Warum wir die Uni besetzt haben

von Robin 3. Juli 2024

Vista-Activa Am 12. und 30. Mai haben Studierende Teile der Unitobler, respektive des Hauptgebäudes besetzt. Unser*e Kolumnist*in war an den Besetzungen dabei und erzählt von den eigenen Eindrücken und den Gründen für die Besetzung der Uni Bern.

Es fühlt sich seltsam an, am Hauptgebäude der Uni Bern vorbeizugehen. Die Erinnerung an zirka 70 Polizist*innen in Kampfmontur, welche am Abend des 30. Mai herbeistürmten, um meine Mitaktivisti vor dem Eingang einzukesseln, ist noch zu frisch.

Das Kollektiv «UniBern_Besetzt», dem ich angehöre, hatte sich zum zweiten Mal das Recht genommen, Raum an der Uni einzunehmen, weil wir Besetzenden ihre Mitschuld am Genozid in Gaza nicht mehr hinnehmen können. Täglich erreichen mich Bilder von hungerleidenden, ausgezehrten Kindern, von Pflegepersonal, das verzweifelt Leben zu retten versucht, während die medizinische Infrastruktur gezielt zerstört und Hilfslieferungen vor der Grenze blockiert werden. Sie erreichen mich aus einer Trümmerlandschaft hinter einer Mauer, die von einem Hightech Überwachungsapparat beobachtet und weiter bombardiert wird. Wenn ich diese  Bilder sehe, will ich, dass der Horror endet. Und die Uni Bern kann und muss ihren Beitrag dazu leisten.

Während der ersten Besetzung haben Mitaktivisti mehrere Versuche unternommen, mit der Unileitung zu sprechen und eine Stellungnahme zu erhalten

Wenn ich aber über den Campus gehen, fühle ich mich entfremdet von dieser teilnahmslosen Institution. Ihren eigenen Worten folgend ist die Uni Bern «in der Gesellschaft verankert und übernimmt dieser gegenüber Verantwortung». Doch nachdem der Genozid in Gaza nun fast neun Monate andauert, wird sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Die Forderung, dass sich die Uni für einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand ausspricht, den vom Staat Israel begangenen Völkermord als solchen benennt und verurteilt und sich für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser*innen einsetzt, ist das Mindeste, was Studierende von einer verantwortungsbewussten Institution erwarten können.

Israelische Unis sind keine unschuldigen Wissensproduzentinnen

Die Uni Bern verhält sich so, als wäre sie ein Elfenbeinturm, der mit den Ereignissen in der Welt nichts zu tun hätte. Ihre Komplizenschaft liegt jedoch nicht nur in ihrem eisernen Schweigen, sondern auch in ihren Beziehungen zu akademischen und wirtschaftlichen Institutionen mit Sitz in Israel. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Verbindungen aufgedeckt und angeprangert werden. Denn wie die aus Jerusalem stammende Wissenschaftlerin Maya Wind in ihrem Buch «Towers of Ivory and Steel» darlegt, sind israelische Unis ein aktiver Teil der israelischen Besatzung, des Siedler-Kolonialismus und des Apartheid-Regimes, das die palästinensische Bevölkerung entmenschlicht.

Die israelischen Unis legitimieren den anhaltenden Völkermord und sie verstärken die massive Einschränkung der Rechte von Palästinenser*innen auf Bildung und akademische Freiheit. Israelische Unis sind keine unschuldigen Einrichtungen für die Produktion von Wissen, sondern in hohem Masse an der Entwicklung von militärischem Know-how und Waffensystemen beteiligt, die direkt für die Tötung von Palästinenser*innen eingesetzt werden.

Dass die Uni ein apolitischer Raum ist, muss eine Neuerung sein

Und sie sind die wichtigsten Rekrutierungsorganisationen für die Militär- und  Waffenindustrie, da sie enge Beziehungen mit Unternehmen wie IAI, Bet Shemesh Engines, Shin Bet, Mossad, dem Negev Nuclear Research Center und Elbit Systems unterhalten. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass der Vorstandsvorsitzende von Elbit Systems, Israels grösstem Waffenhersteller, auch im Stiftungsrat der Hebräischen Universität, einer Partnerin der Uni Bern, Einsitz nehmen darf.​​

Die Antwort der Unileitung

Während der ersten Besetzung haben Mitaktivisti mehrere Versuche unternommen, mit der Unileitung zu sprechen und eine Stellungnahme zu erhalten. Doch sie vermied es durchgehend, auf unsere Vorwürfe einzugehen. Ich war enttäuscht und frustriert. Schliesslich hatten wir die Uni nicht aus leichtsinnigen Gründen besetzt, sondern in der Hoffnung, dass sie zur Überwindung einer humanitären Katastrophe beiträgt.

Also kamen wir am 30. Mai zurück. Trotz unserer Ankündigung, am gleichen Abend wieder zu gehen, rief die Unileitung ein polizeiliches Grossaufgebot in Kampfausrüstung auf den Campus. Sie beschrieb  diesen Vorgang als «friedlich». Sie beharrte auf ihrer Behauptung, dass die Uni keine politische Akteurin sei.

Und sie beschuldigte uns erneut, Feind*innen der akademischen Freiheit zu sein, weil wir aus den oben genannten Gründen ein Ende der Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten, insbesondere mit der Hebräischen Universität Jerusalem und der Universität Haifa fordern. Erst im Nachhinein habe ich begriffen, dass jedes Argument der Unileitung darauf abzielt, eine Debatte über Inhalte bereits im Keim zu ersticken. Eine Einordung scheint mir deshalb wichtig.

Die Uni als apolitischer Raum?

Dass die Uni ein apolitischer Raum ist, muss eine Neuerung sein. So hatte Rektor Leumann am 4. März 2022 in einer Rede selbst, höchst politisch Stellung zum Krieg in der Ukraine bezogen. Die Verurteilung von Kriegsverbrechen der russischen Regierung und ihres Militärapparats gehörte zum guten Ton. Doch Kritik an der Verletzung des gleichen internationalen Rechts durch den israelischen Staat und dessen Militär ist im vorherrschenden politischen Klima ungleich riskanter. Somit beugt sich die Unileitung schlicht und ergreifend der politischen und medialen Zweckmässigkeit.

Sie ist entgegen ihren eigenen Aussagen nicht von Werten geleitet, sondern von ihrer Einschätzung der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung. Ich verstehe die Angst, etwas Falsches zu tun, etwas Falsches zu sagen. Ich habe sie ja auch! Aber diesen halbherzigen Versuch der Unileitung, ihren politischen Opportunismus zu verschleiern, finde ich äusserst beschämend.

Das Prinzip der Wissenschaftsfreiheit wird durch die Unileitung instrumentalisiert, um ein Ende der öffentlichen Debatte über einen Boykott israelischer Universitäten zu erzwingen

Die Behauptung, apolitisch zu sein, kann jedoch auch eine Strategie sein, Entscheidungen der Unileitung gar nicht erst diskutieren zu müssen. Herr Leumann hat bei seinem Auftritt, auf der ersten Besetzung, ausdrücklich betont, dass er nicht zum Diskutieren gekommen sei. Somit ist der Verweis auf den apolitischen Charakter der Uni selbst ein Mittel, um Kritik zum Verstummen zu bringen: Mitsprache ist im Voraus bewusst ausgeschlossen.

Es wird ausgeschlossen, dass Studierende und Angestellte der Uni ein «Wir», eine Gemeinschaft bilden, innerhalb derer die Regeln der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens verhandelt werden können. Studierende werden zu blossen Konsumierenden degradiert. Die vermeintlich apolitische Uni entpuppt sich als neoliberale Uni, die ängstlich um ihre Marke, ihre Produktivität und ihre Konkurrenzfähigkeit besorgt ist. Wo Besetzende wie ich schwerwiegende ethische Probleme sehen, sieht die Unileitung primär ein Image Problem.

Das Prinzip der Wissenschaftsfreiheit wird durch die Unileitung instrumentalisiert, um ein Ende der öffentlichen Debatte über einen Boykott israelischer Universitäten zu erzwingen. Dem Wissenschaftsphilosophen Thorsten Wilholt folgend, sollte die Berufung auf Wissenschaftsfreiheit, jedoch nie das Ende, sondern vielmehr den Anfang einer öffentlichen Debatte über Mittel und Zweck von Wissenschaft markieren. Hier möchte auch ich ansetzen.

Ich frage mich, warum die Uni Bern mit Institutionen zusammenarbeiten möchte, welche die Freiheit ihrer Forschenden durch staatliche Narrative begrenzen und die Früchte ihrer Forschung als Waffe gegen die palästinensische Bevölkerung einsetzen. Ich frage mich, um wessen Freiheit es der Uni Bern denn geht. Für mich ist die Antwort klar: Diejenige einer  Minderheit an der Uni Bern und jenen Angehörigen ihrer israelischen Partnerinstitutionen, welche die Vereinnahmung durch Staat und Militär akzeptieren. Das Recht der Palästinenser*innen auf Bildung bleibt dagegen auf der Strecke.

Trotz allem habe ich Hoffnung, dass die Uni Bern mehr sein kann als dieses kalte Gebilde, das dem Ruf nach Verantwortungsübernahme mit Drohungen und Polizei begegnet

Während UN-Expert*innen sich sehr besorgt über die systematische Zerstörung des palästinensischen Bildungswesens durch Israel, den sogenannten Scholasticide, äussern, schweigt das Rektorat dazu. Es scheint sogar den Aufruf zur internationalen Unterstützung durch die palästinensische Birzeit Universität, ebenfalls Partnerin der Uni Bern, schlicht ignoriert zu haben. Im September 2023 wurde sie Opfer einer Razzia des israelischen Militärs. Sämtliche Universitäten in Gaza liegen in Trümmern.

Trotz allem habe ich Hoffnung, dass die Uni Bern mehr sein kann als dieses kalte Gebilde, das dem Ruf nach Verantwortungsübernahme mit Drohungen und Polizei begegnet. Ich wünsche mir, dass sie eine Institution wird, die wirklich versteht, was es heisst, in der Gesellschaft verankert zu sein und ihre Verantwortung auch dann wahrnimmt, wenn es sie etwas kosten könnte. Denn bisher hat sie sich einzig von ihrer Angst um ihr Image leiten lassen und vor der vorherrschenden Meinung der Dominanzgesellschaft gänzlich kapituliert. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Wissenschaftlichkeit zu tun.

Studierende, Uniangestellte und Gesellschaft dürfen und müssen mehr von ihrer Uni erwarten als peinliches Schweigen angesichts ihrer Komplizenschaft in einem Genozid. Israelische Unis sind Stützpfeiler des Siedlerkolonialismus, des Apartheid-Regimes und nun auch des Genozids in Gaza. Ein Boykott dieser Institutionen ist von absoluter Dringlichkeit.