Welche Zukunft für das Kino?

von Willi Egloff 1. November 2021

Mit dieser Frage befasste sich am vergangenen Samstag eine hochkarätige Diskussionsrunde im Berner Kino Rex. Klare Antworten gab es keine, aber es herrschte verhaltener Optimismus.

Geplant war die Veranstaltung für den vergangenen Oktober, als das Kellerkino sein 50-jähriges und das Kino Rex sein 5-jähriges Bestehen feierten. Corona machte das Vorhaben zunichte. An Aktualität hat das Thema seither aber nichts verloren, denn die Zukunft des Kinos bleibt ungewiss. Die Schliessung der Kinosäle aufgrund der Pandemie wirkte vielmehr als zusätzlicher Katalysator für die Veränderungen in der Kinolandschaft, wie Thomas Allenbach, der Leiter des Kino Rex, einleitend feststellte.

Tatsächlich führte die Unmöglichkeit, Filme im Kino zu zeigen, zu einem enormen Aufschwung der Streaming-Plattformen. Viele neue Filme wurden gar nicht erst in Sälen ausgewertet, sondern direkt im Stream vermarktet, und das wird wohl auch in Zukunft so bleiben. Dies reduziert nicht nur das Filmangebot für die Kinos, sondern es gewöhnt auch das Publikum daran, Filme nicht in dunkeln Sälen, sondern vor dem heimischen Bildschirm oder auf portablen Geräten zu sehen.

Filmvorführung als soziales Geschehen

Trotzdem sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Podium die Zukunft des Kinos eher optimistisch. Sie stimmten darin überein, dass Filmvorführungen vor allem auch als soziale Events geschätzt würden. Die Erfahrung, sich zu treffen, gemeinsam in einem verdunkelten Raum einen Film zu sehen und danach bei einem Bier oder bei einem Glas Wein darüber sprechen zu können, falle beim Heimkino meist weg. Es gehe daher nicht zuletzt darum, niederschwellige Zugänge zu schaffen, die es möglichst vielen Menschen, vor allem auch einem jüngeren Publikum erlaubten, diese soziale Erfahrung überhaupt einmal zu machen. Dies werde dann dazu führen, dass sie sich auch bei nächsten Gelegenheiten für den Erlebnisort Kino entscheiden würden.

Darüber, wie dieses Ziel erreicht werden könne, bestand dann aber deutlich weniger Einigkeit. So warnte Edna Epelbaum, Kinobetreiberin und Präsidentin des schweizerischen Kinoverbands, vor Aktionen mit Niedrigpreisen. Dadurch werde vor allem eine Gratismentalität bedient und der Markt verfälscht. Auch die vom Moderator Rüdiger Suchsland ins Spiel gebrachte Schaffung eines Generalabonnements für Kinoeintritte stiess auf Skepsis. René  Gerber, Geschäftsführer des Branchenverbands ProCinema, warnte vor dem administrativen Aufwand und vor der Schwierigkeit, einen angemessenen Preis festzulegen. Selbst dem Vorschlag, wenigstens einen lokalen Kinopass für Bern zu schaffen, konnte er wenig Positives abgewinnen.

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schliesslich darin, dass Filmvorführungen vermehrt auch einen Eventcharakter haben sollten. So würden etwa Festivals stark besucht, obwohl dort oft völlig unbekannte und in den Medien noch nicht angekündigte Filme gezeigt würden. Edna Epelbaum wies aber zu Recht auch darauf hin, dass solche Events nicht inflationär werden dürften. Stephanie Candinas, Filmproduzentin und Verleiherin, erinnerte auch daran, dass sich die Verleihfirmen mehrere solche Events gar nicht leisten könnten, weil sie mit hohen Kosten verbunden seien.

Fehlende Perspektive

Die Diskussion machte deutlich, dass es an einer langfristigen Vorstellung dessen, was die Zukunft des Kinos sein könnte, zurzeit fehlt. Die Frage des Moderators, wie denn die Kinos im Jahre 2046 aussehen würden, blieb weitgehend unbeantwortet. Das Nachdenken über solche langfristigen Perspektiven scheint durch die zahlreichen Probleme des Alltagsgeschäftes verhindert zu werden.

Grund dafür ist wohl nicht zuletzt, dass die betriebliche Struktur der Kinos der Entwicklung einer branchenübergreifenden Strategie im Wege steht. Die zahlreichen Kleinbetriebe und die wenigen grossen Kinoketten sehen sich in direkter Konkurrenz zueinander und fürchten alle, bei grossen Würfen benachteiligt zu werden. Das hat zur Folge, dass solche Vorschläge, die über das Tagesgeschäft hinausgehen, schon gar nicht entwickelt, geschweige denn von der ganzen Branche unterstützt werden.

James Bond als Hoffnungsschimmer

Einen kleinen Lichtblick scheinen immerhin die vergangen Monate gebracht zu haben: Die Eintrittszahlen der Schweizer Kinos stiegen deutlich an und erreichten vielerorts bereits wieder Vor-Pandemie-Niveau. Grund dafür war einerseits das schlechte Wetter im Juli, das offenbar viele Leute zum Kinobesuch animierte, andererseits die Lancierung des neuen James-Bond-Films, der die Kinosäle füllte. «Es ist halt wie immer», meinte Edna Epelbaum sarkastisch dazu, «das Wohlergehen des Kinos hängt vom Wetter und von den Filmen ab».

Ohne Zweifel hat der Publikumserfolg von «No Time To Die» einigen Kinobetrieben eine hochwillkommene finanzielle Verschnaufpause beschert. Die Kehrseite davon ist aber, dass durch solche Kassenschlager die Vielfalt des Angebots massiv eingeschränkt wird. Auf nicht weniger als 280 der rund 600 Kinoleinwände der Schweiz lief in den vergangenen Wochen der neue James-Bond-Film. Wer gerne ins Kino gehen, aber nicht unbedingt diesen Film in der deutschen synchronisierten Fassung sehen wollte, hatte oftmals nur sehr beschränkte Alternativen. Diese Vielfalt muss das Kino der Zukunft aber unbedingt wahren. Auch dies war bei den Fachleuten auf dem Podium durchwegs unbestritten.