«Von meinem Herzen direkt aufs Papier»

von Urs Frieden 25. April 2022

Die Berner Kita-Mitarbeiterin Amanda Wettstein über ihren soeben erschienenen Erstling, der sich liebevoll um ihre Grosseltern Peter und Greti dreht.

Journal B: Amanda, wie kamst du auf die Idee, die Geschichte deiner Grosseltern aufzuschreiben?

Amanda Wettstein: Ich finde den Gedanken schön, dass die Geschichte meiner Grosseltern im Buch verewigt ist. Sie führten ein Leben voller Liebe und legten eine Art heitere Gelassenheit an den Tag, die viele in der Hektik des Alltags vergessen.

In welchen Jahren sind deine Aufzeichnungen entstanden?

Ich habe nach dem Tod von Greti im Jahr 2017 lange über das Sterben nachgedacht. Darüber, wie schrecklich es ist, dass ein geliebter Mensch plötzlich aus dem Leben gerissen wird. Und über meine Angst, diesen geliebten Menschen Schritt für Schritt zu vergessen. Wie schlimm mag es erst für Greti gewesen sein, zu wissen, dass sie wegen ihrer Demenz immer mehr vergisst. Schon damals habe ich mit dem Gedanken gespielt, zu schreiben.

Wieso?

Einerseits, um zu erinnern, anderseits, um zu verarbeiten und um zu ehren. Als Peter 2019 verstarb und ich mich einmal mehr mit der bedingungslosen Liebe zwischen Greti und Peter befasste, verstärkte sich der Wunsch, ihre Geschichte festzuhalten. Ich begann zu schreiben und konnte nicht mehr aufhören. Es floss von meinem Herzen direkt aufs Papier. Nur den Schluss konnte ich nicht schreiben. Erst im Jahr 2021 war mir das möglich, als auch Mariette, die Grossmutter mütterlicherseits, starb.

Haben deine Grosseltern mitbekommen, dass du Aufzeichnungen machst?

Greti und Peter waren zu diesem Zeitpunkt leider schon nicht mehr unter uns. Letztes Jahr habe ich Mariette im Betagtenzentrum besucht, kurz bevor sie starb. Ihre Demenz war schon so fortgeschritten, dass sie kaum Reaktion auf Fragen und Aussagen zeigen konnte. Man sah ihr zwar an, dass sie die Information, die sie erhält, verarbeitet. Es war jedoch für sie zu anstrengend, darauf zu antworten. Ich erzählte ihr, dass ich einen neuen Job habe, dass ich mit meinem Partner in den Ferien war. Sie reagierte nicht. Ich nahm ihre Hand in meine und sagte ihr, dass ich ein Buch geschrieben habe und sie darin vorkäme. Sie wandte ihren Kopf zu mir, riss die Augen weit auf und drückte meine Hand. Wir verharrten eine Weile so, dann sagte sie: «Ja.»

Es würde eine Menge Wärme und Witz untergehen, hätte ich die Dialoge nicht in Mundart geschrieben.

Bist du, als junge Erwachsene, an der Seite deiner Grosseltern auch ein bisschen reifer geworden, und sie umgekehrt durch dich vielleicht ein bisschen jünger?

Ich denke nicht, dass das Alter uns je getrennt hat. Meine Grosseltern waren allesamt offene, unbeschwerte Menschen – im Geiste stets jung. Natürlich haben wir uns gutgetan und ich konnte von ihrer Weisheit und Erfahrung und sie umgekehrt von meiner Lebenslust und Neugier profitieren. Mariette wurde im Alter sogar immer verspielter. Sie hat angefangen, beim Brettspiel zu betrügen, sie wurde kindlicher. Ich weiss nicht, ob das wegen der Demenz war oder ob es ihr einfach egal war, die Regeln einzuhalten.

Kannst du dir dich selber im hohen Alter in einem Altersheim vorstellen?

Ich würde es mir sogar wünschen. Meine Grosseltern wurden unglaublich liebenswert und kompetent umsorgt. Trotzdem wurden sie nicht ihrer Autonomie beraubt. Alles, was sie noch selber konnten, durften sie selber machen. Überall, wo sie Hilfe benötigten, bekamen sie diese. Sie waren innerhalb ihrer Wohngruppe auch immer in bester Gesellschaft und knüpften neue Freundschaften. So wäre man auch nie einsam – und die Einsamkeit ist ja das, was viele im Alter am meisten befürchten.

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Warum sind die Dialoge im Buch immer in Mundart geschrieben?

Wie sehr ich die deutsche Sprache auch mag – es würde eine Menge Wärme und Witz von Peter und Greti untergehen, wenn ich die Dialoge nicht in Mundart geschrieben hätte. Zum Beispiel in Sprichworten, die im Deutschen ganz anders rüberkommen als in Mundart. Oder in urchigen Ausdrücken, die es im Deutschen gar nicht gibt. Wir alle wissen, wie viel ein Dialekt oder Akzent ausmacht bei der Wahrnehmung einer Person. Die Personen Peter und Greti wären im Buch ganz anders, als sie in natura waren, allein durch die «Übersetzung» von Mundart auf Deutsch.

Was stimmt an der Geschichte, was nicht?

Ich wollte möglichst alles genau so schreiben, wie es war. Es war mir aber unmöglich, nach einer so langen Zeit noch jeden Wortdialog 1:1 niederzuschreiben, zumal ich auch nicht überall dabei war. Ein paar Situationen wurden auch etwas ausgeschmückt. So wird im Buch einem Papagei am Eingang des Betagtenzentrums versucht, das Wort «Arschloch» beizubringen. Das war tatsächlich so, doch er schaffte es nicht, es nachzusprechen. Im Buch gelingt ihm dies aber…

Ich finde den Gedanken schön, etwas von meinen Erfahrungen und Erlebnissen schriftlich für meine Kinder und Enkelkinder zu hinterlassen.

Gab es für dich auch die Option, deine Aufzeichnungen nicht zu veröffentlichen, also sie wie einen Schatz zu hüten, so wie das mit Tagebüchern geschieht?

Ja, natürlich. Es ist eine sehr intime Familiengeschichte, die auch unschöne Momente zeigt. Momente, bei denen man vielleicht auch besser hätte handeln können. Hätte jemand von meiner Familie nicht gewollt, dass das Buch veröffentlicht wird, hätte ich es nicht gemacht.
Es waren sich jedoch alle einig, dass Greti, Peter und Mariette nichts dagegen gehabt hätten, im Gegenteil. Ich finde den Gedanken schön, etwas von meinen Erfahrungen und Erlebnissen schriftlich für meine Kinder und Enkelkinder zu hinterlassen. Ich hätte mir dies von meinen Grosseltern auch gewünscht.

In deiner Widmung sprichst du an, was du Peter und Greti zu verdanken hast: heitere Gelassenheit, unendliche Liebe. Was meinst du, was du selber deinen Nachkommen als «geistiges Erbe» hinterlässt?

Ich weiss es nicht. Menschen verändern sich ständig im Laufe der Jahre. Ich bin nicht mehr dieselbe, die ich vor zehn Jahren gewesen bin, und werde sicherlich in 10 Jahren nicht mehr dieselbe sein wie heute. Stand jetzt möchte ich meinen Nachkommen gerne mitgeben, dass sie Vertrauen in sich selbst haben sollen, den Mut haben, ihre Träume zu erfüllen, und dass ihr Glück der heilige Schatz ist, den es zu bewahren gilt – in welcher Form auch immer.