Alltag - Kolumne

Wenn beim Schreiben Flügel wachsen

von Basrie Sakiri-Murati 2. Oktober 2025

Kolumne Basrie Sakiri-Murati Das Schreiben half unserer Kolumnistin in schweren und einsamen Momenten weiter – sowohl während ihrer Jugend im Kosovo als auch später in der Schweiz.

Ich war kaum 10 Jahre alt, als ich anfing, meine Gedanken in Form von Gedichten aufzuschreiben. Einige Jahre später begann ich, Tagebücher zu schreiben. Bis ich ins Gymnasium ging, behielt ich das Schreiben aber für mich. Erst danach hatte ich die Möglichkeit, eines meiner Gedichte bei einer literarischen Gruppe vorzulesen. Die Teilnehmenden waren beeindruckt, das motivierte mich, weiterzuschreiben. Ich fing an, Prosa zu schreiben, behielt jedoch die Texte für mich. Zu dieser Zeit war jedes Wort zu politischen Vorgängen unter der serbischen Regierung strafbar. Trotzdem verspürte ich ein grosses Bedürfnis zu schreiben.

Über die aktuelle Lage von Albanern und Albanerinnen durfte man sich nur unter vertrauenswürdigen Freunden und im engsten Familienkreis äussern. Zu hoch war die Strafe, die einem drohte, falls die Texte in die Hände der Regierung gerieten. In meinen Gedichten tarnte ich Vorgänge und Handlungen oft durch Tiere oder Pflanzen. So hatten die Sicherheitsbehörden und ihre Informanten es schwerer, den Sinn und die Absicht meiner Texte zu entziffern.

In meinen Gedichten tarnte ich Vorgänge und Handlungen oft durch Tiere oder Pflanzen.

Das war eine Schreibstrategie die auch andere nutzten. Der Schriftsteller Adem Demaçi beispielsweise. Er war sehr jung, erst 22-jährig, als sein Buch «Gjarpijt e gjakut» («Blutschlangen») veröffentlicht wurde. Kurz danach wurde er von der serbischen Regierung verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Ungern erinnere ich mich an diese unfreie Zeit. Als Mädchen aus dem Dorf durfte ich in meiner Freizeit weder meine Freundinnen kontaktieren noch an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen. Konzerte, Theater- oder Kinobesuche waren undenkbar. Das Schreiben verlieh mir in dieser Situation Flügel: ich fühlte mich wenigstens seelisch freier.

Dann floh ich in die Schweiz. Anfangs konnte ich kein einziges Wort Deutsch. Möglichkeiten an albanische Literatur zu gelangen, gab es in den ersten Jahren kaum. Schreiben (auf Albanisch versteht sich) war meine Rettung. Obwohl ich dies nur für mich tat, fühlte ich mich dadurch mit meiner Heimat verbunden und das Alleinsein in der Schweiz fiel mir leichter.

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Meinem Tagebuch konnte ich Gedanken anvertrauen, die ich sonst mit niemandem teilen konnte. Mir fehlte die Sprache, aber auch das Vertrauen. Als Albanerin tickte ich in den ersten Jahren hier ziemlich anders als die einheimischen jungen Frauen. Das Schreiben verlieh mir Mut, weiterzumachen und mich nicht verstecken zu müssen.

Rund dreissig Jahre später empfahlen mir meine Freunde, meine Geschichte in einem Buch zu veröffentlichen. Diesen Schritt als Kosovo-Albanerin zu machen, brauchte Mut. Sehr viel Mut! Mit Unterstützung meiner Familie und vieler Freunde wagte ich diesen Schritt. Mein Buch («Bleibende Spuren») erschien 2019 beim Rotpunktverlag, und es kam bei den Leser*innen gut an. Den ersten Teil meines Buches hatte ich bereits in Tagebuchform auf Albanisch geschrieben. 2018 übersetzte ich es und passte es an. Den zweiten Teil schrieb ich 2018 auf Deutsch.

Durch meine Texte im Buch und in der Kolumne habe ich unzählige wunderbare Begegnungen erlebt.

Im Sommer 2021 wurde ich von Journal B angefragt, ob ich bereit wäre, für das Onlinemedium Kolumnen zu schreiben. Meine Freude darüber war riesig. Begeistert nahm ich das Angebot an, obwohl ich noch keine Erfahrungen hatte, auf einer solchen Plattform meine Gedanken zu äussern. Am Anfang war es für mich eine Herausforderung, vor allem hatte ich Mühe mich kurz zu halten und pro Artikel nur ein Thema zu beleuchten. Wir vereinbarten, dass ich ungefähr ein Jahr lang regelmässig schreibe. Nun jedoch bin ich schon im vierten Jahr Kolumnistin. Die Redaktion sagt mir, dass meine Kolumnen ankommen und gut gelesen werden. Das motiviert mich weiterzuschreiben.

Durch meine Texte im Buch und in der Kolumne habe ich unzählige wunderbare Begegnungen erlebt und wertvolle Erfahrungen machen dürfen. Für mich sind dies unersetzliche Bereicherungen im Alltag. Ich habe das Gefühl, eine Brücke zwischen zwei Kulturen schlagen zu können.