Wann kommt die «Metro»?

von Raphael Wyss 22. Februar 2024

Öffentlicher Verkehr Der Entscheid zur Weiterentwicklung des ÖVs im Süden Berns ist erwartungsgemäss wenig spektakulär ausgefallen. Aufhorchen lässt hingegen die Ankündigung, eine Folgestudie zur Zukunft des RBS-Tiefbahnhofs durchzuführen. Ist die «Metro» quer durch Bern nur eine Frage der Zeit?

 

Im Januar hat der Kanton den Mitwirkungsbericht zur künftigen Ausgestaltung des ÖVs im Raum «Köniz / Bern Süd» vorgestellt. Es ist der vorläufige Schlusspunkt hinter einem langwierigen Abwägen verschiedener Optionen, das besonders wegen der unterirdischen Meterspur-Option von sich reden machte, welche auch als «Metro Nord-Süd» bezeichnet wird (siehe Infobox).

Der Entscheid der Behördendelegation entspricht nun dem, was nach der Veröffentlichung der Zweckmässigkeitsbeurteilung (ZMB) letztes Jahr erwartet werden konnte. So kommt es vorerst zu keinem grundlegenden Umbau der Infrastruktur; stattdessen wird die Kapazität der bestehenden Linien mit Taktverdichtungen und grösseren Fahrzeugen erhöht, um der gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden.

Auf den Buslinien 10, 12 und 101 werden künftig Doppelgelenkbusse eingesetzt, der Takt der S6 bis Niederscherli wird auf 15 Minuten verdichtet. Die grösste Neuerung ist der Doppelspurausbau zwischen Fischermätteli und Liebefeld, um diese Taktverdichtung zu ermöglichen. Dieser war aber praktisch schon beschlossene Sache und wurde in der ZMB entsprechend als Ausgangszustand behandelt. Flankiert werden die Massnahmen durch einen Ausbau der Veloinfrastruktur. Zusätzliche Erweiterungen des Schienennetzes, namentlich neue Tramstrecken oder eben die Ausdehnung des RBS-Netzes Richtung Süden, werden aufgrund der tiefen Nachfrageprognosen nicht realisiert – zumindest noch nicht.

Denn eine weitere Ankündigung in der Medienmitteilung lässt aufhorchen: Der Kanton will in einer Folgestudie mögliche Weiterentwicklungen des RBS-Tiefbahnhofs untersuchen, der sich derzeit im Bau befindet. Ein Ausbau zum Durchgangsbahnhof und eine Ausweitung des Meterspurnetzes bleiben damit ein Thema.

Viele haben bezüglich der langfristigen Planung das Vorgehen des Kantons als ‘visions- und mutlos’ bezeichnet.

Vor dem Hintergrund der ZMB-Resultate ist dies aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens hat die Modellierung der künftigen ÖV-Nachfrage im betreffenden Korridor ergeben, dass für eine solche Kapazitätserhöhung in absehbarer Zukunft kein Bedarf auszumachen ist (die Prognosen wurden nach der Pandemie mit ihrem nachhaltigen Einfluss auf unser Mobilitätsverhalten deutlich nach unten korrigiert). Zweitens empfiehlt die ZMB, im Falle einer unerwartet starken Zunahme der ÖV-Nachfrage die heutige Buslinie 10 nach Schliern (allenfalls nur bis Köniz) auf Tram umzustellen – und nicht auf die teure RBS-Lösung zu setzen.

In der Mitwirkung und auch in den Medien wurden die Resultate der ZMB von verschiedenen Seiten kritisiert. Zahlreiche gewichtige Akteure, von der Regionalkonferenz über Gemeinden, ÖV-Unternehmen und Parteien bis hin zum Inselspital, haben sich zu den Erkenntnissen aus dem Variantenstudium geäussert. Viele haben bezüglich der langfristigen Planung das Vorgehen des Kantons als «visions- und mutlos» bezeichnet, wie es dieser selbst in seinem Mitwirkungsbericht formuliert. Er hält fest, dass «politisch breit abgestützte Erwartungen» bestünden, die Meterspur-Infrastruktur auszubauen.

Am RBS-Bahnhof fahren die Züge Richtung Worb, Solothurn und Zollikofen ab. (Foto: Janine Schneider)

Kanton bleibt vage

Was genau den Ausschlag für den Entscheid zur Folgestudie gegeben hat, ist indes nicht ganz klar. Offiziell begründet der Kanton sein Vorgehen damit, dass bestimmte Faktoren («neben der Möglichkeit einer dynamischeren Entwicklung der ÖV-Nachfrage auch weitere Randbedingungen») zu einer «Neubeurteilung der RBS-Varianten führen würden». Vor diesem Hintergrund habe die Behördendelegation beschlossen, die Folgestudie in Auftrag zu geben, um «frühzeitig über entsprechende Beurteilungs- und Entscheidgrundlagen zu verfügen».

Daneben wird aber auch auf die zahlreichen Mitwirkungseingaben verwiesen, welche eine RBS-Lösung favorisieren – allerdings ohne explizit einen Zusammenhang mit der Entscheidung herzustellen. Klar ist, dass die Gegebenheiten, auf die der Kanton verweist, bereits vor der Mitwirkung bekannt waren – aber erst danach der Entscheid fiel, die Folgestudie durchzuführen.

Die Schmalspurgleise am RBS-Bahnhof. (Foto: Janine Schneider)

Beugt sich der Kanton also dem Druck politischer und wirtschaftlicher Partikularinteressen? Teilweise ja, meint Pierre Pestalozzi. Der Verkehrsplaner ist ein fundierter Kenner des Berner ÖV-Systems, Mitglied der «Arbeitsgruppe Planung Städtebau Mobilität Bern» und hat sich unter anderem in der Diskussion um den Ausbau des Berner Tramnetzes und die zweite Tramachse durch die Berner Innenstadt einen Namen gemacht. Er hat die Resultate der ZMB wie auch ihre Grundlagen genau studiert und kommt zum Schluss: «Es gibt keinen sachlichen Grund, entgegen dem Fazit der ZMB ÖV Köniz / Bern Süd auf die Variante ,RBS-Verlängerung nach Insel (- Köniz – Schwarzenburg)‘ zu pochen.»

Er erkennt bei vielen Mitwirkenden eine verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber Kostenaspekten sowie eine mangelnde Bereitschaft, Fakten wie das «vergleichsweise bescheidene Verkehrswachstum» in der Agglomeration Bern zu akzeptieren. Gleichzeitig relativiert Pestalozzi den Entscheid des Kantons: «Wenn der Kanton aufgrund der teils massiven Kritik am Fazit der ZMB nochmals eine Studie in Auftrag geben will, mag dies psychologisch klug sein; doch ist absehbar, dass eine solche Zusatzstudie keine neuen Erkenntnisse bringen wird.»

Sollte die Besänftigung der Kritiker*innen der ZMB tatsächlich ein Ziel sein, scheint sich das Vorgehen jedenfalls auszuzahlen.

Tatsächlich ist nicht ganz klar, was der Kanton mit der Folgestudie konkret im Sinn hat. Die Ankündigungen im Mitwirkungsbericht und der Medienmitteilung lassen Raum für Interpretationen offen. Auf Nachfrage bestätigt die zuständige Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons, dass die Studie «noch nicht konkretisiert» sei. Sollte die Besänftigung der Kritiker*innen der ZMB tatsächlich ein Ziel sein, scheint sich das Vorgehen jedenfalls auszuzahlen. Zahlreiche kritische Mitwirkungsteilnehmer*innen zeigen sich auf Anfrage erfreut über die Ankündigung der Folgestudie – wobei ihre Interpretationen dessen, worum es sich dabei konkret handelt, auffällig variieren.

So sieht Marco Rupp, Gemeindepräsident von Ittigen und Mitinitiator des Komitees «Metro Nord Süd», in der Ankündigung einen grundlegenden Sinneswandel: Der Kanton habe offenbar endlich erkannt, dass die RBS-Verlängerung eine zweckmässige Option sei. Andere angefragte Teilnehmende scheinen diese Lesart der Ankündigung im Grundsatz zu teilen. Hingegen interpretiert der RBS die Studie als Prüfung möglicher Optionen für die Weiterentwicklung des neuen Tiefbahnhofs: «Die vorgeschlagene Folgestudie ‚Weiterentwicklung Bahnhof RBS‘ ist somit vor dem Hintergrund des bestehenden RBS-Bahnsystems und dessen Kapazitäten zu betrachten und weniger bezüglich der künftigen ÖV-Erschliessung von Köniz», schreibt Franziska Sander von der Medienstelle des RBS.

Der RBS-Bahnhof wird in Zukunft durch den neuen Tiefbahnhof ersetzt werden. (Foto: Janine Schneider)

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben?

Sicher ist, dass die «Metro» quer durch Bern so schnell nicht Realität wird. Die Mitwirkung hat zwar gezeigt, dass die (politische) Unterstützung für dieses Grossprojekt in der Region beachtlich ist. Aber ohne soliden Nachweis seines Nutzens wird es schwierig sein, an die nötigen finanziellen Mittel des Bundes zu kommen. Die Konkurrenz um die beschränkten Mittel des Bahninfrastrukturfonds ist gross, und Bern konnte in jüngster Vergangenheit bereits stark davon profitieren (unter anderem beim laufenden Bahnhofausbau).

Auch wegen des beschlossenen Doppelspurausbaus der Normalspurstrecke zwischen Fischermätteli und Liebefeld wird sich ein Systemwechsel der S6 nach Köniz / Schwarzenburg auf absehbare Zeit nicht rechtfertigen lassen. Mittelfristig könnte allenfalls eine kürzere unterirdische Verlängerung des RBS bis zum Inselspital oder zumindest ein Wendegleis westlich des neuen Tiefbahnhofs ein Thema werden. Dies würde dessen Kapazität deutlich erhöhen und damit dem primären Wunsch des RBS entsprechen.

Die durchgehende «Metro» dürfte indes als längerfristige Option in den Richtplänen von Kanton und Regionalkonferenz festgeschrieben bleiben. Eine spätere Realisierung wird nicht zuletzt von ihrem Synergiepotential abhängen – etwa, ob sich mit einer Umspurung der Strecke nach Schwarzenburg und allenfalls sogar der Gürbetalbahn ein teurer Kapazitätsausbau der Normalspur-Infrastruktur im Bahnhof Bern vermeiden liesse. So ist es gut möglich, dass sich dereinst wieder ein Fenster für die Berner «Metro» öffnet – aber kaum vor 2040. Rechnet man mit einer Planungs- und Bauzeit von 15 bis 20 Jahren, brauchen ihre zahlreichen Befürworter*innen also einen langen Atem.