Who the fuck is Dürrenmatt?

von Rita Jost 29. November 2019

Sie kannte Dürrenmatt nicht. Dann wurde Lizzie Doron Dozentin am Friedrich Dürrenmatt Lehrstuhl für Weltliteratur in Bern. Und lernte das «Paradies» kennen, das der Schweizer Autor so schonungslos beschrieb.

Die grossgewachsene Frau mit dem graublonden Kraushaar und dem wachen Blick hinter den grossen Brillengläsern kann es kaum fassen: «Die StudentInnen in Bern sind ja so ruhig. Im Hörsaal melden sie sich kaum, blicken mich meist nur stumm an. Ich weiss oft gar nicht, ob sie überhaupt noch da sind». Sie habe ihnen Kaugummis mitgebracht, damit wenigstens ihre Kiefer sich bewegten, sonst hätte sie das Gefühl, sie stehe vor einer Kulisse. 

Lizzie Doron lacht schallend und erzählt dann wortreich, wie sie in Zürich wohnt. «In einem Block, aber ich glaube, da wohnt ausser mir niemand. Es gibt zwar eine Waschküche, aber die Wäsche kann ich da nicht waschen. Ich besitze ja keinen Schlüssel, und es ist keiner da, den ich fragen kann». Die Israelin mit Wohnsitz «ein bisschen überall, aber nicht mehr so oft in Israel» erzählt, wie sie schreibt: temperamentvoll, unverblümt, witzig und zwei Sätze später desillusioniert, enttäuscht und todtraurig darüber, dass in ihrer Heimat niemand mehr weiss, wie sich Normalität anfühlt. 

Luzerner Wurzeln

Ein Semester lang hat sie nun in Bern Vorlesungen gehalten im Rahmen der Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur. Am 18. Dezember ist ihre letzte Vorlesung, vorher ist sie noch im Haus der Religionen zu einem Sofagespräch eingeladen (17. Dezember, 18.00, Europaplatz 1), und kürzlich war sie zu Gast im Politforum Käfigturm. Da erzählte sie von der Entstehungsgeschichte ihrer letzten zwei Bücher («Who the fuck is Kafka?», «Sweet Occupation»). Diese beiden Werke fanden in Israel keinen Verleger und sind deshalb zuerst auf Deutsch erscheinen. Ausgerechnet auf Deutsch? Ja, bestätigt Lizzie Doron, sie habe Deutschland und der Deutschen Sprache viel zu verdanken. Ihre Mutter, eine Polin mit Wurzeln in Luzern (!), habe in den ersten Jahren in der Diaspora in Tel Aviv oft Heimweh nach der Sprache ihrer Vorfahren gehabt und nachts deutsche Gedichte rezitierte. Lizzie schärfte sie allerdings ein, draussen «nie, wirklich gar nie!» Deutsch zu sprechen. 

Tel Aviver Diaspora

Das war in den Fünziger- und Sechziger-Jahren. Das Aufwachsen vieler anderer Kinder aus der ersten Nach-Weltkriegs-Generation war ursprünglich das Hauptthema ihrer Bücher. Das Trauma dieser Generation, die gebrochene Identität, das Suchen nach Wurzeln hat die Autorin zu Bestsellern verarbeitet, die in Israel Schullektüre wurden. Doch dann wandte sich die Autorin vor einigen Jahren einem anderen brennenden Thema im Nahen Osten zu: dem scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen Israelis und Arabern. Sie schrieb über ihre Freundschaft mit arabischen Freiheitskämpfern. Und mit einem Schlag war Lizzie Doron «persona non grata». Unüberbrückbar wurden die Gräben. Ihr Semestermotto in Bern, «Breaking the Walls», ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Doch: Wie erklärt man Menschen «im Paradies» das Leben in einem Land in dem zwei Völker sich aufs Blut bekriegen, keine gemeinsame Sprache haben (und finden) und langsam auch die grössten Optimisten (wie Lizzie Doron) keine Lösung mehr sehen, wie das enden soll? «Es war für mich eine Riesenherausforderung,» sagt Lizzie Doron. Wie kann sie die ständige Angst erlären, die Menschen zu Psychopathen macht, die sich sogar darum streiten, wer mehr Opfer sei. «Wir leben im Irrenhaus!» sagt Lizzie Doron.

Eine Staatenlose

Sie selber sei eine Fremde geworden in ihrer Heimat. Die einstige Erfolgsautorin lebt unterdessen mehrheitlich in Berlin. Ihre Bücher schreibt sie zwar auf Hebräisch, aber gedruckt und gelesen werden sie hauptsächlich im deutschen Sprachraum. Im Nahen Osten wird sie gemieden. Israelis sehen in ihr die Nestbeschmutzerin, Araber die Kollaborateurin. «Ich bin eigentlich eine Staatenlose,» stellt sie resigniert fest.

«Breaking the walls»

Mauern niederreissen – sei für sie das Gebot der Stunde. Der Aufschrei gegen die Unversöhnlichkeit auf beiden Seiten, diese zutiefst eingeimpfte gegenseitliche Ablehnung, müsse von der Zivilgesellschaft kommen. Denn auf die Politik sei kein Verlass. In ihren Vorlesungen in Bern hat sie deshalb Literatur besprochen, die Tabus bricht. Und von den Studierenden hat sie verlangt, dass diese hier, «im Paradies», darüber nachdenken, wie sie den Kontakt mit Menschen findet, die sie eigentlich ablehnen, die sie nicht verstehen und nicht kennen lernen möchten. Mit ihnen mussten sie sich austauschen, um gemeinsame Sprache ringen. 

Dürrenmatt who??

Sie selber hat es getan. Sie ist unterdessen eng befreundet mit palästinensischen Friedensaktivisten, mit ehemaligen Terroristen, mit Feinden, vor denen man sie ein Leben lang gewarnt hat. Heute fühle sie sich mehr als Europäerin, denn als Israelin. Sie kennt und schätzt die grossen Europäer, die Denker und Dichter, liest überall im deutschsprachigen Raum und hat da viele LeserInnen gefunden. Und natürlich kann sie heute ihren Protagonisten aus dem gleichnamigen Buch aufklären, wenn dieser fragt: «Who the fuck is Kafka?». 

Und Dürrenmatt, den kennt sie natürlich unterdessen auch.