Wie weiblich ist der Berner Journalismus?

von Anne-Careen Stoltze 6. Februar 2013

Chefredaktorinnen? Fehlanzeige. Ressortleiterinnen? Zwei. Redaktorinnen? Deutlich in der Unterzahl. Obwohl am MAZ Luzern mehr Frauen Lokaljournalismus belegen als Männer. Besonders auffällig ist die Situation beim «Bund».

Ab diesem Monat schreiben so wenige Redaktorinnen beim «Bund» wie noch nie zuvor über die Stadt und Region Bern. Auf der Lokalredaktion der Tamedia-Zeitung sind zwei Redaktoren neu angestellt worden, nachdem zuvor drei Frauen das Ressort verlassen haben – zwei haben gekündigt, eine weitere erhielt die Kündigung. Neu stehen sich im Ressort vier weibliche und 13 männliche Journalisten gegenüber. Das heisst nur knapp ein Viertel des Ressorts wird von Frauen besetzt. Damit liegt der Frauenanteil unter dem Durchschnitt von 34 Prozent in den Schweizer Medien, wie die Studie  «Wer macht die Nachrichten in der Schweiz?» 2010 ergeben hat.

Härterer Umgangston im «Bund»-Team

Ist dieses Missverhältnis ein Thema in der Redaktion? Bernhard Ott, der das Lokalressort beim «Bund» leitet, ist sich bewusst, dass die Zusammensetzung in seinem Team nicht günstig ist. Sie beeinflusse auch die Themenwahl. Fehle die weibliche Sicht, gehe zum Beispiel das Flair für soziale Themen verloren. Zudem verändere sich das Klima im Ressort: die Frauen beklagten einen «härteren Umgangston» in der Tages- und Wochenplanung, da die Männer ihre Themen in der Regel offensiver durchsetzten.

«Wir haben für die Neubesetzung bewusst mehr Bewerberinnen eingeladen.»

Bernhard Ott, Ressortleiter bei «Der Bund»

Über die Besetzung der vakanten Stellen mit Männern sagt Ott: «Wir haben bewusst mehr Bewerberinnen eingeladen und mit vier Frauen sowie zwei Männern Gespräche geführt», betont Ott. Allerdings hätten sich während der Rekrutierung die männlichen Bewerber aufgrund ihrer besseren Qualifikationen durchgesetzt. «Sie waren so eindeutig viel besser als die weiblichen, dass es weder im Interesse der Frauen noch erst recht nicht im Interesse der Zeitung gelegen hätte, trotzdem Frauen anzustellen», doppelt «Bund»-Chefredaktor Artur K. Vogel nach.

Ruf nach einer Frauenquote im Journalismus

Dieses Argument kennt Stephanie Vonarburg, Zentralsekretärin von Syndicom. «Das kann im Einzelfall schon so sein, doch wenn es über mehrere Jahre bei der Rekrutierung und Förderung von Frauen klemmt, dann stimmt die Begründung nicht», betont Vonarburg. Sie vermutet, dass es vielmehr an Sensibilität für das Thema in der Führungsetage mangelt. Sie fordert: «Wir brauchen eine Frauenquote, weil wir sonst nicht vorwärts kommen.»

«Wenn es über mehrere Jahr bei der Rekrutierung von Frauen klemmt, dann liegt es nicht an mangelnder Qualifikation.»

Stephanie Vonarburg, Zentralsekretärin Syndicom

Eine verbindliche Quote fordert beispielsweise der deutsche Verein Pro Quote. Bis 2017 sollen 30 Prozent der Kaderpositionen in Print, Online, TV und Radio mit Frauen besetzt sein. Auch Barbara Stöckli vom MAZ Luzern findet «grundsätzlich eine temporäre Frauenquote gut.» Sie bildet als Studienleiterin den journalistischen Nachwuchs aus. Während die Diplomausbildung Frauen und Männer gleich verteilt absolvieren, sind es im Kompaktkurs Lokaljournalismus mehr Frauen. Stöckli bezweifelt allerdings, ob durch eine Quote tatsächlich vermehrt weibliche Themen in den Medien umgesetzt werden.

Punkto Frauenförderung hält «Bund»-Chefredaktor Vogel fest: «Wenn für eine offene Position gleichwertige männliche und weibliche Bewerbungen vorliegen, wird die weibliche bevorzugt. Wenn es Teams gibt, die noch rein männlich sind, wird forciert nach geeigneten Frauen gesucht.» Dem Vernehmen nach soll bald eine Redaktorin die rein männliche Bundeshausredaktion verstärken. 

Auf der Lokalredaktion will Ressortleiter Ott ein Zeichen für die Frauen setzen und hat eine junge Redaktorin als Mutterschaftsvertretung angestellt. «Damit wollen wir signalisieren, dass uns die Frauenförderung nicht egal ist, und dass es Frauen mit guten Aussichten auf eine Festanstellung gibt», sagt er.

Telebärn ist die Ausnahme

«Der Bund» ist auf dem Platz Bern nicht alleine mit einer männerlastigen Redaktion. Auch beim Regionaljournal von SRF sind Frauen deutlich in der Unterzahl: von 15 Redaktionsmitgliedern sind nur vier weiblich. «Das Frauen-Männer-Verhältnis war bis vor etwa einen Jahr noch ausgeglichener, es hat sich durch drei Neubesetzungen jedoch verschoben», sagt Peter Brandenberger, der das Regionaljournal seit 20 Jahren leitet und wechselnde Besetzungen erlebt hat. Dass momentan weniger Redaktorinnen im Team arbeiten, sei «kein grosses Thema». «Aber es ist klar, dass die nächste Vakanz mit einer Frau besetzt werden sollte», betont Brandenberger.

«Es ist klar, dass die nächste Vakanz mit einer Frau besetzt werden sollte.»

Peter Brandenberger, Leiter Regionaljournal von SRF

Die morgendlichen Teamsitzungen sind beim Regionaljournal hin und wieder rein männlich. «Das fällt uns auf, dann fehlt die weibliche Nuance.» Journalistinnen stellen vorsichtigere Fragen wie etwa bei dem aktuellen Pädophilie-Fall im Oberland. «Sie wählen doch vielleicht andere Worte und sind sensibler bei einigen gesellschaftlichen Themen», erläutert Brandenberger. Er verweist auf den insgesamt hohen Frauenanteil bei SRF von 48 Prozent. 

Das passt zu den Ergebnissen der Medienstudie, wonach der Frauenanteil beim Radio bei 42 Prozent und am höchsten bei den Fernsehformaten mit 46 Prozent liegt. Dies spiegelt sich auch in Bern wider: Beim Lokalsender Telebärn arbeiten mehr Frauen als Männern im Bereich Redaktion und Moderation. Allerdings sind auch bei dem TV-Sender drei von vier Schlüsselfunktionen mit Männern besetzt.

Bei der «Berner Zeitung» BZ, ebenfalls ein Produkt des Zürcher Medienunternehmens Tamedia, sind die Frauen in der Lokalredaktion zwar auch untervertreten. Aber sie machen im Lokalressort Stadt & Region Bern immerhin einen Drittel aus und liegen damit im Schweizer Durchschnitt. Zudem werden die regionalen Ressorts von einer Frau geleitet. Lokalchefin Christine Nydegger wollte sich auf Anfrage jedoch nicht äussern.

«Wir stellen unsere Leute nach beruflichen Qualifikationen an. Das Geschlecht gilt nicht als Qualifikation.»

Michael Hug, Chefredaktor Berner Zeitung

Zum Frauenanteil in seiner Zeitung sagt BZ-Chefredaktor Michael Hug knapp: «Nach unserer Überzeugung arbeiten möglichst gemischte Redaktionen besser. Aber wir stellen unsere Leute nach beruflichen Qualifikationen an. Das Geschlecht gilt nicht als Qualifikation.» Während der Frauenanteil bei der BZ über die Jahre gleich geblieben bzw. leicht gewachsen ist, sinkt er beim «Bund» stetig. «Bei der BZ scheint es mehr Offenheit gegenüber dem Thema Geschlechterdurchmischung zu geben», sagt Vonarburg.

«Bund»-Chef mit Frauenproblem?

Die Syndicom-Zentralsekretärin sieht denn auch beim «Bund» einen Sonderfall: «Wenn nach den letzten Weggängen auf der Regionalredaktion nur noch knapp ein Viertel weiblich ist, sind die Frauen unterrepräsentiert». Bereits beim Stellenabbau 2009 hätten die Kündigungen auffallend viele Frauen getroffen, doch habe Syndicom damals Tamedia keine Diskriminierung nachweisen können. 

«’Bund-Journalistinnen’, die selbstbewusst ihre Meinung vertreten, bekommen offensichtlich Probleme mit ihrem Chefredaktor.»

Stephanie Vonarburg, Zentralsekretärin Syndicom

Die Gewerkschaft beobachtet trotzdem einen stetigen Schwund an kompetenten und langjährigen Redaktorinnen. «Journalistinnen, die selbstbewusst ihre Meinung vertreten und nicht auf der Wellenlänge des «Bund»-Chefredaktors sind, bekommen offensichtlich Probleme mit ihm», sagt Vonarburg. 

Vogel hingegen wehrt sich: «Stephanie Vonarburg erzählt einfach Stuss, und das selbstverständlich, ohne je mit mir geredet zu haben. Von Meinungsverschiedenheiten kann keine Rede sein.» Den Frauenschwund auf der Redaktion des «Bund» kann Espace Media nicht bestätigen. «Tamedia hat den ‘Bund’ und die ‘BZ’ erst 2008 übernommen und entsprechende Daten für diesen Zeitraum liegen nicht vor», teilt die Pressestelle mit.