Wie Königinnen sterben

von Thomas Göttin 3. Juli 2019

Die Bernerin Eva Hardmeier hat ein wunderbar leichtes Buch über das Sterben geschrieben. Darin erzählt sie in zwölf Geschichten von den letzten Tagen im Leben krebskranker Patient*innen.

 

Das Buch heisst «Bettgeschichten», mit einem Untertitel, den man nicht übersehen sollte: «am Ende des Lebens», denn genau davon handeln die zwölf kurzen Geschichten: von den letzten Tagen des Sterbens im Spitalbett nach einer Krebserkrankung. Eva Hardmeier arbeitet seit vielen Jahren als Fachfrau Gesundheit in der Onkologie-Abteilung eines Spitals in Bern. Die Geschichten, welche sie erzählt, sind sehr persönlich und gleichzeitig sehr präzise geschrieben. Es entstehen Bilder, die mich begleiten und kaum mehr loslassen. Bilder aus dem Leben, das seinen Platz neben dem nahenden Tod behauptet: Das Tattoo von Sitting Bull auf dem abgemagerten Körper, das Rauchen einer Mary Long auf dem Balkon als Spiegel eines gelebten Lebens, der Umgang mit den kratzenden, farbigen, gestrickten Wollmützen auf der durch die Chemo verursachten Glatze, oder der Besuch einer Volksmusik-Band mit Kontrabass auf der Onkologie-Abteilung.

Es sind jedoch keineswegs Bilder, die verharmlosen oder ablenken. Der Tod ist immer präsent. Die Geschichten zeugen von einem intensivem Prozess, den das Sterben für alle Beteiligten darstellt, etwa wenn Eva Hardmeier die Situation einer Patientin beschreibt, die am Bettrand sitzt: «Mit der Decke und den Kissen stützte ich ihren schwachen Rücken. «Das ist ja wie ein Thron», meinte sie. «Königinnen sterben so», sagte ich. Eva Hardmeier schildert die Szenen mit Schalk und grossem Einfühlungsvermögen, selbst wenn sie helfen muss, Ordnung herzustellen im Zusammenhang mit neuen Körperöffnungen, «die da nicht hingehören».

Das Sterben selbst hat nichts Versöhnliches. Aber mit ihren Geschichten zeigt Eva Hardmeier, wie eine aktive Auseinandersetzung mit dem Sterben und den Sterbenden auch eine Möglichkeit bietet, sich mit der Unausweichlichkeit ein Stück weit zu versöhnen. Das gibt dem Buch seine Leichtigkeit. Es öffnet uns die Augen für jene Augenblicke im Schwebezustand zwischen Leben und Tod, wenn die Zeit einen Moment lang still zu stehen scheint.

Zum Schluss schreibt Eva Hardmeier einen kurzen Brief an den Tod, für dessen brachiale Seite sie ihn verdammen könnte, aber: «Du kannst auch anders. Dann, wenn du die Deinen und die Liebenden jener in Watte hüllst, still bist und die Zeit sich vorübergehend verabschiedet. Wenn du Sinn machst und Schmerz beendest. Wenn du so bist, lieber Tod, können wir ganz gut mit dir leben.» Und sie schliesst mit ihrem typischen Schalk: «Gib dir doch bitte etwas Mühe.»

Eva Hardmeier, 1961 in Bern geboren, kombiniert ihre Erfahrungen aus dem Spitalalltag mit sprachlichem Können, einem weiten Horizont und grossem Engagement. Die Arbeitssituation der Pflegenden oder die Mühen des Spitalbetriebs kommen dabei nur am Rande vor. Mehr ist gar nicht nötig. Denn erst recht drängt sich mit jeder Geschichte die Frage an uns selbst und die Gesellschaft auf: Tun wir genug und das Richtige in der Begleitung von Sterbenden? Das Buch gibt keine Antwort. Wenn schon, dann ist es selbst ein Teil der Antwort und ermöglicht eine Ahnung davon, was palliative Pflege heute darstellen könnte.

Jede Geschichte ist wie beiläufig mit einer klassischen Vignette in Form einer gezeichneten Feder abgeschlossen. Das Buch ist klein, schmal und umfasst nur sechzig Seiten. Zu beziehen ist es in der Münstergasse Buchhandlung in Bern. Es lohnt sich.