Politik - Meinung

Was jetzt, Bern?

von Raphael Wyss 22. Oktober 2023

Abstimmung Die Fusion ist am Nein Ostermundigens gescheitert. Das sollte der Stadt Bern zu denken geben, findet unser Autor.

Ostermundigen will nicht. Es war nicht die ganz grosse Überraschung, als am Sonntag um 16.00 Uhr das Resultat der Fusionsabstimmung bekanntgegeben wurde; allenfalls noch, wie deutlich schliesslich das Verdikt der kleineren Gemeinde ausfiel: 57% der Mundiger*innen wollen auch künftig lieber eigenständig bleiben, als mit der grossen Nachbarin (72% Zustimmung) zu fusionieren.

Die Bundesstadt scheint so unsexy zu sein, dass selbst eine Steuersenkung und weitere handfeste Pluspunkte nicht als Argumente für die Fusion mit ihr ausreichen.

Es wäre übertrieben, zu behaupten, das Resultat habe sich abgezeichnet. Angesichts der Vorgeschichte musste aber mit dieser Möglichkeit gerechnet werden. Die Ausgangslage als kleines Überbleibsel der gescheiterten «Grossbern»-Pläne war nicht vorteilhaft, das «Feu sacré» hat bei diesem Unterfangen eindeutig gefehlt. Trotzdem haben wohl die meisten Beobachter*innen damit gerechnet, dass es angesichts der rationalen Vorteile für Ostermundigen schliesslich für ein sachliches Ja reichen würde.

Dass dem nicht so war, muss insbesondere der Stadt Bern zu denken geben: Die Bundesstadt scheint so unsexy zu sein, dass selbst eine Steuersenkung und weitere handfeste Pluspunkte nicht als Argumente für die Fusion mit ihr ausreichen. Dies dürfte nicht zuletzt auch damit zu tun haben, dass Bern in den letzten Jahren von einem bedenklichen Stillstand geprägt war.

Es lässt sich streiten über die grossen Projekte der späten Nullerjahre und frühen Zehnerjahre, die unter der Ägide Alexander Tschäppäts realisiert wurden: das Tram Bern West, der Bahnhofplatz mit dem Baldachin, die EURO 08, Brünnen-Westside, der Neufeldtunnel, die Energiezentrale Forsthaus, der Bärenpark, WankdorfCity. Allein die Liste an grossen Projekten zeigt jedoch: Es war Gestaltungswille da in der Politik, und Bern entwickelte sich weiter. In den letzten zehn Jahren beschränkten sich die (mittel)grossen Würfe auf die Einführung von PubliBike, die neue Schwimmhalle und die Überbauung des Warmbächli-Areals; der EURO 08 steht das Formel-e-Rennen 2019 gegenüber, welches das Obstbergquartier zur Autorennstrecke umfunktionierte und grosse Teile der Stadtbevölkerung am (politischen) Verstand des Gemeinderats zweifeln liess.

Der Umbau Berns in eine klimaneutrale Stadt der kurzen Wege bräuchte mutige Visionen und Gestaltungswillen, die im Moment nicht wirklich erkennbar sind.

Nun ist der Mangel an Grossprojekten nicht per se etwas Schlechtes, gerade aus einer Nachhaltigkeits-Perspektive. Doch ist Stillstand eben auch nicht nachhaltig: Der Umbau Berns in eine klimaneutrale und -angepasste Stadt der kurzen Wege bräuchte mutige Visionen und Gestaltungswillen, die im Moment nicht wirklich erkennbar sind. Diese latente Planlosigkeit dürfte mit dazu beigetragen haben, dass sich die Mundiger*innen nicht für die Fusion begeistern liessen. Politische Vorbehalte und die medial aufgebauschten finanziellen Herausforderungen der Bundesstadt waren um den Rest an Elan besorgt.

Ironischerweise hätte gerade die Fusion mit Ostermundigen ein Stein des Anstosses sein können, Bern wieder in Schwung zu bringen: Die verkrusteten politischen Strukturen hätten zumindest teilweise etwas aufgebrochen werden können, die Verwaltung wäre vor einer grossen Aufgabe gestanden, welche die Möglichkeit für Erneuerungen mit sich gebracht hätte; mit dem Tram Bern-Ostermundigen hätte es bereits ein identitätsstiftendes Projekt für die neue Gemeinde gegeben, welches als Motivation für zusätzliche Erneuerungen des Stadtraums hätte dienen können. Hätte, hätte, Fahrradkette…

In der Pflicht steht nun insbesondere der Gemeinderat: Er muss aufzeigen, dass sich Bern auch ohne die Fusion weiterentwickeln kann.

Klar: Die gescheiterte Fusion ist keine Katastrophe und dürfte für Ostermundigen mehr Herausforderungen mit sich bringen als für die Bundesstadt. Nach diesem Verdikt muss sich die städtische Politik trotzdem fragen, wie es nun weitergehen soll. Die 72% Zustimmung in Bern sind auch ein Zeichen dafür, dass die Berner*innen offen für Entwicklungen sind und dem Status Quo nicht anhängen. In der Pflicht steht nun insbesondere der Gemeinderat: Er muss aufzeigen, dass sich Bern auch ohne die Fusion weiterentwickeln kann – und dass er dafür eine konkrete Vorstellung und eine klare Strategie hat.

Im Zentrum dieser Aufgabe steht die Symbolfigur des gescheiterten «Grossbern»-Projektes, Stapi Alec von Graffenried. Unabhängig von den Rücktrittsforderungen, die nach der Schlappe nicht lange auf sich warten lassen dürften, muss er sich fragen: Lodert sein «Feu sacré» auch für eine alternative Berner Zukunftsvision – oder ist es am Abstimmungssonntag definitiv erloschen?