Ein aussergewöhnliches Jahr geht zu Ende. Manchmal wünschte man sich die Ereignislosigkeit eines Sommerlochs zurück, in dem das Loch-Ness-Monster in den Schottischen Highlands sein Unwesen treibt. Aber das Sommerloch hat dieses Jahr Pause gemacht.
Sowieso war pausenlos Krise, Krach und Konstruiertes aus den Medien zu vernehmen. Dabei schienen Fakten je länger je weniger zu zählen, stattdessen punkteten Medien, vor allem so genannte soziale, manchmal aber auch Print- und andere Medien, mit Befindlichkeiten – das gab viele Klicks und gute Werbeeinahmen. Symptomatisch für dieses Jahr ist, dass «postfaktisch» zum Wort des Jahres wird. Allenthalben Hass, Anschläge, Tote und Verletzte, Kriege, Flüchtlinge, Flüchtlingsdebatten, Rechtsrutsch, ein Auseinanderdriften der westlichen Gesellschaften und die Frage: Schaffen wir das oder schaffen wir das nicht?
«Manche Menschen haben von Geburt an nicht den Hauch einer Chance auf ein gutes Leben.»
Katharina Altas
Mitten in unseren westlichen Gesellschaften schlummern Feinde, die unsere Werte in Frage stellen. Brüssel, Paris, Istanbul, München und Berlin. Der Terror kommt immer näher. Die feigen Attentäter verbreiten Angst und Schrecken, was dazu führte, dass ein unbeschwerter Bummel durch die Stadt oder ein Konzertbesuch tödlich enden konnte. Dabei alle Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen, ist infam. Die allermeisten von ihnen fliehen ja gerade vor Terror und Krieg, und haben dabei häufig ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Wie können wir unsere Werte schützen, ohne uns rigoros abzuschotten – ohne in eine Paranoia zu verfallen? Wie können wir den Hass dieser jungen Männer – ja, es sind vor allem junge Männer, die von einer sektiererischen Macht besessen, sich zu tödlichen Waffen machen lassen – neutralisieren? Es gibt keine Patentlösung, nur die Vorstellung, dass jeder normale Mensch ein gutes Leben führen will. Manche Menschen haben von Geburt an nicht den Hauch einer Chance auf ein gutes Leben. Dieses Wohlstandsgefälle zwischen denen, die alles erreichen können, die überall hin reisen und sich jeden Wunsch erfüllen können und denen, die an den Aussengrenzen Europas warten, als würden sie ins gelobte Land eintreten wollen, ob vor Lampedusa oder vor Ceuta und Melilla oder vor einer griechischen Insel, denjenigen wird das gute Leben oft versagt bleiben, selbst wenn sie’s bis nach Europa schaffen sollten. Dieses Gefälle ist schon in unseren westeuropäischen Ländern grösser geworden – ist aber erst recht gross zwischen den nördlichen und südlichen Ländern. Wir hängen sie ab und überlassen sie ihrem Schicksal, so kommt es mir manchmal vor.
Die Briten beschliessen im Juni den Austritt aus der EU, kurz und sexy BREXIT genannt. Wie sie ihn vollziehen wollen, das haben die Architekten von BREXIT nicht bedacht. Kurz nach Bekanntgabe des Brexits ist Nigel Farage – vom Erfolg überrascht – fluchtartig zurückgetreten. Die Suppe darf nun die neue Premierministerin Theresa May auslöffeln. Auch David Cameron, der frühere und während der Brexitdebatte zuständige Premierminister, hat sein Schicksal mit der Abstimmung über den Verbleib in der EU verknüpft. Nachdem er den Journalisten seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte, ging er leichten Schrittes von dannen. Ach, wie lieben wir solche Politiker, denen das Wohl ihres Landes am Herzen liegt und die selbst noch im schmachvollen Rücktritt unbeschwert ein Liedchen trällern können.
«Der Wahlkampf zwischen Clinton und Trump war eine Riesenfarce.»
Katharina Altas
In den USA ist ein clownähnlicher Multimilliardär mit kruden und rückständigen Ansichten Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Im Wahlkampf posaunte er herum, dass er die Mauer zwischen Mexiko und den USA noch höher machen wolle, dass er rigoros illegal ins Land eingewanderte Menschen ausschaffen und Muslimen generell die Einreise verweigern wolle. Der Wahlkampf zwischen Clinton und Trump war eine Riesenfarce, spaltete das Land und wollte schier nicht enden. Millionen und Abermillionen wurden da reingebuttert, während die Gebeutelten aus dem Rust-Belt der Vereinigten Staaten Trump als neuen Erlöser feierten, weil er für sie das Anti-Establishment verkörpert. Wo er doch mitten aus dem Establishment kommt, der Erbe und Blender. Sein gerade zusammengeschustertes Kabinett ist genauso milliardenschwer wie er. Werden diese Milliardäre sich für den sozialen Ausgleich einsetzen? Schwer zu glauben, dass sie das tun werden. Wahrscheinlicher ist, dass sie in die eigene Tasche wirtschaften werden, denn wer viel hat, dem wird noch mehr gegeben, eine Binsenweisheit.
Die Österreicher haben noch kurz vor knapp die Kurve gekratzt; ein kurzes Aufatmen und doch nachdenklich machend, dass knapp weniger als die Hälfte der Österreicher einen Faschisten zum Bundespräsident gewählt hätten. Noch weiter östlich bedienen sich Orban, Kaczinski und Konsorten mit beiden Händen an europäischen Zuschüssen und verhöhnen europäische Werte wie Menschenrechte, Solidarität, Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit von Gerichten und Medien. – Ganz zu schweigen von Putin, dem grossen Vorbild aller Rechten in Europa, und neuerdings auch der USA.
Und in der Türkei ist Erdogan in seinem Versuch, ein autokratisches System zu errichten, schon fast am Ziel. Der gescheiterte Militärputsch hat den willkommenen Vorwand dafür geliefert, gegen alle, die nicht die offizielle politische AKP-Linie vertreten, massiv vorzugehen: politische Widersacher, Richter, Beamte, Journalisten, Schriftsteller.
«Wir steuern wieder auf einen kalten Krieg zu. Wenn er denn nur kalt bliebe und sich nicht heissläuft.»
Katharina Altas
Nationalismus, religiöser Fanatismus, Ausgrenzung, Hass, Demagogen, die das Niederste in den Menschen ansprechen: Wir steuern wieder auf einen kalten Krieg zu. Wenn er denn nur kalt bliebe und sich nicht heissläuft. In Aleppo wird die Zivilbevölkerung ausgebombt und ein Stellvertreterkrieg mit Assads Schergen, dem Iran und Russland geführt. Die Bilder der leidenden Zivilbevölkerung lassen uns verzweifelt zurück – schon lange.
Und was können wir kleine Lichter dafür tun, dass die Welt ein bisschen friedlicher wird und dass uns die Ohnmacht vor den Ereignissen nicht lähmt?
Einiges – würde ich meinen. Wählt keine Politiker, die euch einfache Lösungen anbieten, denn die gibt es nicht. Fangt bei euch selber an und bekämpft Vorurteile und bitte, bitte engagiert euch, denn was die da oben machen, können sie nur machen, weil sie gewählt wurden. Weniger passive Konsumentenhaltung ist gefragt, stattdessen Bürgerinnen und Bürger, die informiert sind und sich einmischen, die stören, die Sand im Getriebe sind, die Zivilcourage haben und sich dafür einsetzen, dass in ihrem Umfeld alles gut funktioniert, dass auch die Schwächsten in unserer Gesellschaft ein Auskommen haben und dass die Menschenrechte, auch bei uns, hochgehalten werden. Wir kleine Lichter können den Gang der Weltpolitik nicht wirklich beeinflussen, wir können aber in unserem Umfeld anfangen. Denn wir leben zum Glück in einer Demokratie, zu der wir je länger je mehr Sorge tragen müssen.
Darum: auf ein neues Jahr, mit weniger Hass und weniger Vorurteilen. Und ich wünsche mir weniger Populismus und Polemik und dafür mehr Pragmatismus, mehr Respekt und Nächstenliebe. Und ja, es darf auch mal langweilig sein, und gegen das Sommerloch habe ich auch nichts.