Welche Farbe hat mein nächster Pass?

von Naomi Jones 21. Dezember 2016

MEIN BEWEGTES 2016. – Wie Sprichwörter helfen, sich durchs Leben zu mogeln, wenn Briten und Amerikaner die Welt aus den Angeln heben.

Am Morgen des 24. Juni wanke ich noch schlaftrunken zur Kaffeemaschine. «Du hast keinen EU-Pass mehr», begrüsst mich mein Liebster. Was? Ach ja, England hat über den Brexit abgestimmt, und ich bin englisch-schweizerische Doppelbürgerin. «Die spinnen die Briten», ist alles was mir dazu frei nach Asterix einfällt. Die Nachricht bewegt mich nicht sonderlich. «Die Suppe wird nicht so heiss gegessen wie gekocht», besagt das Sprichwort und ich beschliesse, erst mal meinen Kaffee zu trinken und abzuwarten. Ein halbes Jahr später ist der Brexit bereits nicht mehr so sicher wie an jenem Morgen. Falls Gross Britannien, oder zumindest Teile davon, doch noch aus der EU austreten werden, wird dies die Welt nicht grundsätzlich verändern. Und auch mein Alltag in der Schweiz wird davon kaum betroffen sein.

Wesentlich mehr bewegt mich die amerikanische Präsidentschaftswahl, obwohl ich keinen direkten Bezug zu Amerika habe. Am 9. November starte ich den Computer noch vor der Kaffeemaschine und lese, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Die Amerikaner haben den polternden und zeternden Milliardär, Donald Trump, zu ihrem Präsidenten gemacht. «Sind die wahnsinnig?» frage ich mich.

Die Wahl Trumps macht mir Angst. Jeder Bericht, den ich seither in den Medien über Trump gelesen habe, schürt die Angst. Denn dieser Mann hat das Potential, die Welt zu erschüttern, vielleicht sogar zu zerstören. Wie ein Schnellzug donnert er voll Dampf los und will die Zeit zurückdrehen: Vorwärts in eine Vergangenheit. Es ist eine düstere Vergangenheit.

Schon jetzt hat Trump die latente Angst vor einem heissen Krieg wieder entfacht, die meine Kindheit geprägt hat. Rassismus und Sexismus sind in einer Weise salonfähig geworden, wie ich sie nicht einmal am Stammtisch des konservativen Bauerndorfs, in dem ich aufgewachsen bin, erlebt habe.

Die Wahl von Trump hat das Bild meiner Welt erschüttert. Es war das Bild eines aufgeklärten Westens, in dem Geburt und Geschlecht eine untergeordnete Rolle spielen, in der Fleiss und Kompetenz mehr als Geld und Beziehung zählen, in der gute Argumente Gewicht haben und durchschnittlich intelligente Menschen anständig und rational handeln.

Ich rechne damit, dass die Wahl Trumps meinen Alltag viel stärker verändern wird als der Brexit, der vermutlich nur die Farbe meines Passes ändert. Diesmal weiss kein Sprichwort den passenden Rat. Was nun? Erst einmal einen Tee trinken.