Wald vs. Wachstum: Was ist ökologisch sinnvoll?

von Beat Kohler 12. März 2013

In der Waldstadt Bremer sollen dereinst sechs bis acht Tausend Leute Platz finden. Gegner und Befürworter argumentieren an einem Podium aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit Vorteilen für die Ökologie.

Diese Diskussion ist schwierig. Einerseits hat jeder der Beteiligten eine andere Flughöhe. Andererseits werden die meisten, die jetzt über das Projekt diskutieren, kaum mit dem Resultat leben müssen. Hören Sie auch den Audio-Beitrag von Radio RaBe mit den Live-Aufnahmen unserer Übertragung vom Montag:

Ökobilanz versus Naturschutz

Die unterschiedliche Flughöhe zeigt sich insbesondere am Argument der Ökologie. Stadtplaner und Urbanisten erklären, dass der ökologische Fussabdruck einer verdichteten Stadt kleiner wird. Je kürzer die Wege, desto besser die Energiebilanz. «Die Erweiterung von Bern in Richtung Bremgartenwald hätte den kleinsten ökologischen Fussabruck», zeigte sich der ehemalige Zürcher Stadtpräsident Josef Estermann überzeugt.

Auf der anderen Seite sehen Waldschützer den Lebensraum von Tieren und den Naherholungraum der Menschen in der Länggasse bedroht und fürchten zudem den Mehrverkehr im Quartier. «Mit der Waldstadt wird ganz klar ein Naherholungsraum verkleinert», beklagt David Stampfli, Präsident Verein Pro Bremgartenwald. Die Argumente beider Seiten sind nachvollziehbar. Nur werden damit unterschiedliche Ebenen verglichen.

Vergleichbar mit Grimsel-Streit

Bei der Waldstadt Bremer gibt es deutliche Parallelen zur Diskussion rund um die Erhöhung der Staumauer an der Grimsel. Durch die emotionale Diskussion wird auch die Waldstadt für Gegner und Befürworter quasi zum Vorzeigeobjekt. Bei der Grimsel verlaufen die Frontlinien inzwischen – zumindest im links-grünen Lager – mitten durch die Parteien. Für die eine Seite ist es klar, dass es mehr Stauraum braucht, wenn die Energiewende geschafft werden soll, die andere Seite will diesen aber nicht auf Kosten der Landschaft hergeben. Bezogen auf die Waldstadt sieht es ähnlich aus. Auch hier verlaufen die Frontlinien quer durch die Parteien. Auch hier ist klar, dass es grundsätzlich mehr Wohnraum braucht. Die Gegner wollen diesen aber nicht auf Kosten dieses Waldstreifens zur Verfügung stellen.

Durch alle Instanzen

Wie an der Grimsel ist auch bei der Waldstadt bereits heute klar, dass dieses Projekt auf allen gerichtlichen Instanzen angefochten werden wird. Davon ist beispielsweise Nationalrat Alec von Graffenried, Mitglied im Förderverein Waldstadt Bremer, überzeugt. Rechtsgutachten der Gegner, die das Projekt als nicht realisierbar bezeichnen, liegen vor. So kommen die verschiedenen Flughöhen zustande. Die Initianten wollen jetzt möglichst konkret planen, damit der langwierige Prozess beginnen kann, an dessen Ende in Jahren oder Jahrzehnten vielleicht ein neues Quartier in der Verlängerung der Länggasse entsteht. Auf der anderen Seite beklagen die Gegner gerade diese konkrete Planung als zu ungenau und das Projekt als zu visionär, als dass es jetzt bereits relevant sein könnte.

Besonders augenfällig wird das bei der Zahlendiskussion. Peter Bernasconi, selber früher Tunnelbauer, erklärt, dass die zwei vorgesehenen fünfspurigen Tunnel und die notwendige Absenkung der Autobahn mindestens 750 Millionen, wenn nicht 400 Millionen Franken kosten werden und mit der vorliegenden Planung nicht finanzierbar sind. Peter Jakob, Architekt von Bauart, hielt entgegen, dass die 400 Millionen lediglich die Mehrkosten darstellten, wenn die Autobahn sowieso auf zehn Spuren ausgebaut werde. Für Laien ist schwer abzuschätzen, welche Zahlen letztlich zutreffen werden. Teuer wird es so oder so.

Bestehende Flächen ausschöpfen

Um den notwendigen Wohnraum bereitstellen zu können, wollen die Gegner der Waldstadt zuerst die bereits ausgeschiedenen Bauzonen bebauen, bevor man sich über die Bebauung eines Waldstückes Gedanken macht. Man solle lieber in die Höhe bauen, bevor man weiter in die Breite gehe, meinten sowohl die Gegner auf dem Podium als auch die Gegner im Saal. Beispielsweise könnte die Wankdorf City nicht nur fürs Arbeiten, sondern auch fürs Wohnen genutzt werden, schlug beispielsweise Alt-Nationalrat Peter Vollmer (SP) vor. Er könne nicht verstehen, warum so stark auf dieses Projekt fokussiert werde.

Die Befürworter sind überzeugt, dass die Bauzonen in Bern so knapp bemessen sind, dass die Bebauung dieser Flächen bei weitem nicht ausreichen wird und damit der Zersiedelung der Landschaft nicht Einhalt geboten werden kann. Estermann äussert die Befürchtung, dass innerhalb der Stadt «mit der Unterstützung der SP» zu wenig gebaut werde. Dabei sollten alle inneren Reserven, die zur Verfügung stehen, genutzt werden. Die heute definierten Wachstumsziele innerhalb der Stadt bezeichnet er als «Witz».

Wer hilft die Zersiedelung stoppen

Die klare Annahme des Raumplanungsgesetzes hat deutlich gemacht, dass Schweizerinnen und Schweizer und insbesondere auch Bernerinnen und Berner eine weitere Zersiedelung der Landschaft verhindern wollen. Da gleichzeitig die Menschen immer mehr Wohnraum in Anspruch nehmen und zudem immer mehr Menschen in Städten leben wollen – heute sind es weltweit 50 Prozent, 2050 werden es 75 Prozent sein –, werden die Städte wachsen müssen.

Im Moment verbrauchen wir in der Schweiz sehr viel Boden. Wie Ständerat Werner Luginbühl (BDP) in seiner Begrüssung ausführt, wird in der Schweiz jedes Jahr die Fläche des Brienzersees zugepflastert. Mit der neuen Gesetzgebung wird der Flächenverbrauch hoffentlich zurückgehen. Ob die Bernerinnen und Berner auch gegen die Zersiedelung sind, wenn diese durch die Verdichtung nach innen erreicht wird, muss sich erst noch zeigen.

Gemeinderat entscheidet im April

Die Diskussion um die Waldstadt wird wohl noch lange dauern. Kommt die Initiative der SVP gegen das Projekt zustande, dann können die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Projekt allerdings vorzeitig beenden.

Wie Stadtplaner Mark Werren erklärt, wird der Gemeinderat nach den Frühlingsferien sein «Coming out», zur Waldstadt haben. Für den Stadtplaner ist der Diskussionsabend eine «Prüfveranstaltung». Da er keine neuen Argumente gehört hat, ist er davon überzeugt, dass der Gemeinderat seinen Entscheid aufgrund einer umfassenden Güterabwägung machen kann.