«Sie wollten berechtigterweise informiert werden – heute werden Sie informiert». So eröffnete der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) am Freitagnachmittag die Medienkonferenz zur Polizei- und Militärübung «Fides 22». Zuvor hielt sich die Berner Sicherheitsdirektion (SID) bezüglich Einzelheiten der Übung bedeckt. Der Wochenzeitung (WOZ) wurde gar gänzlich die Auskunft verweigert – ohne Angabe einer Begründung.
Auch auf Anfrage von Journal B wollte SID-Vorsteher Philippe Müller (FDP) im Vorfeld keine Einzelheiten verraten, «was wir schon wiederholt gesagt haben». Er erklärt: Die Übung verliere an Effektivität, wenn die Soldaten schon vorher jedes Detail lesen könnten.
Geübt wurde in Bern ein simulierter Krisenfall: Eine fiktive Organisation verübt mehrere Anschläge ausserhalb des Kantons. Die Berner Polizei unterstützt den entsprechenden Korps und muss deswegen einige Aufgaben an die Armee übergeben. Etwa den Schutz des Bundesamtes für Gesundheit in Köniz, die Überwachung der Autobahnraststätte Grauholz sowie das Coop-Verteilzentrum in Riedbach.
Das Szenario orientiert sich an der Sicherheitsverbundsübung 2019 (SVU 19); einer ähnlichen Übung, in deren Szenario die Schweiz gemäss Schlussbericht einer «länger andauernden Terrordrohung» ausgesetzt ist.
Initiiert habe die Übung die Berner Sicherheitsdirektion, erläutert SID-Vorsteher Müller. Kosten entstünden dadurch keine, da bei der Kantonspolizei die geleisteten Stunden als Weiterbildung gelten. Die Armee sei ohnehin im Rahmen eines Wiederholungskurses im Einsatz, was der Bund auf Anfrage bestätigt. Andere Stellen wie Fedpol waren laut Müller ebenfalls informiert. Auch zum Krieg in der Ukraine besteht kein direkter Zusammenhang, denn die Übung hätte schon vor der russischen Invasion begonnen, wenn sie nicht aufgrund der Covid-Pandemie hätte verschoben werden müssen.
Weder Militär-Spektakel noch Sabotage-Aktionen
Als Berner*in hat man diese Woche vielleicht vermehrt mal ein gepanzertes Fahrzeug oder Uniformierte gesehen. Einen simulierten Krisenfall dürfte man mit hoher Wahrscheinlichkeit aber nicht bemerkt haben. Keine sich-abseilenden Spezialeinheiten, keine grossräumigen Absperrungen; kein Spektakel.
«Ein grosser Teil solcher Übungen findet im Hintergrund statt», erklärt Müller. Es gehe vor allem darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das Militär setze hier Aufträge der Polizei um, denn diese habe bei der Übung «den Lead», hält Müller fest. Eine abschliessende Bilanz könne so kurz nach der Übung nicht gezogen werden. Störungen oder Sabotagen, wie sie im Vorfeld aus linksautonomen Kreisen angekündigt wurden, habe es keine gegeben. «Die Übung verlief von A bis Z plangemäss», so Müller.
Das heisst natürlich nicht, dass in der Stadt Bern der Protest gegen die grossangelegte Polizeiübung ausgeblieben wäre. Neben inhaltlichen Veranstaltungen in unterschiedlichen Lokalen zogen am Sonntag rund 150 Menschen durch die Gassen, um ihren Unmut kundzutun. Am Dienstagabend fand eine kleinere Velo-Demo statt.
Während der Name der Polizei-Übung der Personifikation des Vertrauens in der römischen Mythologie entlehnt ist, nutzten die Gegner*innen die Gelegenheit, eben jenes Vertrauen in staatliche Gebilde grundsätzlich zu hinterfragen. Dabei betreffe ihre Kritik «nicht nur diese und ähnliche Übungen», wie die autonome Gruppe «No Fides» auf Anfrage von Journal B sagt. «Sondern den Staat und die Institutionen Polizei und Militär an sich». Diese nehmen die Aktivist*innen als bedrohlicher wahr als eine «fremde Bedrohung von aussen».
Mit Verweis auf eine vergleichbare Übung namens «Connex», die 2015 in Basel stattgefunden hat, sprechen die Kritiker*innen auch von der Tendenz, «dass das Militär immer mehr auf Einsätze im Inneren, also für zivile Einsätze vorbereitet wird». Zudem werde auch die Polizei immer stärker militarisiert, was sich bereits an der Veränderung der Ausrüstung über die letzten Jahrzehnte zeige. Dieser Ausbau der Mittel und Möglichkeiten der Staatsgewalt habe den Zweck, die «unerwünschten, die nicht fügsamen, nicht disziplinierten Menschen zu überwachen und zu kontrollieren».
Angst vor erhöhter Repression
Diese Befürchtungen teilt die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSOA). «Eine Trennung der Polizei und der Armee ist zwingend notwendig», sagt Sekretärin Anja Gada auf Anfrage. Dies um zu verhindern, «dass politische Bewegungen im ‹Innern› als feindlich eingestuft und mit einer militärischen Logik bekämpft werden».
Tatsächlich wurde die Polizei mit Inkraftreten des «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT) mit erweitertem Spielraum ausgestattet. Insbesondere die dehnbare Auslegung, wonach bereits die «Verbreitung von Furcht und Schrecken» als Terror gilt, ist bei Expert*innen höchst umstritten.
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Zudem kennt der Kanton Bern seit zwei Jahren ein neues Polizeigesetz, das unter anderem die Überwälzung von Kosten an Teilnehmende oder Veranstalter*innen von Veranstaltungen – etwa Kundgebungen – ermöglicht. Es steht die Befürchtung im Raum, dass diese neuen Rechtsmittel gegen Menschen eingesetzt werden, die sich politisch engagieren, beziehungsweise, dass diese sich dadurch abschrecken lassen, noch bevor sie aktiv werden.
Sicherheitsdirektor Müller hat dafür überhaupt kein Verständnis. «Diese Übung hat nichts mit dem PMT zu tun», sagt er. Sie reihe sich auch in keinen Trend zum Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates ein.
«Diese extremen Aktivisten meinen immer, Soldaten rennen ihnen nach», so Müller weiter. Das sei «völlig falsch», findet er. Es gehe bei der Übung nicht um «Aufstandsbekämpfung» oder um eine «Belagerung der Stadt», sondern darum, die Zusammenarbeit zwischen Militär und Polizei beim Schützen und Beobachten zu üben. «Das Szenario ist dabei nicht so wichtig», sagt Müller. Es könne eine Terrorsituation sein oder aber ein Naturereignis wie etwa ein Hochwasser.
Das sieht die Gruppierung «NoFides» anders. Sie sind sich sicher: Sollten genug Menschen die herrschenden Verhältnisse nicht mehr akzeptieren und einen radikalen sozialen Umbruch anstreben, werde «mit Sicherheit» das Militär und die Polizei aufgeboten. «Wenn Philippe Müller dies abstreitet, lügt er professionell oder denkt wirklich sehr, sehr realitätsfern.» Wenn dieser sage, «dass es in dieser Übung nicht um Aufstandsbekämpfung geht, so will er wohl sagen, dass sie den Einsatz im Fall einer ‹Terroristischen Bedrohung› inszenieren».
Der Begriff «Terrorismus» werde in diesem Kontext stellvertretend verwendet, um ein Feindbild zu schaffen, welches legitimiere, «alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen und jegliche Grundrechte übergehen zu können». Zudem diene er dem «Schüren von anti-muslimischem Rassismus».
Für Sicherheitsdirektor Müller ist das alles ein Fantasiegebilde. «Der Lärm der Aktivisten ist meines Erachtens mehr ein Versuch, auf sich aufmerksam zu machen», sagt er. Mit der Realität hätten deren Vorstellungen hingegen nichts zu tun. Zudem bewege sich ihre Kritik fernab der Probleme der Bürgerinnen und Bürger. «Diese sorgen sich vor solchen oder anderen, zum Beispiel naturbedingten, Bedrohungen.»
Müller erläutert: «Diese Terroranschläge, die in Europa stattgefunden haben – das hätte man ja früher nie für möglich gehalten», sagt er. Als aktuelles Beispiel nennt er den «möglicherweise islamistisch motivierten Anschlag gegen Schriftsteller Salman Rushdie», oder das Buskers, wo Betonblöcke zum Schutz vor Anschlägen aufgestellt wurden.
Ringen um Realität
Die Polizei- und Armeeübung «Fides 22» bleibt schwer greifbar. Der behördliche Initiator und die autonomen Gegner*innen werfen sich gegenseitig Realitätsferne vor. Während Müller wiederholt betont, dass das Szenario eine untergeordnete Rolle spielt, halten die kritischen Stimmen daran fest, dass genau dieses entscheidend sei, um den fortschreitenden Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates zu legitimieren.
Trotz diesem Schattenboxen scheint die Übung in der zunehmend unsicheren Weltlage grundsätzliche Fragen aufzuwerfen. Wichtige Fragen. Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt – und Fragen, über die es sich definitiv zu streiten lohnt. Dabei werden gewisse Ängste aus der Bevölkerung ernst genommen. Die Angst vor Terror und Krieg sollte aber nicht diejenigen stummschalten, die einen ausgebauten staatlichen Sicherheitskomplex als Bedrohung für ihre Freiheit und Grundrechte sehen. Spannender als diese Fragen nur aufzuwerfen, wäre aber ein Ringen um treffende Alternativen und Lösungen.