Dreieinhalb-Zimmer-Galeriewohnung mit Cachet, Parkettböden, offene Küche mit Granit und Glaskeramik, Bad mit Wanne, separates WC, kleine Dachterrasse für 2000 Franken im Monat. Wer träumt nicht davon, ein solches Objekt in der Altstadt zu finden? Möglich, dass es diese Wohnung gibt, aber sie zu finden, wäre wohl fast wie der Sechser im Lotto.
Warum sind Wohnungen in der Altstadt teuer?
Grundsätzlich folgen die Wohnungsmieten den Kosten für Boden und Bauen. Das allein erklärt schon fast alles: Klar ist der Boden im Zentrum wertvoller als im Quartier und das Bauen ist wegen der engen Verhältnisse wesentlich aufwendiger, erfordert viel Handarbeit und ist deshalb entsprechend teurer.
Dazu gehört auch, dass die Berner Altstadt Unesco-Kulturerbe ist und damit denkmalpflegerische Vorgaben in Bezug auf Materialien, Konstruktion und Raumeinteilung weitgehend definiert sind. Ohne diese Vorgaben wäre die Untere Altstadt längst zur Kulisse geworden, wie die Bauten zeigen, die vor dem Erkennen ihrer Substanzwerte um- bzw. neu gebaut wurden: Aufgeklebte Sandsteinfassaden, ausdruckslose Hauseingänge, seelenlose Treppenhäuser und Wohnungen.
Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. Es ist eine Wohltat zu sehen, wie verantwortungsvolle Hausbesitzer mit dem Anliegen zur Tat schreiten, Altstadthäuser «artgerecht» zu renovieren und im Dialog mit der Denkmalpflege Lösungen entwickeln, die den Charakter der alten Häuser respektieren und trotzdem zeitgemässe Wohnungen und Ladengeschäfte ermöglichen.
Liegenschaftsverkäufe bereiten den Leisten immer wieder Grund zur Sorge. Hier zeigt sich, wo die Menschen stehen: Soll an den Meistbietenden verkauft werden, ohne sich über die Zukunft der Liegenschaft Gedanken zu machen, oder ist die Haltung des Käufers zur Berner Altstadt für die verkaufende Partei von Bedeutung?
Vor Kurzem wurden die Vereinigten Altstadtleiste darüber informiert, dass eine Liegenschaft an der Rathausgasse und Brunngasse nicht dem Meistbietenden, sondern einer Berner Zunft verkauft wurde. Die Käufer gaben bekannt, das Haus sei als langfristige Anlage erworben worden und nicht als spekulatives Objekt gedacht. Chapeau vor dieser Haltung!
Was ist das Spezielle am Wohnen in der Altstadt?
Es entspricht ganz einfach nicht dem Leben in einer Quartierwohnung: Wer nicht das Glück eines Terrässchens hat, kann wohl kaum auf einem Balkon die Abendsonne geniessen. Die Häuserfronten stehen mit den Fenstern zur Gasse, die Nachbarn vis à vis sind präsent, man kennt und grüsst sich also von Fenster zu Fenster. Die Räume haben fast ausschliesslich nur auf einer Seite Fenster, von der Nordseite her dringt kein Licht ins Zimmer.
Meistens sind die Häuser schmal, Zweifensterhäuser sind die Regel. Das heisst: Raumbreiten zwischen 3 und 4,5 Meter (auf der südlichen Seite der Altstadt sind die Häuser breiter und entsprechend auch luxuriöser). In der Mitte des Hauses befindet sich meistens das Treppenhaus, dahinter, auf der Hofseite, sind die sanitären Anlagen sowie die Küchen. In vielen Fällen muss man also vom vorderen zum hinteren Teil der Wohnung das Treppenhaus queren. Für viele, die das nicht kennen, schier unverständlich. Aber es geht, man gewöhnt sich daran.
Leben im Dörfli
Das wirklich Spezielle ist jedoch der dörfliche Charakter der Altstadt. Man kennt sich unter den Lauben, ein Schwatz an der Ecke oder – vor allem im Sommer – an einem Tisch der vielen Gassenrestaurants. Gemütlichkeit und Gemeinsamkeit sind ein wertvolles Gut, das hier an jeder Ecke zu finden ist. Ein Auto braucht man nicht, alles ist in Gehdistanz zu haben, der fahrbare Untersatz eh meist im Weg.
Wenn man das Glück hat, auch in der Altstadt zu arbeiten: Keine verlorene Zeit mit Arbeitsweg und Pendeln. Insofern relativiert sich damit die höhere Miete: Auch der Zeitaufwand und die Ausgaben für die Mobilität müssen in Betracht gezogen werden. Apropos Mobilität: Der Lärm des Individualverkehrs ist für die Altstadtbewohner ein marginales Thema. Auch wenn niemand gegen die gute Erschliessung mit dem ÖV ist – aber die Lärmkulisse wird primär durch die Busse definiert. Nach Fahrplanschluss kehrt Ruhe in die Altstadt ein, abgesehen von vereinzelten Nachtschwärmern und übermotivierten Taxifahrern.
Wie hat sich das Wohnen in der Altstadt in den letzten 30 Jahren verändert?
Das ist, wenn man die ganze Zeit mittendrin gelebt hat, recht schwierig zu beurteilen. Ja, die Luft ist bedeutend sauberer geworden, der Verkehr – einst ein riesiges Problem – hat sich auf ein minimales Mass reduziert, die Gassen sind des Nachts belebter und vor allem auch tagsüber richtig gemütlich geworden.
Was hat sich im Detail verändert? Beginnen wir am Morgen: Ein geschriebenes oder ungeschriebenes Gesetz (ich weiss es nicht) verpflichtete den Haubesitzer «seine» Laube am Morgen vor sieben Uhr zu reinigen. Die Geschäfte öffneten damals früher und so ergab sich der Austausch der neuesten Geschichten und Gerüchte wie von selbst, sozusagen von Laubenpfeiler zu Laubenpfeiler. Heute erledigt die Stadt das Saubermachen. Der Austausch der News hat sich in die am Morgen geöffneten Cafés oder an andere Stellen verlagert. So ist der Coiffeur Walther auch nach seinem durch den Hausumbau notwendigen Umzug in die Oberstadt eine Informationsquelle erster Güte.
Darauf folgt das Einkaufen: Ein dreifaches Hurra auf den Berner Märit! Ohne diesen sähe die Beschaffung von Lebensmitteln wesentlich trister aus. Institutionen wie der Barisi an der Brunngasse gibts nicht mehr (den Geruch von Stockfisch, den ich als Kind so schrecklich fand, habe ich heute noch in der Nase – und ich vermisse ihn!), zum Glück wird man bei Cappelletti und Ingredienza an der Kramgasse und bei Ferrari an der Münstergasse immer noch von genügend südländischen Köstlichkeiten verführt.
Der Beck Hänggärtner fehlte lange Zeit, jetzt sind Bohnenblusts am Kornhausplatz und an der Münstergasse Garant für richtig gutes Brot. Zum Glück ist uns noch die Metzgerei Grunder erhalten geblieben (hat auch anderes Fleisch als Ross!), nachdem der Steiner Chrigu an der Kramgasse zur Gelateria mutiert ist (wenigstens kann man seine legendären Schinkengipfeli und Saucissons noch über das Internet bestellen). Und die Chäshütte Heugel ist berühmt wie nie zuvor, nicht nur wegen der Fernsehsendung, sondern primär wegen seines authentischen Käsesortiments. Der Weltladen ist auch da, kulinarisch kann dem Altstadtbewohner nicht viel passieren.
Die Gastronomie blüht auf …
Ein Loblied auf die Gastwirtschaftsszene anzustimmen, wäre jetzt Wasser in die Aare getragen. Wer des Selbst-Kochens müde ist, findet heute eine Vielfalt von gastronomischen Angeboten, die es mit Sicherheit vor dreissig Jahren noch nicht gegeben hat. Und dazu zählen auch die Lokale, die ihrer Tradition treu geblieben sind wie Harmonie, Zimmermania, Schlüssel, Pyri, Café Postgass, Commerce, Spysi und so weiter.
… und die Lädeli sterben aus
Das Lädele bzw. «Rohre» hat sich dagegen verändert: Viele traditionelle Geschäfte gibt es nicht mehr. Der Fluch der Fussgängerzone (was ja an sich eine gute Sache wäre) drückt immer mehr in die Untere Altstadt, zur Zeit primär in die Kramgasse: Wo die Autos weg sind, wollen die internationalen Ketten hin. Vermutlich wird das irgendwo an einer Universität gelehrt: Wo sucht der verantwortliche Marketing-Manager ein Lokal für eine Filiale an einem neuen Standort? Richtig: In der Fussgängerzone.
Dadurch geraten die Ladenmieten in Bewegung und kaum ein ortsansässiges Unternehmen ist noch in der Lage, die Mieten zu bezahlen, welche die Ketten auszugeben bereit sind. Logische Folge: Traditionelle örtliche Firmen haben keine Chancen mehr, Räumlichkeiten zu zahlbaren Konditionen zu mieten. Wahrscheinlich ist das der Preis der Attraktivitätssteigerung eines städtischen Zentrums.
Ergänzend ist zu vermerken, dass die Altstadt heute wesentlich mehr Touristen anzieht als vor dreissig Jahren. Das ist sicher ein Erfolg, auf den wir stolz sein dürfen. Die Hotels, Gaststätten und Souvenirläden freuts und uns als Bewohnende ebenso. Wer möchte nicht da wohnen, wo es andere hinzieht, weil sie wissen oder gehört haben, dass Bern etwas ganz Besonderes sein muss? Der Preis dafür, der Verlust der Authentizität, kann hoch sein.
Meine dreissig Jahre in der Altstadt zeigen, dass Bern auf diesem Weg ist. Deshalb wünsche ich mir als Altstadtbewohner: So ist es recht, nun aber bitte etwas bedächtiger! Wäre das nicht sowieso Berns Ur-Charakter?