Politik - Kolumne

Wenn Arbeiter*innen aus dem Nähkästchen plaudern

von Kat 14. April 2025

Vista Activa Letzten Winter hat unsere Kolumnistin sechs Arbeiter*innen in einem Schlichtungsverfahren begleitet. Hier erzählt sie von ihren Erfahrungen mit uneinsichtigen Arbeitgeber*innen und höchst problematischen Arbeitsverhältnissen.

«Schlichtungsverhandlungen sind drum mein Hobby», sage ich zu der Interessentin für unser WG-Zimmer in der Länggasse. Wir sprechen gerade über unsere Miete und dass sich diese vielleicht noch ändert: Wegen der Sanierung (asbestfrei since February 2025 – yeah!) und halt auch wegen der Teuerung. Doch ich habe die Ressourcen, der Hauseigentümerin auf die Finger zu schauen. Ich habe das Wissen über die rechtlichen Bestimmungen, respektive kann mir dieses beschaffen. Ich habe die Energie, mich zu wehren, wenn wieder mal Mieter*innen oder Arbeiter*innen unten durch sollen.

Die Bewerberin für unsere WG zieht ein wenig die Augenbraue hoch und lacht kurz. Sie ist sich wohl nicht sicher, ob Schlichtungsverhandlungen wirklich mein Hobby sind oder ob ich Witze mache. Natürlich ist das ein kleiner Scherz von mir – Schlichtungsverhandlungen sind kein Hobby, sondern Teil meiner unbezahlten Arbeit für die Basisgewerkschaft FAU. Ich bin sowohl Mieterin wie auch Arbeiterin. Deswegen bin ich solidarisch mit denen, die nicht die gleichen Ressourcen haben wie ich. So habe ich letztes Jahr sechs Arbeiter*innen vor Gericht gegenüber ihren Arbeitgeber*innen vertreten, die in der letzten Skisaison im Berner Oberland arbeiteten.

Die Gerichtsverhandlungen waren aber nur das letzte Kapitel in einer fast ein Jahr andauernden Geschichte, geprägt von massiven Ungleichheiten, viel Arbeit und oft Fassungslosigkeit von meiner Seite. Wie an der WG-Besichtigung plaudere ich jetzt aus dem Nähkästchen und erzähle euch diese Geschichte.

Alles begann im Winter 2024, als mehrere Arbeiter*innen sich mit einem Hilferuf an die FAU wandten, weil sie unrechtmässig aus ihrer Unterkunft geworfen werden sollten. Meine Genoss*innen konnten dies zum Glück verhindern. Dabei lernten wir rund fünfzehn Arbeiter*innen aus zwei Skipistenrestaurants kennen, die, im Gastrobereich angestellt, nur für kurze Zeit in der Schweiz waren und fast alle kein Deutsch sprachen. Schnell stellten wir fest, dass ihre Arbeitsverträge zwar rechtlich in Ordnung, aber auf dem schlechtesten Niveau für die Beschäftigten waren. Kurz gesagt: Die Arbeitsbedingungen waren mies.

Ich sah Lohnabrechnungen mit Minusbeträgen, weil von Kassenfehlern über zusätzliche Zimmer bis zu Reinigungen in einer externen Unterkunft alles berechnet und direkt vom Lohn abgezogen wurde.

Ich sah die unangenehme Wohnsituation der Arbeitenden. Ich sprach mit Leuten, die unter massivem psychischem Druck standen und teilweise Mobbing durch ihre Vorgesetzten erlebten. Ich hörte davon, dass mindestens zwei von ihnen wegen den Erlebnissen auf der Arbeit in therapeutische Behandlung gehen mussten. Ich weiss, dass mehrere von ihnen in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, weil sie die Löhne nicht bekamen. Ich bekam mit, wie sie versuchten zu ihrem Recht zu gelangen und dadurch nur noch mehr Druck ausgesetzt wurden.

Auf Seiten der Betriebe bekam ich auch einiges zu sehen. Ich bekam mit, wie einer der Chefs mit Beleidigungen und Drohungen auf die Arbeitenden losging. Ich sah Lohnabrechnungen mit Minusbeträgen, weil von Kassenfehlern (eigentlich ein Risiko des Betriebs) über zusätzliche Zimmer bis zu Reinigungen in einer externen Unterkunft alles berechnet und direkt vom Lohn abgezogen wurde. Ich erlebte mit, dass mehrere Arbeiter*innen gar keinen Lohn erhielten, weil ihre Arztzeugnisse einfach nicht akzeptiert wurden.

Ein knappes Jahr lang beharrten die Betriebe darauf, dass alles korrekt sei. Die FAU erhielt sogar eine Strafanzeige, weil wir die Geschichte der Angestellten öffentlich erzählt hatten und das Strafverfahren wurde nicht «anhand genommen». Das bedeutet, dass den Behörden die Vorwürfe so unglaubwürdig oder strafrechtlich nicht relevant schienen, dass nicht einmal ermittelt wurde. Und dann sass ich schliesslich an zwei Tagen in einem kleinen Gerichtssaal der Schlichtungsbehörde den Vertreter*innen der beiden Betriebe gegenüber.

Jetzt im Nachhinein erzähle ich scherzhaft, diese Verfahren seien mein Hobby. Wenn ich aber schon dabei bin, aus dem Nähkästchen zu plaudern, muss ich auch das Folgende anfügen. An den ersten beiden Verhandlungen (übrigens gegen die Bergbahnen Adelboden-Lenk AG) musste ich mir anhören, wie schwer es Arbeitgebende doch hätten. Dass die Angestellten immer mehr wollen würden. Dass sie sich einfach so hätten krankschreiben lassen. Dass der Betrieb so viel Aufwand gehabt habe deswegen. Dabei habe ich gemerkt: Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, wie einfach diese Täter-Opfer-Umkehr passiert. Wie einfach die Existenz der betroffenen Arbeiter*innen aufs Spiel gesetzt wird. Wie einfach das Mitgefühl ausgeschaltet wird, wenn es um lohnabhängige Menschen geht. Und wie einfach diese Vorgesetzten vergessen, dass sie selbst lohnabhängig sind, waren oder möglicherweise sein werden.

Wie oft haben sie diese Tricks schon angewendet und sind damit durchgekommen? Wie oft werden sie es wieder versuchen und Erfolg damit haben?

Im Gegensatz zu den ersten beiden Verhandlungen wurde bei den weiteren (übrigens gegen die Kappeler Gastro AG) nicht gejammert oder nach Ausreden gesucht. Fast bei allen strittigen Punkten lenkte der Vertreter gleich ein, gab die Fehler zu und kam unseren Forderungen entgegen. Sie sahen sich nicht in der Opferrolle, weil – so meine Vermutung – sie sich ihrer Dreistigkeit voll bewusst waren. Der Betrieb war zuvor etliche Male von den Arbeitenden und von uns auf diese Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht worden. Etliche Male hatten sie beteuert, dass alles korrekt laufe. Und dann konnte an der Schlichtungsverhandlung kein Beweis für diese angebliche Korrektheit geliefert werden. Bei alldem bleibt mir dieser fahle Beigeschmack: Wie oft haben sie diese Tricks schon angewendet und sind damit durchgekommen? Wie oft werden sie es wieder versuchen und Erfolg damit haben?

Die Arbeiter*innen in dieser Geschichte konnten sich Unterstützung holen und kämpfen. Gemeinsam konnten wir von beiden Betrieben zusammen fast 10’000 Franken erkämpfen plus rund 3’000 Franken ausstehende Versicherungsleistungen einer Krankentaggeldversicherung. Beträge, welche den Unternehmen kaum etwas ausmachen, doch für die lohnabhängigen Menschen einen grossen Unterschied bedeuten!

Diese Erfahrung zeigte mir, dass auch ich, als Mieterin, kämpfen kann. Sie zeigte mir, dass sich ein Hobby wie «Schlichtungsverfahren» auszahlen kann. Und sie zeigte mir, wie wichtig der Support unter uns als lohnabhängige Arbeiter*innen ist. Das alles ist mir jetzt wieder sehr präsent, so kurz vor dem 1. Mai. Der internationale Kampftag der Arbeiter*innen wird seit 1889 jährlich begangen – und ist so aktuell wie eh und je. Deswegen beteilige ich mich aktiv an der Organisation von «You Me Oui», der Aktivismus-Chilbi, die am 26. April in der Reitschule stattfindet. Deswegen werde ich am 1. Mai auf der Strasse sein, um den Zusammenhalt unter uns Arbeiter*innen zu stärken, darauf aufmerksam zu machen, zu bewegen und bewegt zu werden. Und deswegen werde ich mich nach dem 1. Mai weiterhin für die Rechte aller Arbeiter*innen einsetzen, mich engagieren für jene mit weniger Möglichkeiten als ich sie habe und mich mit meinen Genoss*innen und meiner Klasse organisieren!