Hand aufs Herz, links oder rechts. Spielt für Sie bei den Gemeindewahlen vom 24. November die Werbung eine Rolle? Haben Sie die Wahlplakate jemals mehr als flüchtig angeschaut? Dito die Postsendungen? Ebenso die Internet-Werbung? Nein? Dann sind Sie in guter Gesellschaft. Wahlpropaganda ist für die Katze.
Ende November ist klar, wer ins Rathaus zieht, wer auf den Gemeinderatssitzen sitzt, wer im Erlacherhof hofiert. Plakate da, Plakate dort. Vor dem Zähringer-Migros und vor dem Bahnhof haben die Parteien ihre Stände mit Bhaltis aufgebaut.
Alle vier Jahre verfärben die Roten, Grünen und Blauen unser Dasein. Es ist ein Ritual, mit dem man hofft, die Wählenden positiv zu stimmen. Es erinnert an den Versuch, durch Regentänze das Wetter zu verändern. Es nützt ebenso wenig. Gemäss einer Studie der Freien Universität Berlin taugt Wahlwerbung nur dazu, an die Namen der Parteien zu erinnern. Alle weiteren Hoffnungen erfüllen sich nicht. Wir können annehmen, dass die deutschen Studienergebnisse aus den Neunzigern auch heute noch stimmen.
Nach langer Zeit ging ich wieder mal nicht zum Briefkasten sondern am Sonntagmorgen ins Generationenhaus beim Bahnhof. Das machte Eindruck. Auf mich und hoffentlich auch auf andere.
Die Berner Wahlbevölkerung entscheidet stabil. Verschiebungen von einigen Prozentpunkten gelten bereits als Erdrutsch. Werbung beeinflusse das Ergebnis höchstens um zwei Prozent, so die Studie. Trotz der Berner Parteientreue gibts Veränderungen. Nicht die Propaganda treibt die Leute ins andere Lager. Sondern das Verhalten der Parteien und ihrer Exponenten. Der Ab- und Auftaucher der Unterschriftenbögen wird RGM wohl ein paar Promillchen kosten. Dass die «Mitte» neidisch auf das M von RGM ist, könnte ein paar µ kosten. Dass Alec von Graffenried mal ein mürrisches Gesicht zeigt, dass Marieke Kruit «nicht so eine lustige» sei, könnte die Präsidiumswahl beeinflussen. Melanie Mettler ist zu wenig bekannt, um entweder-oder-Punkte einzufangen.
Weshalb nötigen die Parteien ihre Mitglieder zu Stand- und Telefonaktionen? Wieso prügeln sie ihre möglichst prominenten Vertreter zum Händeschütteln vor die Migros oder auf den Bahnhofplatz? Die mystische Erklärung: Wahlwerbung ist ein Ritual, sie ist die Beschwörung der geheimnisvollen Schweizer Publikumsgunst. Vertreten wird sie durch Helvetia. Unsere allegorische Landes- und Münzmutter hats gerne gäng wie gäng. Durch so was Profanes wie Wahlpropaganda lässt sich eine Allegorie nicht vom Kurs abbringen.
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Ich habe in meinem Bekanntenkreis zehn Personen befragt. Nicht eine hat gesagt, dass Werbung ihren Entscheid beeinflusse. Halt, stimmt nicht. Eine abweichende Antwort habe ich erhalten: «Wahlen, welche Wahlen?»
Wahlwerberinnen und -werber produzieren gedruckte und digitale Nüteli. Immerhin habe ich gemerkt, dass wählen die Stimmung hebt. Nach langer Zeit ging ich wieder mal nicht zum Briefkasten sondern am Sonntagmorgen ins Generationenhaus beim Bahnhof. Das machte Eindruck. Auf mich und hoffentlich auch auf andere. «Seht ihr den Stimmbürger, hält das Couvert in der Hand, hat nach reiflichem Überlegen entschieden, welche Frauen und Männer der Stadt dienlich sind. Schaut her. Hier schreitet eine Stütze der Demokratie.»