Werbung hat (bald) ausgedient

von Joël Widmer 5. Dezember 2023

Regionalzeitungen sind in der Krise. Werbeeinnahmen sinken, Grossverlage streichen Stellen. In Biel versuchen ein Walliser und ein Berner Unternehmer den Gassmann-Verlag in die digitale Zukunft zu führen. Abo-Einnahmen spielen dabei eine zentrale Rolle.

Auf dem Bildschirm läuft ein Ticker mit Meldungen. Über dem grossen Redaktionstisch steht dort zum Beispiel: «Seeländer Brauereien setzen vermehrt auf alkoholfreies Bier.» Der Berner IT-Unternehmer Stefan Niedermaier sitzt in den Räumen von Bieler Tagblatt und Journal du Jura und sagt: «Ich habe grossen Respekt vor der Arbeit der Journalisten.»

Niedermaier beteiligt sich seit einem halben Jahr an der Bieler Gassmann AG. Er führt das Unternehmen zusammen mit dem in Bern wohnhaften Walliser Unternehmer Fredy Bayard. Die beiden haben Grosses vor in Biel. Dazu braucht es aber ein Umdenken.

Zum Beispiel bei der Konvergenz: «Die müssen wir vorantreiben», sagt Niedermaier. Wenn ein Radiojournalist als Reporter zu einer Zugentgleisung fahre, könne man dank des neuen Redaktionssystems den Inhalt auch für Online und Print verwenden. «Wir sollten in der Region publizistisch noch näher an die Bevölkerung rangehen», ergänzt Bayard. Sein Ziel: «Man darf im Seeland nicht um unser Online-Portal Ajour herumkommen, wenn man sich für die Region interessiert.»

Die Regionalmedien des Gassmann-Verlags stehen mitten in der digitalen Transformation. Die beiden Unternehmer suchen nach dem Geschäftsmodell, das die Regionalmedien in die digitale Zukunft bringt. «Wir wollen den Verlag nachhaltig aufstellen, damit die Region auch künftig ein unabhängiges, rentables Medienhaus hat», sagt Niedermaier.

Die beiden Unternehmer stemmen sich dabei gegen eine Medienkrise, die sich stetig verschärft.

Das Geschäftsmodell der Regionalzeitungen funktioniert für die gedruckten Zeitungen immer wie schlechter. (Bild: Christine Strub)

Laufend verkündeten Verlage in den letzten Jahren Hiobsbotschaften. Im September zum Beispiel kommunizierte Tamedia den Abbau von fast 50 Stellen. Und vor wenigen Wochen hat das Aargauer Medienhaus CH-Media mitgeteilt, im Januar 150 Stellen zu streichen. CH-Media, das unter anderem 17 Regionalzeitungen herausgibt, begründet den massiven Stellenabbau mit einem «starken Umsatzeinbruch in den Kernmärkten Entertainment und Publishing». Die Entwicklung habe sich wegen fehlender Werbeeinnahmen akzentuiert. Eine Erholung des Werbemarktes sei kurzfristig nicht zu erwarten.

Die grössten Einnahmeausfälle hat CH-Media offenbar bei den TV-Stationen. Doch auch die Regionalzeitungen sind in der Krise. Der schleichende Verlust an Abonnent*innen bei der Printauflage kann bei den Digitalabos laut Insidern nur knapp aufgefangen werden.

Zahlungsbereitschaft für digitale Medien ist tief

Das Geschäftsmodell der Regionalzeitungen – nicht nur jenen von CH-Media – funktioniert für die gedruckten Zeitungen immer wie schlechter. Die Werbung bringt noch rund 40 bis 50 Prozent der Einnahmen. Vor 15 Jahren machten die Inserate rund 60 Prozent der Einnahmen aus. Seither sinkt der Anteil laufend. Zudem verlieren die meisten Regionalverlage bei ihren Zeitungen derzeit jährlich zwischen 5 und 10 Prozent der Abonnent*innen. Diese müssen durch neue Digitalabonnent*innen ersetzt werden. Das ist ein schwieriges Unterfangen, da die Zahlungsbereitschaft für digitale Medien bei den Konsument*innen tief ist.

Erschwerend kommt hinzu: Online sind die Werbeumsätze um ein Vielfaches tiefer als bei den Zeitungen. Sie machen derzeit in vielen Verlagen nur rund 10 Prozent der Gesamteinnahmen aus, denn im digitalen Werbemarkt ist die Konkurrenz mit Google, Facebook und Co. gross. Bei CH-Media versuchte Verleger Peter Wanner der Krise in den vergangenen Jahren mit dem Zukauf von TV-Stationen und der Lancierung von Gratis-Onlineportalen wie Bärn Today zu begegnen und ist damit nun zumindest teilweise gescheitert.

Die Publizistik sei dank der Printzeitungen zwar rentabel, aber nicht rentabel genug, um sie langfristig zu sichern, sagt Fredy Bayard. (Bild: Christine Strub)

Niedermaier und Bayard wollen in Biel einen anderen Weg gehen. Gratisinhalt spielt dabei keine Rolle. Im Gegenteil: Auch im Digitalen sollen alle Inhalte, die nicht von TeleBielingue oder Canal 3 kommen, hinter einer Bezahlschranke stehen. Zu den Gassmann-Medien gehören das Bieler Tagblatt, das Journal du Jura, das Portal Ajour, die Gratiszeitung Biel-Bienne, TeleBielingue und das Radio Canal 3.

Die Firma Gassmann ist laut Bayard derzeit wirtschaftlich gut unterwegs. Hauptgrund dafür sei die Druckerei Courvoisier Gassmann. Bei den Medien kämpfe der Verlag wie alle anderen auch. «Aber wir haben aktuell keinen massiven Druck, Kosten zu senken», sagt Bayard. Die Publizistik sei dank der Printzeitungen zwar rentabel, aber nicht rentabel genug, um sie langfristig zu sichern.

Das Bieler Tagblatt kann vom Wallis lernen

Bayard, der ursprünglich die Modegruppe «Bayard» zusammen mit seiner Frau Silvia aufgebaut hat, bringt aus dem Wallis die Erfahrung einer erfolgreichen digitalen Transformation eines Medienhauses mit. Unter dem Verlagsdach Pomona hat er dort den «Walliser Boten» und das «Radio Rottu» zu einer konvergenten Redaktion zusammengeführt, die Digitalisierung vorangetrieben und alle Inhalte hinter die Bezahlschranke gestellt. «Pomona macht dieses Jahr einen guten Abschluss», sagt Bayard. Der Anteil der Digitalabos sei schon bei fast 40 Prozent.

Das ist im Vergleich zu anderen Regionalzeitungen ein sehr beachtlicher Wert. Erstaunlich ist dieser Wert auch angesichts des Preises. Das Pomona-Digitalabo kostet im Jahr 280 Franken. Zum Vergleich: Bei den Regionalzeitungen von CH-Media und Tamedia ist der Online-Zugang schon für weniger als 150 Franken jährlich zu haben.

Er wolle sich bald ganz aus dem Walliser Medienhaus zurückziehen, sagt Bayard. Die Mehrheit der Aktien hat er seinem Management verkauft.

Der Erfolg im Wallis lässt sich aber nicht einfach auf die Region Biel übertragen. In Visp hat Bayard von der Abgeschiedenheit des Kantons profitiert. «Die Identifikation mit der Region ist im Oberwallis riesig», sagt Bayard. Davon profitiere Pomona. Aber grundsätzlich sei die Konvergenz-Strategie von Pomona auch für den Gassmann-Verlag die Richtige.

Auch hier wollen die Unternehmer den Anteil der Digitalabos steigern. Das ist dringend nötig, denn letzten Jahr verlor der Verlag bei den Zeitungen 6 Prozent Abonnent*innen. Diese konnten laut Bayard bei den Digitalabos zwar knapp wettgemacht werden, deren Anteil betrage derzeit 13 Prozent.

Niedermaier und Bayard wollen den Verlag mittelfristig an das Management verkaufen. «Wir wollen in den kommenden drei bis vier Jahren die nächste Generation von Unternehmern an Bord holen», sagt Stefan Niedermaier. (Bild: Christine Strub)

Doch langfristig sind diese Abozahlen zu niedrig. Da im Online-Bereich ein grosser Teil der bisherigen Werbeeinnahmen fehlen wird, bleibt da künftig ein Einnahmen-Loch. «Im Digitalen wird Werbung wohl nur 10 Prozent der Einnahmen ausmachen», bestätigt Bayard. Künftig werden darum die Abos eine viel wichtigere Rolle spielen. «Unser Ziel muss sein, mit dem Bieler Tagblatt, dem Journal du Jura und dem Portal Ajour 30’000 Abos zu verkaufen», sagt Bayard. Derzeit sei man bei knapp 23’000.

Dieses Ziel wollen Bayard und Niedermaier mit einer harten Paywall und einer noch stärkeren Fokussierung auf das Regionale erreichen. «Der Inhalt, den eine Journalistin erarbeitet, muss bezahlt werden», sagt Bayard. Die Journalist*innen müssten dabei angesichts der klammen Einnahmen aber sehr effizient sein.

Trotz Fokussierung auf Abonnent*innen bleibt die grosse Frage, wie man die fehlenden Werbeeinnahmen im Digitalen substituiert. Für das Bieler Tagblatt kauft Gassmann heute bei CH-Media und Tamedia die Inhalte für die Ressorts Ausland, Inland, Wirtschaft und Kanton Bern ein. «Man wird sich fragen müssen, ob man das als digitales Regionalmedium noch braucht», wirft Bayard auf. Er tendiere zu Ja. Aber wenn man Werbeeinnahmen verliere, müsse man sparen. «Und wir wollen nicht bei regionalen Inhalten kürzen, denn das ist der Existenzgrund eines regionalen Verlags.»

Eine wichtige Rolle könnte künftig auch die Medienförderung spielen. Derzeit erhalten Regionalverlage für den Vertrieb ihrer Zeitungen eine Postzustellungsverbilligung und Beiträge an konzessionierte TV- und Radiosender. Digitale Medien gehen im Gegensatz dazu aber leer aus.

Eine Vorlage des Bundesrates, die das ändern wollte, wurde Anfang 2022 an der Urne verworfen. Angesichts der Medienkrise forderte die Eidgenössische Medienkommission Anfang Jahr dennoch eine sogenannt technologieneutrale Förderung, die auch den Onlinebereich einschliesst. Und Medienminister Albert Rösti (SVP) hat kürzlich angekündigt, bald einen Bericht dazu zu veröffentlichen.

«Ich bin kein Freund von Subventionen», sagt Bayard. «Wenn es aber keinen anderen Weg gibt, ist eine Medienförderung im Digitalen vielleicht nötig.»

Multimedialer Newsroom: Auf dem Weg in die digitale Zukunft bleiben in den kommenden Jahren die gedruckte Zeitung und ihre Werbeeinnahmen aber wichtig. (Bild: Christine Strub)

Auf dem Weg in die digitale Zukunft bleiben in den kommenden Jahren die gedruckte Zeitung und ihre Werbeeinnahmen wichtig. Anders als im Digitalen spielt da auch kostenloser Inhalt eine Rolle. So verteilt beispielsweise der «Walliser Bote» seine Zeitung einmal pro Woche in einer Gratisauflage in alle 46’000 Haushalte im Oberwallis. Diese Grossauflage generiere im Wallis rund 50 Prozent der Werbeeinnahmen, sagt Bayard.

In Biel hat die Gratiszeitung «Biel/Bienne» diese Rolle. Bayard hat sie von Unternehmer und Verleger Mario Cortesi gekauft. Gassmann ist nun Mehrheitsaktionär. Cortesi jedoch managt die Zeitung weiterhin. Er mache einen guten Job, sagt Bayard.

Zusammen mit der digitalen Transformation suchen Bayard und Niedermaier auch neue in der Region verankerte Besitzer für den Verlag. Ähnlich wie im Wallis ist ein Verkauf an das Management vorgesehen. «Wir wollen in den kommenden drei bis vier Jahren die nächste Generation von Unternehmern an Bord holen», sagt Stefan Niedermaier. Da dieser Prozess in Biel aber wohl länger dauere als im Wallis, hat Bayard Niedermaier ins Unternehmen geholt.


«Ich finde es wichtig, dass wir Medienvielfalt mit stolzen Journalisten haben»: So begründet der Berner IT-Unternehmer Stefan Niedermaier sein Engagement beim Gassmann-Verlag (Bild: Christine Strub)

Und warum ist Niedermaier, dem die IT-Firma DV Bern gehört und der von 2005 bis 2012 Geschäftsführer des Berner Fussballclubs Young Boys war, mitten in der Medienkrise bei Gassmann eingestiegen? «Weil mich das Metier interessiert und ich es wichtig finde, dass wir Medienvielfalt mit stolzen Journalisten haben», sagt Niedermaier. Er wolle helfen, den Gassmann-Verlag nachhaltig aufzustellen, damit das Seeland weiterhin ein unabhängiges und rentables Medienhaus habe. Sein Investment sei dabei nicht auf eine persönliche Rendite ausgerichtet, betont er.

Der nächste wichtige Schritt der beiden Unternehmer ist die Anstellung einer neuen publizistischen Leitung. Diese Funktion ist seit dem Abgang von Ajour-Chefin und publizistischen Leiterin Sophie Hostettler und Bieler-Tagblatt-Chefredaktor Lino Schären im Februar vakant.

Da Niedermaier und Bayard gerne eine Person holen würden, die sich auch unternehmerisch engagiert, hat diese Suche lange gedauert. «Nun haben wir aber sehr gute Bewerbungen auf dem Tisch», sagt Niedermaier und verschwindet zusammen mit Bayard im kargen Chefbüro des Medienhauses zur Verwaltungsratssitzung.