«Was mit den Flüchtlingen passiert, ist nicht richtig»

von Naomi Jones 11. April 2016

Letzten Samstag haben rund 1000 Menschen auf dem Bundesplatz für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen in Europa demonstriert. Sie forderten, dass die EU Flüchtlinge nicht aus Griechenland in die Türkei schickt.

«Wenn in Europa die Menschenrechte nicht für alle Menschen garantiert sind, fühle ich mich hier nicht mehr sicher», erklärt Organisatorin Diana Hinz die Motivation für ihr Handeln. Denn wer garantiere, dass die Menschenrechte ihrer Kinder immer sichergestellt seien. Hinz sagt, komme aus Deutschland und lebe heute noch mit Schuldgefühlen für die Taten ihrer Vorfahren. Nun gebe es in Europa erneut eine humanitäre Katastrophe.

Klare Worte fand die Regisseurin Ursina Greuel. Sie hat Ihre Rede Journal B zur Verfügung gestellt:

«Ich spreche hier als Bürgerin, die im Frieden aufgewachsen ist. Ich spreche als Mutter von vier Kindern, die jeden Tag ohne Hunger und ohne Angst aufwachen und in eine öffentliche Schule gehen können.

Ich spreche als Deutsche, die gross geworden ist im Bewusstsein, dass jeder Einzelne eine Verantwortung trägt, wenn es um das Erkennen von Unmenschlichkeit, Grausamkeit und Ausgrenzung von ganzen Menschengruppen geht.

Ich spreche als Schweizerin, die sich schämt, dass ihr reiches gesundes starkes Heimatland die Türen schliesst, wenn Schwache und Verfolgte anklopfen und um Hilfe bitten. Ich spreche als Mensch, der das zufällige Privileg, in der Schweiz zu leben nicht mehr erträgt, wenn es nicht endlich verstanden wird als das Privileg helfen zu können!

Ich ertrage es nicht im Angesicht frierender und angsterfüllter Menschen jeden Tag in die Migros zu gehen, meiner Familie Mittagessen zu kochen und mich über den ausbleibenden meteorologischen Frühling zu beklagen. Ich ertrage die Ohnmacht nicht, zu der ich verdammt bin aufgrund der geltenden Asylgesetze, die Flüchtlinge fernhalten sollen, anstatt ihnen zu helfen.

Ich will nicht mitschuldig sein daran, dass Tausende von Menschen, von Familien, von Kindern vor meiner Haustür im Dreck dahinvegetieren. Wie Tiere behandelt werden. Gewaltsam in Lager gesteckt und deportiert werden.

Ich will meinen Kindern nicht beibringen wegzuschauen, wenn andere in Not sind. Ist das unser Land, in dem als Verbrecher gilt, wer Schutz sucht? In dem als Realist gilt, wer die Schultern zuckt im Angesicht des Elends von Tausenden von Menschen?

Sehr geehrte Frau Sommaruga

Sie sind hingestanden und haben gesagt ‘Das geht gar nicht’, als zwei muslimische Schüler einer Lehrerin den Händedruck verweigerten.

Stellen Sie sich nun hin und sagen sie ‘Das geht gar nicht!’, dass Tausende von Menschen, von Familien, von Kindern in Lagern gehalten und deportiert werden. Sagen Sie ‘Das geht gar nicht’, dass diesen Menschen die Hilfsbereitschaft verweigert wird von unserem Land. Verteidigen Sie unsere humanistischen und solidarischen Werte gegen Bequemlichkeit und Egoismus, gegen Angst und gegen die Hetze Machthungriger.

Nehmen Sie sofort alle Flüchtlinge aus Idomeni auf! Wir schaffen das! Alle Flüchtlinge aus Idomeni aufnehmen. Zeigen Sie Rückgrat. Seien Sie mutig, flexibel, pragmatisch. Vertrauen Sie auf die Bevölkerung!

Die Schweizer Bevölkerung wird helfen! Wir möchten nicht mitschuldig sein an diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wegschauen heisst sich schuldig machen.»

(Rede von Ursina Greuel am 9. April 2016 auf dem Bundesplatz in Bern)