Wie sehr brennen Berner*innen für die Fussball-EM der Frauen?

von Noah Pilloud 17. Juli 2022

Sommerserie (3): Gleichstellung im Fussball ist noch immer ein heiss diskutiertes Thema. Mehr Aufmerksamkeit für die Spiele der Frauenteams wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Berner Aktivist*innen wollen genau da ansetzen.

Hitze und Fussball, das ist so eine Sache. Die grossen Turniere finden in den Monaten Juni und Juli statt, was für Spieler*innen und Publikum schon mal zur Herausforderung werden kann. Doch schon vor den Hitzemonaten kann es brenzlig werden, wie etwa beim Finalspiel der Europaleague in Sevilla, wo bei 30 Grad schon in der ersten Halbzeit die Getränke im Stadion ausgingen.

Weil die Männerfussball-Weltmeisterschaft dieses Jahr unverständlicherweise in Katar stattfindet, wurde der Austragungstermin auf November und Dezember verschoben, um der sommerlichen Wüstenhitze zu entgehen. Dies und die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in Katar und beim Bau der Stadien dürften dafür sorgen, dass viele Liebhaber*innen des Sports gar nicht so heiss auf die diesjährige WM sind.

Das wiederum beschert einem anderen Turnier die Möglichkeit aus dem Schatten zu treten: Der Fussballeuropameisterschaft der Frauen. Sowohl im Clubfussball wie auch bei Länderspielen kämpfen Frauenteams fast überall mit niedrigeren Verkaufs- und Einschaltzahlen. Sofern Verbände kein klares Zeichen für den Frauenfussball setzen, bringt nur grössere öffentliche Aufmerksamkeit mehr Geld (durch Werbung und Sponsoring) in die Kassen. Dieses Geld ist nötig, damit sich der Sport weiterentwickeln kann und Athletinnen auch abseits der grossen Ligen (wie Frankreich, Deutschland oder England) davon leben können.

15 Bars für die EM

Angebot und Nachfrage verhalten sich oft komplizierter, als behauptet wird. Manchmal braucht das Angebot einen Mupf, um der Nachfrage gerecht zu werden, und manchmal wird sich die Nachfrage erst im Angesicht des Angebots selbst gewahr. Um der eigenen Nachfrage ein entsprechendes Angebot zu schaffen und gegebenenfalls eine grössere Nachfrage zu wecken, gründeten Aktivist*innen das Kollektiv «EM22 Grossmachen».

Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass 15 Bars in der Stadt Bern Liveübertragungen der Spiele zeigen. Zwar sind nicht überall alle Spiele zu sehen – manche zeigen nur die Spiele der Schweizerinnen – doch das Angebot ist jedenfalls gross. Aber wie sieht es mit der Nachfrage aus? Wie heiss ist Bern auf die Fussball-EM der Frauen?

Genaue Zahlen habe sie nicht, sagt Anna Strub vom Kollektiv «EM22 Grossmachen» am Mittwoch auf Anfrage: «Wir waren nicht in allen Bars vor Ort, doch soviel ich weiss, sind die Besucher*innenzahlen sehr unterschiedlich.» Im Café Kairo seien die Spiele in der Tendenz sehr gut besucht, im Café Huber hingegen weniger.

Gelingt die Überraschung?

Um uns ein eigenes Bild davon zu machen, zogen wir los und setzten uns für das zweite Gruppenspiel der Schweizer Nationalelf ins Café Kairo. Die Ausgangslage vor dem Spiel: Es ist kompliziert. Mit ihrer frühen 2:0-Führung gegen Portugal hatten die Schweizerinnen gezeigt, dass mit ihnen zu rechnen ist. In der zweiten Halbzeit konnten sie aber nicht an diese Leistung anschliessen. So war nach dem 2:2-Unentschieden klar: Im nächsten Spiel muss ein Sieg her. Und das gegen die Schwedinnen, ihres Zeichens Nummer Zwei auf der Weltrangliste. Als wäre das nicht Grund zur Sorge genug, machte während der Vorbereitung ein Magen-Darm-Infekt die Runde im Team.

Niemand konnte also genau sagen, was von dem Spiel zu erwarten war. Was die Spannung aber umso grösser machte. So mussten auch andere gedacht haben, denn trotz früher Ankunft im Café Kairo waren freie Tischplätze rar. Einzig am grossen Holztisch fanden sich neben zwei reservierten noch vier freie Plätze. Wer an keinem der Tische Platz fand, setzte sich mit einem Klappstuhl irgendwo dazwischen und so füllten sich die Zwischenräume bis zu Spielbeginn rasch.

Auch die Partie Schweiz gegen Spanien konnte dank diesem Konstrukt im Kairo verfolgt werden. (Foto: zvg Café Kairo)

«Beim Spiel gegen Portugal setzten sich einige sogar mit den Klappstühlen auf den Radweg», berichtet ein Zuschauer. Ganz so viele sind es an jenem Abend zwar nicht – was mit dem zeitgleichen Beginn des Gurtenfestivals zusammenhängen könnte – doch das Interesse am Spiel scheint durchaus gross zu sein. Auf die zwei reservierten Plätze setzte sich kurz vor Anpfiff ein Paar aus Schweden. So waren an unserem Tisch stets positive und negative Reaktionen zu vernehmen, egal was passierte.

Beherzt, kämpferisch und unterhaltsam

Der Rest des Publikums fieberte aber eindeutig mit den Schweizerinnen mit. Entsprechend zufrieden wirkten die Leute in der Pause, nachdem sich gezeigt hatte, dass es dem Team gelungen war, mit den Favoritinnen aus Schweden mitzuhalten. Mit dem 0:0 schien für die zweite Halbzeit noch alles möglich. In der 53. Minute erlitt die Stimmung einen kurzzeitigen Dämpfer, als Schweden in Führung ging. Die Antwort erfolgte aber postwendend: Mit einem wunderschönen Schlenzer glich Ramona Bachmann aus.

In der Folge waren alle Blicke des Kairo-Publikums auf den Bildschirm fixiert und die Nervosität spürbar. Doch der Klassenunterschied zwischen den beiden Teams wurde offensichtlicher, je länger das Spiel dauerte. Am Ende konnten die Schweizerinnen froh sein, fiel das Resultat nur 2:1 für Schweden aus – zwei Treffer wurden wegen Abseits aberkannt, einer davon äusserst knapp.

Die Besucher*innen im Café Kairo dürfte das nur kurz geschmerzt haben. Immerhin bekamen sie an jenem Abend ein unterhaltsames Spiel und einen beherzten und kämpferischen Auftritt des Schweizer Nationalteams zu sehen.

Der neue Normalzustand?

Es bleibt zu hoffen, dass solche Spiele eine nachhaltige Begeisterung auslösen und dazu führen, dass mehr Leute auch abseits der grossen Turniere bei Spielen von Frauenteams den Fernseher einschalten oder dafür ins Stadion gehen. «Wir hoffen, dass die mediale Aufmerksamkeit für Fussball von Frauen stetig steigt und irgendwann ein ähnliches Interesse wie beim Männerfussball entsteht», erklärt auch Anna Strub das längerfristige Ziel der Kampagne.

Bis dahin werden wohl noch einige Tore fallen und viel Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen. Zeigt das Berner Publikum weiterhin grosses Interesse an den Public Viewings, dürfte zumindest damit gerechnet werden, dass Übertragungen von Fussballspielen der Frauen hier bald zum Normalzustand werden.

Gelegenheit, Teil dieser Nachfrage zu werden, bietet sich bereits heute Abend wieder. Im letzten Gruppenspiel trifft die Schweiz auf die Niederlande. Ein Weiterkommen in die Viertelfinals wird zwar schwierig, doch nicht unmöglich. Gewinnen in den beiden Spielen sowohl die Schweiz als auch Schweden, stünde die Schweiz mit Punktegleichstand aber dem Sieg in der Direktbegegnung als Gruppenzweite da.