Wie die Musik mit weniger CO2 spielt

von Lula Pergoletti 10. November 2021

Alles im grünen Bereich? Die Berner Musikbranche setzt mehr und mehr auf Nachhaltigkeit. Zum Beispiel mit Line-ups, die ohne Flugzeugreisen zustandekommen.

Meere leerer Bierdosen, Berge von Plastik, Weltstars, die vom anderen Ende der Welt für ein Konzert eingeflogen werden – auch die Kultur­branche begeht mitunter Klimasünden: Das dreitägige Zürifäscht etwa produziert rund 12 400 Tonnen CO2, vergleichbar mit den jährlichen Emis­sionen eines mittelgrossen Schweizer Dorfs. Das Openair St. Gallen, bei dem bereits Reduktionsmassnahmen in Kraft sind, verursacht pro Ausgabe rund 2500 Tonnen CO2, immer noch 
so viel wie 180 Schweizer*innen in einem ganzen Jahr. Grüner zu veranstalten, den CO2 Fussabdruck der Kultur zu verkleinern, ist ein brandaktuelles Thema. Das weiss man auch bei «Vert le Futur». Ziel des Vereins ist es, Akteur*innen der Kultur- und Veranstaltungsbranche zu vernetzen und darin zu be­stärken, klimafreundlicher zu werden. Laut Moritz Meier, Vorstandsmitglied von «Vert le Futur», fällt vor allem die Anreise der Künstler*innen und des Publikums ins Gewicht, gefolgt von Gastronomie und Stromverbrauch. Meier ist zugleich im Leitungsteam des Musikfestivals One Of A Million, wo er die Bereiche Nachhaltigkeit und Lo­gistik betreut. Das Festival, das Ende 
Januar in Baden stattfindet, ist Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit: Seit 2016 erfasst und analysiert es alle Emissionszahlen, es setzt auf Strom aus erneuerbaren und lokalen Quellen, ein Pfandsystem, vegetarische und lokale Gastronomie. Und: ein Line-up, das komplett ohne Flugreisen auskommt.

Mehrweg, kürzere Wege

Auch Berner Veranstalter*innen setzen mehr und mehr auf grüne Kultur, wie Lena Fischer, Mitglied der Geschäftsleitung des Gurtenfestivals, bestätigt. Dazu gehöre etwa Umdenken, was die eigene Mobilität angehe: So reise das Booking-Team wenn immer möglich mit dem Zug oder Bus statt mit dem Flugzeug an Netzwerk-Treffen. Doch letztlich gehe es um die Reduktion von Emissionen in allen Bereichen: «Wir sind gerade daran, alles zu analysieren und zu durchleuchten.»

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Dabei tut sich schon einiges: So wirken am Gurtenfestival seit Jahren die «Trash Heroes». Die Abfall-Heldin­nen und -Helden sammeln die rund 
51 Tonnen Müll, die während des Festivals auf dem Hausberg anfallen, und trennen ihn so gut wie möglich. Dadurch konnten 2019, bei der letzten Ausgabe des Festivals auf dem Hausberg, 52 Prozent des Mülls wiederverwendet werden. Auch war das Festival eines der ersten Europas, die Mehrwegbecher einsetzen. Und, ebenso erfreulich: 90 Prozent des Publikums reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuss an. Ein Blick auf die Bookings der letzten Ausgabe offenbart zudem einen grossen Anteil an Schweizer Bands. Die internationalen Bands reisen allerdings meist mit dem Flugzeug an, wie Fischer einräumt, dies lasse sich kaum vermeiden. Dafür gebe es selten One-Off-Shows, also einzelne Auftritte statt einer Tour. Selbst grosse Bands, Fischer nennt hier Coldplay und Radiohead, legen mittlerweile Wert darauf, ihre Touren so zu gestalten, dass unnötige Reisewege entfallen.

Bad Bonn behält die Cola-Schirme

Daniel «Duex» Fontana, Chef der Bad Bonn Kilbi und des gleichnamigen Clubs in Düdingen, sieht das Ganze etwas entspannter. Für ihn ist Nachhaltigkeit nicht viel mehr als ein Schlagwort, hinter dem oft nicht viel stehe. Sein Festival, zu dessen Partnern unter anderen Coca-Cola und Cardinal gehören, sei vermutlich nicht das grosse Vorbild, was Ökologie angehe, wie er selber sagt. «Aber die roten Sonnenschirme gehören halt zur Kilbi.» Auch bei der Programmierung bleibt er abwartend, ein Line-up, das ausschliesslich mit der Bahn anreist, kann er sich nicht vorstellen, auf internationale Acts will er auf keinen Fall verzichten: «Dem Publikum fehlt etwas, wenn nur noch regionale Bands auftreten, wie dies etwa während der Reisebeschränkungen im letzten Jahr der Fall war.» Und: «Es ist immer noch sinnvoller, Bands aus dem Ausland einzufliegen, als dass das Schweizer Publikum individuell nach New York fliegt, um ein Konzert zu besuchen.»

Seine Prioritäten setzte Fontana bisher mehr auf Diversität, wie er sagt: Frauen und Künstler*innen aus der Queer­szene werden seit Längerem bewusst in die Bad Bonn Kilbi eingeladen. Auch dies gehöre für ihn im umfas­senden Sinn zu einem Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit. Fontana appelliert an die Eigenverantwortung des Publikums: «Wo die Inhalte stimmen, folgt der Rest. Es ist nicht nur sinnvoller, mit dem Zug anzureisen, sondern auch einfach schöner.» Doch auch Fontana will in naher Zukunft den ökologischen Fussabdruck seines Festivals berechnen. Auch findet er das Bestreben einer jüngeren Generation von Veranstalter*innen, ökologischer zu buchen und zu arbeiten, sinnvoll: «Wenn man jetzt damit beginnt, kann man sich schneller an die Situation anpassen.»

Kultur als Multiplikator

Lena Fischer vom Gurtenfestival gibt sich vorsichtig optimistisch – und will das Thema sichtbarer machen: «Was wir unbedingt mehr tun müssen, ist: darüber reden. Um uns selbst, Besuchende und die Branche weiter zu sensibilisieren.» Erste Schritte in Richtung einer grüneren Konzertlandschaft sind gemacht. Von hier aus geht es weiter. Für Moritz Meier von «Vert Le Futur» ist klar, dass die Kulturbranche ein Multiplikator in Sachen Nachhaltigkeit werden soll: «Wir können als Kulturbranche vorleben, wie kulturell hochstehende Erlebnisse mit Klimaverträglichkeit einhergehen können.»