Wie nachhaltig ist das Gas in Berns Wärmenetz?

von Noah Pilloud 27. April 2023

Energiewende Der Gasverbund Mittelland plant ein neues Flüssiggasterminal. Damit könne zukünftig nachhaltiges Gas importiert werden, sagt ewb. Das sei bloss Greenwashing, meint hingegen der Klimastreik Bern.

Ein Schlaglicht fällt durch die Baumkronen auf die Spaziergängerin, links und rechts davon säumt viel Grün den Waldweg. Davor steht in schlichter weisser Schrift: «Wir fördern heute Energie. Für die Gesellschaft und die Wirtschaft der Zukunft.» So präsentiert sich die Homepage des Gasverbund Mittelland AG (GVM). Die Botschaft ist klar: Gas ist nachhaltig, Gas ist zukunftsfähig.

Der GVM beschafft und transportiert Gas im Auftrag der ihm angeschlossenen Lokalversorger. Weil ewb Aktienanteile des GVM besitzt und ebenjener in Schweizerhalle ein neues Flüssiggasterminal plant, wandte sich der Klimastreik Bern Anfang April mit einer Aktion und einem offenen Brief an ewb (unsere Kolumnistin berichtete).

In ihrem offenen Brief forderten die Aktivist*innen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung von ewb, sich bis am Abend des 24. Aprils öffentlich gegen das Vorhaben zu positionieren.

Infrastruktur für eine nachhaltige Zukunft?

In ihrer Antwort, die der Klimastreik am Dienstag veröffentlichte, verteidigt die ewb-Geschäftsleitung das GVM-Projekt in Schweizerhalle als Beitrag zu einem zukünftigen entkarbonisierten Energiesystem. Da in der Schweiz nicht ausreichend Kapazität vorhanden sei, ausreichend Biogas für den hiesigen Markt zu produzieren, benötige es Infrastruktur, um erneuerbares Gas aus dem Ausland zu importieren, so die Geschäftsleitung von ewb.

Tatsächlich ist kaum ein Szenario denkbar, in dem in der Schweiz ausreichend Biogas produziert wird, um das fossile Gas zu ersetzen. So rechnet der WWF in einem Factsheet vor, dass selbst bei voll ausgeschöpftem Potenzial nur etwas mehr als ein Viertel der Nachfrage gedeckt würde. Wollen die Anbieter auf nachhaltiges Gas setzen, müssen sie es folglich zu grossen Teilen aus dem Ausland beziehen.

Doch auch hier setzen die Aktivist*innen des Klimastreik ein Fragezeichen. Faktisch sei importiertes Biogas Erdgas mit Zertifikat. Dazu nochmals das Factsheet des WWF: «Der Importeur erhält ein Zertifikat, das garantiert, dass die entsprechende Menge Biogas in ein ausländisches Erdgasnetz eingespeist worden ist.» In seiner Abstimmungsbotschaft zur Totalrevision des CO2-Gesetzes nach 2020 hielt der Bundesrat 2017 zudem fest, dass bei importiertem, als nachhaltig zertifiziertem Gas Doppelzählungen nicht ausgeschlossen und die ökologischen Mindestanforderungen nicht sichergestellt werden können.

Tatsächlich ist kaum ein Szenario denkbar, in dem in der Schweiz ausreichend Biogas produziert wird, um das fossile Gas zu ersetzen.

Bei rund 130‘000 MWh von Energie Wasser Bern handle es sich um Biogaszertifikate aus dem Ausland (gegenüber rund 50’000 MWh aus inländischer Produktion), wie ewb auf Anfrage von Journal B schreibt. Zudem beziehe ewb «keine Biogaszertifikate die in einem Drittstaat (z.B. Dänemark) bereits gefördert wurden, um eine Doppelzählung auszuschliessen».

Das importierte Gas mit Biogaszertifikat stammt ewb zufolge grösstenteils aus Deutschland und Dänemark. Diese Länder erfüllten die höchsten ökologischen Mindestanforderungen, so der Energieversorger weiter, es werde darauf geachtet, dass die Zertifikate die «nature-made-star-Anforderungen» erfüllen. Zum Erdgas gibt ewb an, dass es aus Norwegen und Grossbritannien stamme, das Flüssiggas (LNG) hingegen stamme aus dem Nahen Osten und den USA.

Wenig Verständnis für den Protest

Mit dem Fokus auf Biogas betreibe ewb Greenwashing, verkündete der Klimastreik Bern am Dienstag in ihrer Medienmitteilung. Auf diesen Vorwurf angesprochen, teilt ewb mit: «Energie Wasser Bern bekennt sich vollumfänglich zu den energiepolitischen Zielsetzungen der Stadt Bern und setzt sich für eine nachhaltige lebenswerte Zukunft für kommende Generationen ein, unter der Berücksichtigung der Versorgungssicherheit als oberstes Ziel für unsere Kundinnen und Kunden.»

Dass der Klimastreik nun für Donnerstagabend eine Kundgebung vor dem Hauptsitz der ewb plant, sei deshalb nicht nachvollziehbar. Energie Wasser Bern sei weder in die Planung des Flüssiggas-Terminals und des Gasspeichers des GVM involviert, noch habe es sich zu der Projektidee geäussert.

Warum also richtet der Klimastreik Bern seinen Protest so hartnäckig gegen ewb? Wäre es für die Aktivist*innen nicht sinnvoller, sich direkt an den GVM zu wenden? Die Klimabewegung nehme durchaus auch den GVM in die Verantwortung, sagt Tina Hitzblech vom Klimastreik Bern. So fordere etwa der Klimastreik Basel den GMV auf, von diesem Projekt abzusehen, ein entsprechender offener Brief sei am vom Klimastreik Schweiz am 25. März vor dem Hauptsitz in Arlesheim übergeben worden.

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Als Anteilseignerin mit zwei Vertreter*innen im Verwaltungsrat des GVM habe ewb die Möglichkeit sich innerhalb des Verbunds gegen das Projekt zu engagieren, findet Tina Hitzblech: «Es reicht angesichts der dramatischen Folgen der Klimakrise nicht, sich zu solchen Plänen nicht zu äussern und sich damit aus der Verantwortung ziehen zu wollen.»

Kein Rückbau im Netz der Stadt Bern

Dass sich ewb zum Klimaschutz bekennt ist nach Meinung der Klimaaktivist*innen nicht mit dem Projekt des GVM vereinbar: «Meinen die Stadt Bern und ewb ihre energiepolitischen Zielsetzungen ernst, bauen sie ihre Gasinfrastruktur zurück, anstatt sie auszubauen und vertreten auch innerhalb des GVM konsequent diese Position.»

‘Selbst wenn man das komplette Biogaspotenzial von ganz Europa ausschöpfen würde, müsste der Energieverbrauch um 60 bis 90% sinken, damit wir das derzeit benötigte Erdgas durch Biogas ersetzen könnten’, so der Klimastreik.

Unter anderem die Städte Basel, Zürich und Winterthur haben bereits damit begonnen, ihr Gasnetz rückzubauen. Die Stadtbernische Gasinfrastruktur werde nicht weiter ausgebaut und «gemäss Richtplan der Stadt Bern gezielt durch Fernwärme ersetzt», antwortet ewb auf die Frage nach einem möglichen Rückbau des Gasnetzes.

Für die Aktivist*innen des Klimastreiks Bern ist derweil klar: «Der Ausbau von fossiler Infrastruktur ist unvereinbar mit klimapolitischen Zielen.» Die Annahme, die neue Infrastruktur werde dereinst ausschliesslich für Biogas verwendet, sei absurd. «Selbst wenn man das komplette Biogaspotenzial von ganz Europa ausschöpfen würde – und davon sind wir derzeit meilenweit entfernt –, müsste der Energieverbrauch um 60 bis 90% sinken, damit wir das derzeit benötigte Erdgas durch Biogas ersetzen könnten», sagt Tina Hitzblech.

Die Klimaaktivist*innen scheinen entschlossen, den Bau des geplanten Flüssiggas-Terminals mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Derweil stellen sich ewb und GVM genauso entschlossen auf den Standpunkt, die Infrastruktur sei ein wichtiger Teil der Energiewende. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit wird wohl noch eine Weile nicht gesprochen sein.