Wer kennt es nicht: Der Kleiderschrank ist brötschvou, doch der Reithallenflohmi am Sonntag lädt zum Schnöikä ein.
So erging es mir letzte Woche. Im Wissen, ich müsste mich eigentlich von vielen meiner Kleider und angesammeltem Schnickschnack trennen, lief ich an den Ständen vorbei.
Aus einer Ecke pochte aus grossen Boxen Bärner Mundartrap, aus einer anderen Reggae Musik. Ich roch den Duft von Essensständen und Schweiss in der endlich warmen Frühlingssonne und dann traf mich wie ein Blitz ein Gedanke:
Wieso fällt es vielen von uns so schwer, sich zu trennen?
Wieso fällt es mir so schwer, mich zu trennen?
Oder ist es die Angst, dass man mit dem Aufgeben des alten Sofas einen Teil von sich mit abgibt?
Von alten Kleidern, dem hässlichen Sofa, welches bereits zwei WG-Generationen überlebt hat, oder vom Schulfreund, von dem man weiss, man sei nur mit ihm befreundet gewesen, weil man ihn jeden Tag zu Schulzeiten ertragen musste.
Ich wage zu behaupten, dass viele der Leute am Flohmi etwas begriffen hatten, dass ich erst noch lernen müsste: Loslassen.
Doch wieso fällt den meisten Menschen so schwer loszulassen? Hängt man tatsächlich noch an der Freundschaft oder hat sie sich einfach zu einer Routine entwickelt, wie das Rauchen in der Raucher-Pause. Man weiss, wie toxisch es ist, dennoch setzt man sich an den Aschenbecher, einfach weil man es bisher immer so tat.
Oder ist es die Angst, dass man mit dem Aufgeben des alten Sofas einen Teil von sich mit abgibt? All die Erinnerungen an die guten WG-Zeiten: der Rotweinfleck und die Bilder der längst toten Katze, die aufs Sofa sprang und das Weinglas mit sich riss. Fällt es uns möglicherweise schwer, etwas hinter sich zu lassen, das so lange Bestandteil des Lebens war, weil wir uns darüber definierten?
So wie die rote Caprihose, die ich nie wieder anziehen würde, dennoch auf jedem dritten Instagram-Bild von 2014 abgelichtet ist.
Für jedes verkaufte Kleidungsstück gibt es mehr Raum fürs Atmen, zwei Franken für das Gipfeli des nächsten Tages.
Vielleicht ist es auch einfach das packende Unbehagen beim Gedanken, mit wie viel Aufwand ein Stand am Flohmarkt verbunden ist: Aussortieren, einpacken, Stand aufbauen, das Familienessen am Sonntag absagen, da man am Flohmi sitzt mit der Prognose, dass 3/4 der Sachen wieder nach Hause geschleppt werden müssen. Analog das Beenden einer Beziehung, dem kommenden Scheidungsprozess, dem Kündigen eines Jobs und dem Wissen, man müsse nun neuen Effort in die Karriere stecken.
Aber die Kosten-Nutzen-Analyse müsste eigentlich aufgehen: Für jedes verkaufte Kleidungsstück gibt es mehr Raum fürs Atmen, zwei Franken für das Gipfeli des nächsten Tages und Erleichterung darüber, dass man den Aufwand auf sich genommen hat. Atmen, weil man sich nicht mehr zur Arbeit zwingen muss, zur selben die einem so lange nicht guttat. Erleichterung, weil man seine Zeit mit Menschen verbringen kann, weil man das auch will, und nicht weil man denkt, es zu müssen.
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Während des Schnöikens zwischen den Ständen fragte ich eine gute Freundin, was ihr an Flohmärkten besonders gefalle. Ihre Antwort inspirierte mich: «Ist es nicht ein schöner Gedanke, dass ich neben Geld und mehr Platz auch noch Grund dafür sein kann, dass eine andere Person dem Gegenstand die Freude schenken kann und selber die Freude empfinden kann, die ich schon vor langer Zeit verloren habe?»
Vielleicht ist es genau das, was loslassen erträglicher macht: Den Job zu künden, der mich beinahe in ein Burnout getrieben hat, weil es nicht mehr das ist, was ich will. Zu gehen, um Platz zu machen für einen Menschen, der genau auf diese Stelle gewartet hat. Dem Freund im Guten die Freundschaft zu künden, weil sie einen nicht mehr mit Freude erfüllt und weil es respektvoller ist, als sich für jede Ausrede für ein Treffen schlecht zu fühlen. Das Sofa abdanken zu lassen, weil es seinen Zweck nicht mehr erfüllt und das Kleidungsstück wegzugeben, weil es wer anders besser brauchen kann oder einfach beim Anblick in den Spiegel mehr lächelt, als man selbst in dieser Leggins.