In den Werken der amerikanischen Künstlerin Sarah Morris dreht sich alles um Städte: New York, Rio de Janeiro, Peking und andere Weltmetropolen stehen auch im Mittelpunkt der Ausstellung im Zentrum Paul Klee. Die Gegenstände, die von Morris in ihren Gemälden und Filmen untersucht werden, haben deshalb auf den ersten Blick wenig mit der Lebensrealität des Schweizer Publikums gemeinsam.
Dennoch antwortet die Künstlerin auf Nachfrage des Journalisten, es gebe «no need for translation» – eine Übersetzung ihrer Werke auf Schweizer Verhältnisse sei nicht nötig. Die Schweiz habe zwar keine grossen Städte, aber auch hierzulande gebe es Dynamiken und Strukturen, die untersucht werden könnten.
Sarah Morris wurde 1967 in England geboren. Ihre Eltern wanderten in die USA aus, als Morris 18 Monate alt war. Sie lebt und arbeitet heute in New York City.
Strukturen aufzuzeigen ist eine der wichtigsten Absichten, die Morris in ihren Werken verfolgt. Der Titel der Ausstellung «All Systems Fail» bezieht sich auch auf den Fortschrittspessimismus und dem Versagen von gesellschaftlichen und politischen Strukturen. Als Musterbeispiel für Strukturen in ihrem Werk kann das Gemälde «Midtown – Armitron (Madison Square Garden» aus dem Jahr 1999 herbeigezogen werden.
Eine Übersetzung ihrer Werke auf Schweizer Verhältnisse sei nicht nötig, so die Künstlerin.
Das Bild ist in kleine Vierecke unterteilt, die mit verschiedenen Farben ausgefüllt sind. Dabei hat ein Viereck nie mehr als eine Farbe. Die Perspektive erinnert stark an eine dynamische Drohnenaufnahme oder, dem Fertigstellungsjahr des Werkes vielleicht entsprechender, an einen Flug im Helikopter vorbei an den Wolkenkratzern in Manhattan. Dieser Effekt wird durch die Grösse des Bildes (214cm x 214cm) verstärkt.
Die Betrachter*innen umfassen
Das Format des Gemäldes ist kein Zufall: Bei einem kurzen Blick in die Ausstellung fällt schnell auf, dass die allermeisten Werke im Raum grossformatig sind. Wie ein Interview im Ausstellungskatalog verrät, hat dies mit einer Vorliebe der Künstlerin zu tun. Sie habe Ende der 1990er-Jahre bei einer Ausstellung zu Jackson Pollock in New York ein riesiges Bild gesehen und sich gedacht, dass ein Teil von Pollocks Erfolg daher komme, dass dieser so das Gefühl vermittle, eine andere Welt zu schaffen. Mit grossformatigen Bildern versuche sie deshalb ebenfalls, die Betrachtenden zu umfassen.
Jeder Pinselstrich ist genau überlegt.
Das Thema der Strukturen zieht sich auch über die Werke hinaus weiter. Am Tag des Medienrundgangs ist der ganze Auftritt von Morris strukturiert: Ihre Antworten auf die gestellten Fragen wirken klar, überlegt, routiniert – strukturiert eben. Sie holt nicht zu langen Erzählungen aus, sondern antwortet direkt und in aller Deutlichkeit. Nichts scheint dem Zufall überlassen. Wie sie selbst erklärt, ist dies auch eine Eigenschaft ihrer Gemälde: Jeder Pinselstrich ist genau überlegt.
Das bedeutet allerdings nicht, dass es in den Bildern keinen Platz für Chaos oder eigene Interpretation gibt. Im Gegenteil, Morris führt den Blick der Betrachter*innen nicht. In ihren Bildern gibt es keinen Mittelpunkt und selten ein Element, das den Blick sofort auf sich reisst.
Inspiration aus der Natur
Besonders klar ist dies in ihren «Spiderwebs» zu sehen. Zu dieser Serie gehört auch das Werk, mit dem das Zentrum Paul Klee aktuell auf Plakaten und der Website für die Ausstellung wirbt. Die Idee für die Gemälde hatte Morris während der Covid-Pandemie. Sie beobachtete die scheinbar zufälligen Formen der Spinnennetze, die in und rund um ihr Haus auftauchten und wieder spurlos verschwanden. Diese Vergänglichkeit faszinierte die Künstlerin besonders. Sie sah Parallelen zu den städtischen Zentren, die durch die Pandemie und den Lockdown wie leergefegt wirkten.
Zum Gelingen der Ausstellung trägt auch die Umsetzung im Zentrum Paul Klee bei. Den Werken wird, trotz ihrer grossen Zahl, genug Platz gelassen. Auch hier zieht sich die Strukturiertheit weiter, fügen sich die Werke, trotz ihrer unterschiedlichen Form, zu einer Einheit zusammen.
Der Raum wird bis in die Details von klaren Linien dominiert. Ob gewollt oder nicht: Sogar die Halterungen der Lampen an der Decke passen zu den ausgestellten Werken und erinnern die Besucher*innen, die den Blick heben, an die geraden Linien der Serie «Spiderweb».
Berner Parallelen
Zum Schluss gilt es festzuhalten, dass sich die Werke von Morris nicht immer auf den ersten Blick erfassen lassen. Es ist deshalb empfehlenswert, sich Zeit zu nehmen, um den einzelnen Werken die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie benötigen.
Spätestens im 12er-Bus Richtung Innenstadt, wenn das SRG-Hochhaus in der Ferne über der Autobahn sichtbar wird und man sich an einzelne Gemälde der Austellung erinnert fühlt, dürfte bei vielen Besucher*innen der Gedanke aufkommen, dass die Werke von Morris, wie von der Künstlerin versprochen, tatsächlich auch in der beschaulichen Schweiz gut funktionieren.