig.

Aber die Freude am Fest teile ich alljährlich mit der Mehrheit der Gesellschaft. Ich feiere mit meiner Familie, als ob ich es nie anders gekannt hätte. Dazu gehören auch meine Freunde und Nachbarn, die ich hier in der Schweiz kennenlernen durfte. Für mich war von Anfang an selbstverständlich, dass zur Integration, nebst der Kultur und Mentalität auch die Feste gehören. Mein Weihnachtsbaum hat einen guten Platz in meiner Stube, nicht aus ästhetischen Gründen, sondern weil er ausdrückt, was ich fühle: Ich gehöre dazu, bin solidarisch mit den Menschen hier, die Weihnachten feiern. Er ist für mich ein Zeichen dafür, dass ich die Diversität der Kulturen und Religionen lebe, ein Zeichen auch für Toleranz und ein Zusammenleben in Frieden.