Die vorhandenen Wünsche und die vorhandenen Mittel – das zeigt sich beispielsweise in der aktuellen Hallenbaddiskussion rund um das Projekt Gaswerkareal – stimmen meistens nicht überein. Wie gehen Sie damit um?
Edith Olibet:
Es wäre natürlich viel schöner, wenn man alle Wünsche erfüllen könnte. Es gehört aber zur Verantwortung als Gemeinderatsmitglied, den Bedarf und die Mittel aufeinander abzustimmen. Klar ist, wir brauchen mehr Wasserfläche. Die Frage ist, ob wir uns sowohl den Neubau als auch die Sanierung der bestehenden Anlage leisten können. Wenn man die Situation unter dem Strich anschaut, dann haben wir nach der Realisierung einer neuen Halle auf dem Gaswerk eine doppelt so grosse Wasserfläche wie heute – ohne das Bad am Hirschengraben. Es ist klar, dass wir finanziell nicht beide Wünsche erfüllen können.
Verschiedene Stimmen beklagen, der neue Standort sei zu wenig zentral.
Wir haben verschiedene Standorte geprüft, beispielsweise auch im Wankdorf. In der Vernehmlassung tauchte die Forderung auf, dass dieses Bad an einem zentraleren Ort stehen muss. Das Gaswerkareal erfüllt diese Forderung – wenn auch nicht im gleichen Masse, wie der Hirschengraben. Nur: neben dem Bahnhof gibt es gar kein Gelände, auf dem man ein 50-Meter-Becken bauen könnte.
«Wir haben verschiedene Standorte geprüft, beispielsweise auch im Wankdorf».
Edith Olibet, Gemeinderätin SP
Für die Stadt Bern ist das Gaswerkareal zentral. Bezieht man die angrenzenden Gemeinden mit ein, dann wäre Wankdorf immer noch ein zentraler Ort gewesen. Ist die jetzige Standortwahl mit den Nachbargemeinden abgesprochen?
In erster Linie bauen wir diese Halle für die Bevölkerung und die Vereine der Stadt Bern. Das Sportamt hat im Vorfeld des Entscheides mit den operativ Zuständigen in den Gemeinden über das Interesse an einer neuen Infrastruktur gesprochen. Die Reaktionen waren sehr zurückhaltend, zum Teil weil sie ihren Bedarf in der Region decken, und weil zudem das Interesse an einer finanziellen Beteiligung gering ist. Jetzt, nachdem der Standortentscheid gefallen ist, wird man natürlich noch einmal auf die Gemeinden zugehen.
Dort wird es um eine Kostenbeteiligung gehen?
Wir werden den Bedarf der Gemeinden nochmals abklären. Entsprechend müssten sie sich auch an den Kosten beteiligen. Dann wird sich zeigen, wie gross die Motivation zur Beteiligung ist. Wir haben mit den Sporthallen Weissenstein bereits ein Projekt in Zusammenarbeit mit einer Nachbargemeinde realisiert. In diesem Fall lagen die Interessen eindeutig näher beieinander, als bei einer Schwimmhalle.
Hat die Stadt Bern insgesamt genügend Flächen für den Breitensport?
Im Bereich der gedeckten Wasserflächen wären mit der Halle auf dem Gaswerkareal in einer guten Situation. Im Bereich der Freibäder haben wir in Bern ein überdurchschnittlich grosses Angebot. Mit dem Bau der Sporthallen Weissenstein und dem Bau der Doppelturnhallen Bitzius und Schulhaus Brünnen werden wir bei den Hallenkapazitäten auf einem guten Level sein. Nachholbedarf haben wir bei den Rasenplätzen. Einerseits werden wir im Wyler und im Spitalacker neue Kunstrasenfelder schaffen. Diese kann man stärker auslasten, als Naturrasenfelder. Zudem haben wir zwei neue Kunstrasenfelder in der Bodenweid geschaffen. Nach Verzögerungen, die es innerhalb der demokratischen Abläufe notwendigerweise immer wieder gibt, werden wir in absehbarer Zeit die Plätze auf der kleinen und grossen Allmend bauen können. Dann wird die Situation auch in diesem Bereich zufriedenstellend sein.
Die demokratischen Prozesse sorgen auch bei den Kita-Betreuungsgutscheinen für Verzögerungen. Rund um die Kita-Frage herrscht – auch wegen der langen Wartezeiten – eine mittlere Unzufriedenheit mit den vorliegenden Bedingungen…
Die Stadt Bern bietet heute mehr Kita-Plätze an, als der gesamte Kanton Aargau. Im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten können wir stolz sein, was wir in den letzten Jahren an neuen familienergänzenden Kinderbetreuungsplätzen geschaffen haben. Leider gibt es weiterhin Wartelisten. Mir kommt es fast so vor, als werde die Warteliste jedes mal länger, wenn wir neue subventionierte Kita-Plätze geschaffen haben. Ich verstehe die Unzufriedenheit der Eltern, die warten müssen, sehr gut. Die Frage ist, wie viele Mittel man angesichts des bestehenden Spardruckes für diesen Bereich zur Verfügung stellt. Heute lassen viel mehr Eltern ihre Kinder familienergänzend betreuen. Das hat finanzielle Folgen. Mit dem Rechtsanspruch durch die Kita-Initiative oder durch die Betreuungsgutscheine stehen nun bedarfsgerecht Mittel zur Verfügung. Deshalb stehe ich voll und ganz hinter dieser Lösung.
Angesichts der neuen angekündigten Sparrunden beim Kanton wird der Kampf um die Mittel auch bei der Stadt noch härter?
Das wird so sein. Ich beneide den neuen Gemeinderat nicht. Ich bin seit 1993 in der Stadtpolitik aktiv und habe unzählige Sparpakete miterlebt. In den 90er Jahren haben wir teilweise im selben Jahr drei Mal über das Budget debattiert. Alle berechtigten Ansprüche mit den finanziellen Gegebenheiten unter einen Hut bringen zu müssen, ist etwas, was ich nach meinem Abgang aus dem Gemeinderat nicht vermissen werde. Das wird ganz schwierig.
Man wird auch im Bereich Soziales und Bildung Abstriche machen müssen?
Sicher nicht bei den Kita-Plätzen, weil hier nun ein Rechtsanspruch besteht. Aber natürlich werden alle Bereiche angeschaut. Nur: Für das, was ich als Steuerzahler hier zahle, habe ich heute einen guten Gegenwert, auch wenn mir nicht alles persönlich zu gute kommt. Diese Investitionen fördern die Lebensqualität und den sozialen Frieden in dieser Stadt. Sie haben einen präventiven Effekt. Investitionen in die Bildung sind Investitionen in die Zukunft. Hier kurzfristig zu sparen, heisst später noch wesentlich grössere Ausgaben zum Füllen der entstehenden Lücken in Kauf zu nehmen. Das schwierige beim Vermitteln dieses Nutzens ist, dass der Gegenwert nicht direkt sichtbar ist und sich Sparmassnahmen auch nicht sofort auswirken. Negative wie positive Folgen zeigen sich erst später.
Ausgaben im sozialen Bereich sind mit Emotionen verknüpft. Insbesondere wenn es zu Missbräuchen kommt. Wenn Sie auf die Ereignisse rund um den Sozialhilfemissbrauch im 2007 zurückschauen, was würden Sie heute anders machen?
Wenn ich die Geschichte Revue passieren lassen, dann haben wir dem Gemeinderat sehr schnell ein Massnahmenpaket präsentiert. Es gelang aber nicht, dies in der damals aufgeheizten Situation auch so zu kommunizieren, dass die Richtigkeit und Wirksamkeit dieser Massnahmen akzeptiert worden wäre. Ich weiss heute noch nicht, wie wir es hätten machen müssen. Vorkommnisse wie der BMW-Fall lassen sich nicht verhindern, auch wenn ich anders gehandelt hätte. Ein solcher Fall wäre nach all den Massnahmen, die ergriffen worden sind, grundsätzlich auch heute noch möglich. So wie es immer wieder Fälle von Steuerhinterziehung gibt. Dieser Fall kam erst durch lange Ermittlungen der Polizei ans Tageslicht. Eine solche Arbeit können Sozialarbeiter nicht leisten. Aber selbstverständlich sind die Massnahmen, die aufgrund der Ereignisse ergriffen wurden richtig und gut.
«Ein solcher Fall wäre nach all den Massnahmen, die ergriffen worden sind, grundsätzlich auch heute noch möglich»
Edith Olibet, Sozialdirektorin
Woran denken Sie konkret?
Es gibt Massnahmen direkt im operativen Bereich und andere mit einer etwas grösseren Flughöhe. Die Führung ist gestärkt, damit sie ihre Aufgabe besser wahrnehmen kann. Wir haben auch den Bereich Kontrolle mit den Sozialinspektoren und den Testarbeitsplätzen gestärkt und sind heute gut aufgestellt. Die Sozialinspektoren haben eine präventive und eine psychologische Wirkung. Ich bin überzeugt, dass wir heute alles, was möglich ist tun, um einen missbräuchlichen Bezug von Sozialhilfe zu verhindern. Andererseits können wir Menschen, die Sozialhilfe beziehen auch unterstützen beraten und begleiten. Diese zwei Teile sind heute in einem guten Gleichgewicht.
Was halten Sie von verdeckten Ermittlungen von Sozialdetektiven?
Verdeckte Ermittlungen im Sinne von Fahnden sind klassische Polizeiaufgabe und Polizeikompetenzen.
Ein Teil der Massnahmen bezog sich auf die Kommunikation. Kommunizieren Sie in der veränderten Medienlandschaft heute intern und extern anders, als noch vor 12 Jahren?
Vom Grundsatz her hat sich für mich nichts verändert. Zuerst muss intern kommuniziert werden. Wenn Journalisten Fragen an mich herantragen, dann beantworte ich diese so klar wie möglich. Heute spitzen die Medien aber wesentlich stärker zu und zielen direkt auf die Personen. Salopp gesagt: Wenn früher echte Fragen gestellt wurden, so haben einige Journalisten heute ihre Geschichte schon geschrieben, bevor sie überhaupt Fragen stellen. Meine Leitlinie ist aber immer noch: Was ich politisch entscheide und zu verantworten habe, dafür muss ich langfristig gerade stehen. Wichtig ist, dass ich mir im Spiegel noch ins Gesicht schauen kann und nicht, dass ich in der morgigen Zeitung gut dastehe.
Sie haben selber erlebt wie hart der öffentliche Diskurs werden kann…
Das ist pickelhart.
…Hat der Bereich Soziales für ihre Nachfolgerin besonders viele Fallstricke, weil diese Themen emotional dermassen stark aufgeladen sind? Ist diese Direktion kommunikativ schwieriger als andere?
Das kann und will ich nicht beurteilen. Aber es ist wie sie sagen, diese Fragen lösen Emotionen aus. In diesen Bereichen geht es um Werthaltungen. Wenn sie eine Strasse bauen, ist dies nicht mit einer Werthaltung verbunden. Zudem sieht man bei dem, was man in diesem Bereich macht, das Resultat nicht am kommenden Tag. Es ist mir in der sozialen Verantwortung als Bürgerin dieser Stadt aber wichtig, dass diejenigen, die Anspruch darauf haben, Sozialhilfe erhalten. Das ist ihr Recht und dient dem Frieden in dieser Stadt.
Zum Schluss: Was machen Sie, wenn Sie ihren Posten als Gemeinderätin verlassen haben?
Es hat mir grosse Freude gemacht, dieses Amt auszuüben. Ich bin nun mit 60 Jahren in der glücklichen Lage nicht sofort eine neue Aufgabe übernehmen zu müssen. Ich will und kann mir Zeit lassen und die neue Situation auf mich zukommen lassen. Ich sage im Moment nirgends zu. Das ist mein Privileg.