Wenn Hitze tötet

von Rita Jost 1. August 2022

Sommerserie (11): Der Europäische Gerichtshof hat eine Klage der Klimaseniorinnen angenommen. Nun muss sich die Schweizer Regierung vermehrt um die Gefährdung der ältesten Bevölkerung bei Hitzewellen kümmern. Ein Entscheid, der Auswirkungen für ganz Europa haben könnte.

Die Schweiz macht es besser. Derart uneingeschränktes Lob hört man selten aus deutschen Medien. In der Wochenzeitung ZEIT konnte man es kürzlich lesen.

Zu verdanken war diese Anerkennung aus dem Norden den Klimaseniorinnen. Der Verein mit über 2000 Rentnerinnen hat mit einer Klage am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bewirkt, dass sich die Schweizer Regierung wohl künftig vermehrt den Gefährdungen der (ältesten) Bevölkerung in Hitzetagen annehmen muss. Der Gerichtshof hat eine Klage der Seniorinnen angenommen. Verhandlungen finden demnächst statt. Mit Auswirkungen im besten Fall für ganz Europa.

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Offiziell stirbt niemand an Hitze. Die Diagnose «Hitzetod» kommt praktisch nicht vor in den Sterbeprotokollen. Meistens ist es das Herz, sind es die Nieren oder sonst eine latent vorhandene Krankheit, die den alten Menschen in den Hitzetagen zusetzen, sie sterben lassen.

Die Zusammenhänge zwischen Hitze und Übersterblichkeit bleiben in vielen Fällen statistisch nicht erhoben und in den Medien nicht erwähnt. In diesem Jahr ist das etwas anders: Die extreme Hitze hat zu Schlagzeilen und zur Sensibilisierung des Themas Hitze und Alter geführt.

Bern führend in der Forschung

In der Schweiz werden die Zusammenhänge seit einigen Jahren intensiv untersucht. Eine Studie der Uni Bern, die bereits im März unter dem Titel «Extreme Temperaturen fordern einen hohen Preis» veröffentlicht wurde, belegt es mit Zahlen. Die Öffentlichkeit erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass die Forschungsgruppe «Klimawandel und Gesundheit» der Universität Bern weltweit Führendes leistet.

Ana Vicedo-Cabrera, die Leiterin der Gruppe, koordinierte eine internationale Studie, die erstmals den tatsächlichen Beitrag des menschengemachten Klimawandels an hitzebedingten Todesfällen aufzeigte. Das wichtigste Resultat: Zwischen 1991 und 2018 waren global mehr als ein Drittel aller Todesfälle, bei denen Hitze eine Rolle spielte, auf die Klimaerwärmung zurückzuführen.

Die Untersuchung schlug international hohe Wellen. Gemäss «Carbon Brief», einer auf Klimawissenschaft und-politik spezialisierten britischen Website, war sie 2021 die Klimastudie, die weltweit am häufigsten in den Medien erwähnt wurde.

Ältere Menschen schützen

Die neuen Forschungsergebnisse sind relevant für die Anpassung der Schweiz an den Klimawandel, schrieb der Mediendienst der Uni Bern bereits im März. Und zitierte Evan de Schriiver, ein Mitglied der Forschungsgruppe: «Der Schutz älterer Menschen könnte von entscheidender Bedeutung sein, um die gesundheitlichen Folgen einer Klimaerwärmung zu mindern und die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung zu stärken».

Die Zahl der Menschen, die ihres Alters wegen von den Risiken einer Hitzewelle betroffen sind, wird sich bis 2060 verdoppeln.

Denn in einer zunehmend älterwerdenden Gesellschaft wirkten sich auch die steigenden Temperaturen immer stärker auf die gesamte Gesundheit aus. Die Zahl der Menschen, die ihres Alters wegen potenziell von den Risiken einer Hitzewelle betroffen sind, so die Studie, wird sich bis 2060 verdoppeln.

Die Kombination aus Klimaerwärmung und Bevölkerungsalterung wird die Auswirkungen der Hitze tendenziell  verschärfen. «Wenn wir also künftige Generationen vor der Bedrohung des Klimawandels schützen wollen, sollten wir auf nationaler und lokaler Ebene ehrgeizigere Anpassungsstrategien entwickeln, wie zum Beispiel mehr Grünflächen in Städten, um die Hitze zu reduzieren», ist Schrijver überzeugt.

Keine Zeit für Häme

Höchste Zeit also, dass das Thema von der Politik erkannt wird und auf die Traktandenliste kommt. Die Klimaseniorinnen machen seit Jahren auf die Zusammenhänge zwischen Übersterblichkeit von alten Menschen und Hitze aufmerksam. Und sind nun mit ihrer Klage an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch einen Schritt weiter gegangen. Auf ihrer Website haben sie auch die Studie der Uni Bern und weitere Faktenblätter verlinkt.

Die Schweizer Klimaklage ist der zweite Klimafall am Gerichtshof, der verhandelt wird (Foto: Emanuel Büchler).

Als die NZZ am Sonntag am 17. Juli schrieb, die Frauen hätten sich von Greenpeace vor den Karren spannen lassen, sie seien bloss die Trojanerinnen der Umweltorganisation, war die Reaktion verärgert bis genervt. Stefanie Brander, Vorstandsmitglied der Klimaseniorinnen «bedankte» sich in einem Leserbrief für das Kompliment («…die Trojanerinnen waren Opfer und Heldinnen des Widerstands in einem patriarchalen Verwüstungskrieg. Und sie haben – wenn auch vergeblich – vor dem Untergang Trojas gewarnt»).

Und Cecile Bühlmann, ehemalige Greenpeace-Präsidentin, erinnerte daran, dass die Klimaseniorinnen mitnichten unbedarfte Alte seien, sondern zu einem Grossteil erfahrene Politikerinnen. Wenn die Politik so sehr versage wie beim Klimaschutz, müssten Kooperationen gesucht werden: «Es geht nämlich um viel, um unser aller Zukunft auf einem gefährdeten Planeten!»