2016 ist H.U. Stegers Kinderbuch-Klassiker «Die Reise nach Tripiti» als Oper für die ganze Familie aufgeführt worden. Es geht um den zerschlissenen Teddybären Theodor, der deswegen ausgeschaubt wird, im Müll Schicksalsgenossen findet und es mit diesen an den Sehnsuchtsort Tripiti schafft. Das Theater Winterthur, das Musikkollegium Winterthur und Konzert Theater Bern wagten es, das Vor-68er Utopie-Buch zum Musiktheater umzugestalten – und hatten Erfolg bei Jung und Alt.
Jetzt versuchen sie es erneut, diesmal nicht für Familien, sondern ausdrücklich für Jugendliche und Erwachsene. Und es gibt kein bestehendes Werk als Ausgangspunkt. Ja ursprünglich gab es nicht einmal ein bestimmtes Thema. In offener Diskussion fanden Xavier Zuber und Pamela Dürr die Fragen, um die es gehen soll: die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz, die Robotik, die Beziehung zwischen natürlichen Menschen und von Menschen geschaffenen Kunstfiguren. Eine Art Pygmalion, aber nicht aus Fleisch und Blut mit antrainierter Kultur, sondern Figuren aus Kunststoff und programmierter Verhaltensweise, lern- und erinnerungsfähig im Rahmen der ihnen eingegebenen Möglichkeiten. So entstand die Science-Fiction-Oper «humanoid», ein Werk voller Ängste und Emotionen für 6 Spielerinnen und Spieler.
Worum geht es in groben Zügen? Wir sind im Jahr 2037. Nach einem Unfall überlebt der Programmierer Jonah, seine Freundin Vivienne stirbt. Jonah lässt sie in Gestalt einer Androidin wieder auferstehen, liebt sie, beendet die Beziehung, zerstört letztlich sein Werk und schafft ein Neues: Alma. Es folgen – operngemäss – Verwicklungen, Irrungen und Wirrungen. Ein Kind sagt Alma, sie könne bestimmen, wer sie sei. Am Ende der Geschichte stürmen das Kind und die noch «lebenden» Androide hinaus in die Welt. Die Zukunft ist offen.
«humanoid» ist das Werk der Autorin Pamela Dürr, die bereits das Libretto für «Die Reise nach Tripiti» verfasst hat. Die Musik für 6 Sängerinnen und Sänger und 15 Instrumentalistinnen und Instrumentalisten schrieb Leonard Evers, ein junger, vielfach ausgezeichneter holländischer Komponist und Dirigent. Sein Werk »Gold» (nach dem Märchen »Der Fischer und seine Frau») ist eine der am meisten gespielten Kinderopern.
Als Dramaturgin und Fadenzieherin in der Mitte wirkt Barbara Tacchini. Sie war u.a. Dramaturgin an der Staatsoper Hannover, leitete die Junge Oper in Stuttgart, arbeitet regelmässig mit Ruedi Häusermann zusammen und leitet derzeit Musikvermittlung und Marketing im Kammerorchester Basel. Sie ist es auch, die im Vorfeld mit Jugendlichen aus Schulklassen von Bern und Winterthur über das Thema und dessen Behandlung in der Oper diskutiert hat. Daraus zwei Aussagen. Eine Schülerin bezweifelt «sehr, dass ein Roboter imstande ist zu lieben oder für einen Menschen Gefühle zu haben». Und ein Schüler denkt, «die Roboter werden merken, dass sie nur Diener sind, und sie werden probieren, an die Macht zu kommen.»
Wie werden wir aus den Zuschauersitzen das Geschehen auf der Bühne (inszeniert von Cordula Däuper im Bühnenbild von Ralph Zeger) erleben? Als noch weit entfernte technizistische Phantasie wie die Romane von Jules Verne, Stanislaw Lem oder Isaac Asimov? Als ein Spiel, das in den Robotern – die in Japan alte Leute pflegen und ihnen Aufmerksamkeit widmen, in Deutschland Autos bauen und als Sexpuppen Zärtlichkeit versprechen – bereits teilweise Realität ist? Als Szenario, mit dem wir uns lieber früher als später auseinandersetzen sollten, weil nichts ungetan bleiben wird, das man tun kann?
Ich weiss es nicht. Sicher ist es kein guter Rat, den Kopf in den Sand zu stecken. Deshalb: Hingehen, schauen, hören. Am 14. März ist Berner Première in Vidmar 1.