Warum ist’s in Bern gelungen?

von Rita Jost 9. Dezember 2024

Interreligiöser Dialog Am Samstag, 14. Dezember, feiert das Haus der Religionen im Westen von Bern sein 10-jähriges Bestehen. Zwei Publikationen erforschen die Geschichte und fragen, warum in Bern der interreligiöse Dialog gelungen ist.

Das Buch «Die Welt am Europaplatz», erschienen im Stämpfli Verlag, erforscht die Baugeschichte und den Alltag im Haus der Religionen – Dialog der Kulturen. Insider und Outsider reflektieren Themen wie Spiritualität, Freiwilligenarbeit, Frauen, internationale Besuche, aber auch Konflikte in diesem schweiz- und wohl sogar weltweit einmaligen Haus, in dem acht Religionen das Zusammenleben proben. Fachleute aus verschiedenen Religionen reflektieren gemachte Erfahrungen und blicken in die Zukunft. Ergänzt werden die Artikel durch Stimmen von regelmässigen Besucher*innen. Eine andere Publikation mit dem Titel «Bewegung von unten» geht der Geschichte des interreligiösen Dialogs in Bern in den letzten 40 Jahren nach. Diese (Vor-)geschichte hat massgeblich den Boden bereitet für andere interreligiöse Projekte, insbesondere eben auch für das Haus der Religionen.

Während das Buch «Die Welt am Europaplatz» von Autor*innen aus verschiedenen Religionen geschrieben ist, wird die Geschichte über die interreligiöse Bewegung von einem Insider erzählt. Es ist ein Mann, der wie kein anderer in den letzten 50 Jahren das interreligiöse Zusammenleben in Bern ermöglicht und begleitet hat: Albert Rieger, pensionierter Theologe und langjähriger Beauftragter für Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit (OeME) bei der Berner Kirche.

Der interreligiöse Dialog findet regelmässig in Workshops und im lockeren Umgang unter den ReligionsvertreterInnen statt. (Foto: Christoph Knoch)

Die Anfänge

Rieger kehrt in seinem Buch «Bewegung von unten» zurück zu den Anfängen des interreligiösen Dialogs im Kanton Bern. 1984 traf er sich in einer ehemaligen Tiefgarage in der Nähe des Berner Bahnhofs erstmals mit dem Präsidenten der muslimischen Gemeinschaft. Diese hatte dort die erste multinationale Moschee in Bern eingerichtet. Der Präsident der muslimischen Gemeinschaft führte den reformierten Theologen durch die Moschee und erzählte von der Gemeinschaft und ihren Problemen. Nach diesem Treffen vereinbarten die beiden weitere Gespräche und ein Jahr später lud die Fachstelle OeMe der Reformierten Kantonalkirche zu einer Veranstaltung zum Thema «Nachbarschaft, die Frieden schafft» ein. Die Organisator:innen wollten ein Gegengewicht setzen zum damals politisch sehr aufgeheizten Klima, das die «Ausländerfrage» immer öfter auf die Formel «Anpassen oder Rückkehr» reduzierte. Vom latent vorhandenen Fremdenhass betroffen waren vor allem Muslime und Musliminnen. «Der Islam» ersetzte praktisch nahtlos das sich auflösende Feindbild «Kommunismus».

Am Anfang Alltagsfragen

Die Berner Kantonalkirche (oder besser: deren Fachstelle OeMe) kam zum Schluss: diese ungesunde Polarisierung darf nicht sein, das Thema muss diskutiert und breit thematisiert werden. Es folgten Tagungen und interreligiöser Treffen und schliesslich die Gründung der Gemeinschaft Christen und Muslime in der Schweiz, die sich um Alltagsfragen in einer multireligiösen Gesellschaft kümmerte. Unter den damals rund 300 000 Muslimen und Musliminnen waren auch Schulkinder und Ehegatten in gemischtreligiöse Familien. Das ergab ganz neue Fragen. Zum Beispiel auch im Spital, wo Kranke und Angehörige von Angehörigen ihres Glaubens begleitet werden wollten. Eine Arbeitsgruppe nahm sich zum Beispiel der Frage der Bestattungen an. Das Resultat: der Bremgartenfriedhof in Bern bekam (dank aktiver Hilfe der Stadt) ein muslimisches Grabfeld – ein Novum in der Schweiz.

Ungezwungene Kontakte in der Küche (wo ayurwedisch und koscher gekocht wird): Rabbiner Micheal Kohn (im Amt von 2019 – 2023) und Hindupriester Sasikumar Tharmalingam, genannt Sasi (Foto: Christoph Knoch).

Die weltpolitischen Verwerfungen

Die Terroranschläge in New York im September 2001 und die folgenden Jahre mit ihren globalen Verwerfungen (und 2009 in der Schweiz mit der angenommenen Minarettverbotsinitiative) stellten den Dialog zwischen Muslimen und Christen auf eine Zerreissprobe. Aber die vorhandenen Kontakte sorgten dafür, dass die Kontakte nicht abbrachen, ja sogar mit einer Stellungnahme in den Medien («Christlich-muslimischer Dialog – jetzt erst recht!») in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. «Mehr persönliche Kontakte, mehr Wissen voneinander, mehr Wertschätzung und Akzeptanz» forderten Christen und Muslime gemeinsam.

Die Runden Tische

Parallel zu den Kontakten mit der Muslimischen Gemeinschaft (bzw. schon lange zuvor) hatte die Fachstelle OeME Kontakte zur Jüdischen Gemeinde in Bern. 1993 luden Reformierte und Katholiken erstmals Vertreter*innen von verschiedenen Religionsgemeinschaften zu einem Runden Tisch ein. Dazu gehörten auch buddhistische und hinduistische Vertreter*innen. «Wir haben versucht, einander etwas zu zeigen vom Wesenskern unseres Glaubens,» beschreibt Albert Rieger diese Treffen in seinem Buch, «dafür besuchten wir uns reihum in den verschiedenen Kulträumen.» Es war vorerst eine vorsichtige Annäherung, die gemeinsames Feiern vorsah, nicht aber gemeinsames Beten.

Man darf an Wunder glauben, muss sie aber gleichzeitig auch organisieren.

Die interreligiösen Begegnungen, die gemeinsamen Treffen und Tagungen legten einen guten Boden für weiterreichende Projekte, und schliesslich – 2010 – zur Verabschiedung eines neuen Artikels in der Kirchenordnung der reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn. Dieser hielt fest, dass sich die reformierte Kirche ausdrücklich für den Dialog und die Begegnung mit anderen Religionen einsetzt und das religiöse Leben von anderen Glaubensgemeinschaften sicherstellt.

Dann: Das «Wunder von Bern»

Die verschiedenen interreligiösen Annäherungen haben schliesslich den Boden bereitet für das neue «Wunder von Bern», schreibt Albert Rieger in seiner Publikation. Die Bewegung sei über Jahre von unten gewachsen, dank einem Netz von Engagierten und den Visionen vieler. Eine langjährige Wegbereiterin – so Albert Rieger – habe es an der Eröffnung des Hauses am Europaplatz so gesagt: «Man darf an Wunder glauben, muss sie aber gleichzeitig auch organisieren.»

Das «Haus der Religionen/Dialog der Kulturen» auf dem Europaplatz ist ein Labor, in dem einiges gelingt, anderes immer wieder neu erprobt werden muss. Ein erster Marschhalt wird mit einem grossen Fest für alle am 14. Dezember gefeiert.