In Ostermundigen ist die Fusion mit Bern ein Thema, das die Menschen bewegt. Dies ist wenig verwunderlich, da die Gemeinde ihre Eigenständigkeit verlieren würde. Für die Mundiger*innen wären damit konkrete Veränderungen verbunden: Die Steuern würden gesenkt und manche Leistungen des Service Public verbessert. Der Preis dafür wäre die Gemeindeautonomie, die Ostermundigen seit der Abspaltung von Bolligen im Jahr 1983 innehat. Dies erklärt, warum das Thema in Ostermundigen – besonders unter alteingesessenen Mundiger*innen – kontrovers diskutiert wird.
Ganz anders sieht es in der Bundesstadt aus: Hier will die Debatte über die Fusion nicht so richtig in Gang kommen. Das dürfte daran liegen, dass die Auswirkungen auf die Stadt Bern schwieriger zu benennen sind. Von mehr Gewicht auf Kantons- und Bundesebene ist die Rede (Bern hätte voraussichtlich drei Sitze mehr im Grossen Rat zugute und wäre neu die viertgrösste Stadt der Schweiz), zudem eröffneten sich im Osten Berns neue Chancen in der Siedlungsentwicklung.
Keine Veränderungen, welche die Berner*innen in ihrem Alltag wirklich spüren könnten. Auch finanziell dürfte die Fusion aus Berner Sicht kaum ins Gewicht fallen: Der Steuerfuss bleibt derselbe, die jährlich anfallenden Mehraufwände und Entlastungen sind angesichts des Milliardenbudgets vernachlässigbar.
Von Februar bis Juli 2022 Setzte Journal B bereits einen Themenschwerpunkt zur geplanten Gemeindefusion. Wir begleiteten die Integrationsverhandlungen mit Hintergrundartikeln, Portraits und Stimmungsaufnahmen aus der Bevölkerung.
Das ganze Dossier gibt es hier zum nachlesen.
Die (vermeintlich) fehlenden Auswirkungen veranlassten den Stadtpräsidenten auf einem Podium sogar dazu, der Fusion mit Ostermundigen einen unmittelbaren individuellen Nutzen für die Berner*innen abzusprechen – und ihnen sinngemäss nahezulegen, sie sollen doch der Fusion einfach deshalb zustimmen, weil sie auch keine Verschlechterungen mit sich bringe. Der Gewinn für die Stadt sei vielmehr ein langfristiger, kollektiver, der sich erst mit der Zeit manifestiere. Angesichts des Umstandes, dass für Alec von Graffenried einiges vom Ausgang der Fusionsabstimmung abhängt, ist dies doch eine überraschende Aussage. Doch stimmt sie auch?
Tatsächlich lässt sich auf den ersten Blick schwer erkennen, wie die Fusion das Leben der Berner*innen konkret beeinflussen sollte. Bei genauerer Betrachtung kommen aber potentielle Auswirkungen zum Vorschein, die zumindest für Teile der Bevölkerung doch bedeutsam sein dürften
Die Politik
Ostermundigen tickt um einiges konservativer als Bern. Während in der Bundesstadt Rot-Grün-Mitte (RGM) mit dem Grünen Bündnis (GB), der SP und der Grünen Freien Liste (GFL) seit drei Jahrzehnten eine solide Mehrheit innehat, sind die Bürgerlichen im Ostermundiger Parlament deutlich stärker als die Linken, die für eine Mehrheit auf die Zusammenarbeit mit der GLP angewiesen sind.
Angesichts des Grössenunterschieds der Gemeinden und der deutlichen Mehrheitsverhältnisse in Bern könnte angenommen werden, dass die konservativere Haltung der Mundiger*innen in einer fusionierten Gemeinde nicht gross ins Gewicht fallen dürfte. Tatsächlich hätte Ostermundigen keine garantierten Sitze im Stadt- oder Gemeinderat, wie das bei den Fusionsverhandlungen diskutiert wurde.
Mittelfristig könnte die Fusion Veränderungen bei den politischen Gremien anstossen.
Trotzdem könnte die Fusion an den Mehrheitsverhältnissen rütteln: Wenn wir den RGM-Block aufschlüsseln, fällt auf, dass derzeit genau die Hälfte des Stadtrats von linken Fraktionen (SP/JUSO, GB/JA! und AL/PdA) gestellt wird. Im Gemeinderat haben das Grüne Bündnis und die SP mit 3 von 5 Sitzen die Mehrheit inne. In der Legislative sind die beiden Parteien deshalb nur bedingt und im Gemeinderat theoretisch gar nicht auf die Unterstützung der mitte-links politisierenden GFL angewiesen.
Auch wenn dies durch die traditionelle Zusammenarbeit von RGM relativiert wird, könnte der Stadtrat bei gewissen Fragen in die Mitte rutschen. Beim Gemeinderat könnten schon kleine Veränderungen in den Stimmanteilen dazu führen, dass RGM nur noch 3 statt wie bis anhin 4 Gemeinderät*innen stellt. Das ist allerdings auch von der künftigen Zusammenarbeit der Parteien abhängig.
Mittelfristig könnte die Fusion ausserdem Veränderungen bei den politischen Gremien anstossen, etwa eine Aufstockung des Gemeinderats auf sieben Mitglieder – und damit eine Neuorganisation der Verwaltung.
Mitbestimmung über den eigenen Lebensraum
Ein Argument für die Fusion, das in Ostermundigen häufig ins Spiel gebracht wird, ist die Mitbestimmung bei Fragen, die den eigenen Lebensraum betreffen. Zahllose städtische Dienstleistungen werden bereits heute von der Mundiger Bevölkerung rege genutzt, ohne dass sie über ihre Ausgestaltung mitbestimmen dürfen.
Umgekehrt gilt dies jedoch auch für den Berner Osten, insbesondere für drei kleinere Berner Quartiere, die dem Ostermundiger Siedlungsgebiet angeschlossen sind: Das Burgfeld, die Merzenacker-Bebauung und die Siedlung Berna gehören zwar zur Stadt Bern, sind aber näher am Ostermundiger Siedlungskern mit seinen Angeboten als an einem städtischen Dienstleistungszentrum.
Bei einer Fusion könnten die Menschen aus diesen Quartieren über diesen Raum mitbestimmen, den sie bereits heute im Alltag rege nutzen. Durch eine Umgestaltung der Schulkreise wären für die Kinder dereinst auch kürzere Schulwege möglich.
Mehr bezahlbarer Wohnraum in Bern
Günstiger Wohnraum ist in der Bundesstadt rar. Auch in Ostermundigen ist dieser nicht im Überfluss vorhanden, doch sind die Chancen, eine bezahlbare Wohnung zu finden, zuweilen grösser als in Bern (allenfalls mit Ausnahme von Bümpliz). Dies würde insbesondere jungen Berner Familien (und Berner*innen, die eine Familie gründen möchten) bei einer Fusion zusätzliche Perspektiven eröffnen: Sie könnten künftig in Ostermundigen eine geräumige, bezahlbare Wohnung beziehen und trotzdem vom Berner Betreuungsangebot profitieren.
Allgemein böte eine Fusion zusätzliche Wohnoptionen für Berner*innen, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind, aber nicht auf die vergleichsweise guten städtischen Dienstleistungen verzichten möchten.
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Im Vergleich mit den Ostermundiger*innen sind die konkreten Auswirkungen der Fusion auf das Leben der Berner*innen natürlich eher gering. Dennoch können sich daraus sehr wohl konkrete Veränderungen ergeben. Auch die langfristigen Effekte einer Fusion sind nicht zu unterschätzen.
Beispielsweise wird die beabsichtigte Verlegung der A6 zwischen dem Schosshaldenfriedhof und dem Anschluss Muri («Bypass Bern Ost») den Osten Berns massiv verändern (so sie denn realisiert wird). Ob hier zwei Gemeinden ihre jeweiligen Interessen einbringen oder eine einzelne Gemeinde eine klare städtebauliche Vision vorantreibt, dürfte einen entscheidenden Einfluss auf die Siedlungsentwicklung im gesamten Berner Osten haben. Das Beispiel zeigt aber auch exemplarisch auf, dass die längerfristigen Effekte der Fusion noch sehr unscharf sind.