Im Glockenstuhl der Friedenskirche im Berner Mattenhofquartier hängen über zehn Tonnen Bronze. Vier Glocken gehören zum Kirchengeläut. Sie tönen in as, c, es und f und verkünden die Zeit viertelstündlich. Herr über die 92 Jahre alten Klangkörper ist Sigrist Urs Wiedmer. Und er ist auch ihr Fan: «Wir haben ein wunderschönes Geläut.» Die Lautstärke hat ihn nie gestört. Dabei wohnte er 24 Jahre lang zu Füssen des Kirchturms. In all den Jahren habe seine Familie immer gut geschlafen, sagt er.
«Wir haben ein wunderschönes Geläut.»
Urs Wiedmer, Sigrist
Aber Wiedmer weiss, dass nicht alle Leute Freude am nächtlichen Glockenschlag haben. «Ich glaube, wenn man ein Problem mit der Kirche als Institution hat, kann einen der Ton stören», vermutet Wiedmer. In der Länggasse hatte der jahrelange Kampf Erfolg. Die Glocken der Pauluskirche dürfen seit einem Jahr nachts nicht mehr die Zeit schlagen. Den Ausschlag gegeben hatte eine Lärmmessung des Polizeiinspektorats. Der Glockenschlag hatte den Grenzwert von 60 Dezibel um 18 Dezibel deutlich überschritten.
Reklamationen wegen zu leiser Glocken
Auch bei der Kirchgemeinde Frieden gab es immer wieder vereinzelte Reklamationen, aber sie seien jeweils im Sande verlaufen, sagt Wiedmer. In letzter Zeit gibt es nun wieder Beschwerden – aber aus einem anderen Grund: Die Kirchenglocke ist zu leise. Die Wahrnehmung der Kirchennachbarschaft ist richtig: Seit einigen Wochen schlagen die Glocken der Friedenskirche nachts deutlich leiser die vollen und die Viertelstunden. Obwohl es vorher keine Beschwerden wegen der Lautstärke gegeben hat und sich keine Initiative gegründet hat. Warum also?
«Wir wollten Reklamationen zuvorkommen.»
Bruno Stoll, Kirchmeieramt
«Wir wollten Reklamationen zuvorkommen, denn Zeitangaben durch Glockenschläge werden heute viel mehr diskutiert als früher», sagt Bruno Stoll, Abteilungsleiter beim Kirchmeieramt. Viele Leute richteten sich nach der Zeitangabe, andere fühlten sich nachts gestört. Der Klang der Friedenskirchenglocken ist denn auch weithin zu hören, zumal der 46 Meter hohe Kirchturm auf einer kleinen Anhöhe steht, Veielihubel genannt. Ob die Situation mit der Pauluskirche den Ausschlag gegeben habe, konnte Stoll nicht sagen.
Technisch seit kurzem möglich
Erstmals in Bern hat das Kirchmeieramt beschlossen, den Zeitschlag der Friedenskirche zwischen 22 und 6 Uhr zu dämpfen. Die Kosten für diese Massnahme lägen im vierstelligen Bereich, sagt Stoll. Bereits im August hat die H. Rüetschi AG dafür eine elektronisch gesteuerte Schlagreduktion am Geläut eingebaut. «Der Hammer schlägt nun weniger stark auf die Glocke», erläutert Thomas Schürpf vom Aarauer Traditionsunternehmen, das nicht nur Glocken giesst, sondern sie – wenn gefordert – verstummen oder leiser tönen lässt.
«Künftig könnte das leisere Anschlagen eine Option für andere Gemeinde werden.»
Thomas Schürpf, Glockengiesser
Bereits an einigen Schweizer Kirchen haben die Aarauer Glockengiesser solche sogenannten Schlagabsenkungen eingebaut. «Der reduzierte Glockenschlag ist technisch allerdings erst seit einigen Jahren möglich», sagt Schürpf. Bei der Friedenskirche sei der Zeitschlag in der Nacht nun aus Entfernung nur noch leicht hörbar. «Künftig könnte diese Technik eine Option für andere Gemeinde werden», sagt Schürpf.
An den Glockenton angepasst
«Wir haben seither viele Rückmeldungen erhalten, aber allesamt kamen von Leuten, die sich darüber beklagt haben, die Kirchenglocke sei nachts deutlich zu leise», sagt Sigrist Wiedmer. Er selbst ist so sehr an den Glockenton angepasst, dass er ihn nicht mehr bewusst wahrnimmt. Wohl aber, wenn er fehlt. «Als einmal das Geläut aus technischen Gründen stillstand, ist es mir nicht gleich aufgefallen. Ich fühlte mich nur den ganzen Tag über seltsam.» Erst am Abend, als das 18-Uhr-Läuten ausblieb, realisierte Wiedmer, was anders war.