Wie die Jungfrau zum Kind – ein Kunstfund der besonderen Art

von Rita Jost 25. Januar 2019

Am 10. März wird in Burgdorf der Erweiterungsbau des Franz Gertsch-Museums eröffnet. Der 89-jährige Berner ist bekannt für seine grossformatigen fotorealistischen Bilder. Was nicht bekannt ist: Gertsch hat ganz anders angefangen. In Bern sind drei Frühwerke von ihm zum Vorschein gekommen. Und jetzt zu bestaunen.

Kirchgemeindehäuser protzen normalerweise nicht mit «Kunst am Bau». Ein Wandteppich der Frauengruppe, eine Bastelarbeit aus dem letzten Kinderlager muss meist reichen zur Zierde der Wände. Daneben herrscht Bescheidenheit und Zweckmässigkeit. Nicht so im neuen Kirchgemeindehaus Nydegg am Nydeggstalden 9. Da gibt es im so genannten Nydeggsaal neuerdings drei Werke von Franz Gertsch zu bestaunen. Wie sind diese Kostbarkeiten in diesen ansonsten recht schlichten Raum gekommen?

Überdecken oder zeigen?

Ganz einfach: Sie waren immer schon dort. Genaugenommen seit 1959. Damals beauftragte die Leitung des Altersheims am Nydeggstalden den jungen Gertsch mit dem Malen von drei Wandbildern. Der junge Zeichner wohnte gleich nebenan. Er freute sich über den Auftrag und malte drei Sujets: eine Pferdegruppe mit Bauer, einen Flötenspieler und ein Liebespaar. Bei einem Umbau des Saals verschwanden die drei Werke hinter einer Abdeckung und blieben es bis das Altersheim wegzog und die Kirchgemeinde Nydegg sich für die Räume interessierte. Was hinter der Gipswand zum Vorschein kam, hatte auf Anhieb nicht gerade für Begeisterungsstürmen gesorgt. Allgemeiner Tenor der Laien: nicht besonders ansprechende Bilder, etwas naiv, ziemlich harmlos, im unschuldigen Röseligartenstil der Fünfzigerjahre. Fachkundige Abklärungen ergaben dann allerdings, dass es sich hier um ein Frühwerk des heute bekannten Berner Fotorealisten Franz Gertsch handelt. Der zuständige Kirchgemeinderat, der anfänglich der Meinung war, diese Wand müsse neutral und weiss sein, denn schliesslich wolle man hier auch ab und zu Bilder oder Filme projizieren, beauftragte die Kunsthistorikerin Anna Schafroth mit weiteren Abklärungen. Die Fachfrau erkannte den Wert der Bilder. Es handle sich um «ein Schlüsselwerke des Künstlers», «im Übergang von seinem Mentor von Mühlenen zum selbständigen Weg Gertschs», berichtete sie. Und der Zustand der Bilder sei sehr gut. Also: unbedingt erhalten!

Der zuständige Kirchgemeinderat tat sich trotzdem schwer mit dem Gedanken, dass die neutrale Wand künftig fix drei etwas eigenwillige, scheinbar aus der Zeit gefallene Kunstwerke enthalten sollte. Man könnte sie doch auch erhalten, aber wieder hinter einer Abdeckung verschwinden lassen, wurde mit in einer ersten Abstimmung mit knappem Mehr entschieden.

Stolz präsentieren

Doch dann meldeten sich drei weitere Kunstexperten, unter anderem der Geschäftsführer des Gertschmuseums in Burgdorf. Sie alle plädierten für eine sanfte Renovation und unbedingt für den Erhalt der Bilder. Der Künstler selbst enthielt sich der Stimme.

Der Kirchgemeinderat kam auf seinen Entscheid zurück. Und jetzt gibt es also im grossen Saal des kürzlich eingeweihten Kirchgemeindehauses drei frühe Gertsch zu bewundern, stilvoll hinter Glas, damit nicht beim Kindernachmittag plötzlich unbeabsichtigt Kunstfrevel passiert, aber für alle Besucher gut einsehbar.

Und die Frage der eingeweihten Bewohner an uneingeweihte Besucher lautet nun regelmässig: Wer kann raten, wer diese Bilder gemalt hat? Das verblüffte Staunen der Gefragten ist meist ungefähr ebenso gross wie der unverhohlene Stolz der Eingeweihten.