Von der Toleranz zum Frieden

von Basrie Sakiri-Murati 24. November 2023

Kolumne Der Krieg in Nahost weckt bei unserer Kolumnistin schmerzliche Erinnerungen. Für sie ist Toleranz Voraussetzung für ein Leben in Frieden.

In den 80er Jahren war Toleranz im Kosovo nahezu unbekannt. Patriarchale Verhältnisse bedeuteten: der Vater hat im Haus das Sagen, wer nicht gehorchte, wurde bestraft, oft mit gravierenden Folgen. Wenn sich ein Mädchen in einen Jungen verliebte und ihn ohne die Erlaubnis der Eltern traf oder gar heiratete, war sie eine Sünderin. Sie wurde von der Familie ausgeschlossen und durfte jahrelang nicht mehr nach Hause zurückkommen!

In dieser Umgebung war Toleranz für Jugendliche eine der grössten Herausforderungen. Auch heute stehen junge Albaner und Albanerinnen im Kosovo, aber auch im Exil, vor den gleichen Herausforderungen.
Dabei ist Toleranz überhaupt erst die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Nicht nur zwischen Landsleuten, sondern auch zwischen den Ethnien. Und Gleichberechtigung ist die Voraussetzungen für Toleranz!

Ich halte Toleranz in weitesten Sinn für eine der Hauptvoraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben.

Wo die einen in Freiheit leben, einen Job haben und genug zum Leben, und die anderen haben nichts, da gibt es keine Gleichheit und somit auch keine Toleranz. Eine solche Situation hatten wir im Kosovo. Die Serben hatten alle Rechte und besassen alles, was sie im Alltag brauchten. Während wir Albaner*innen vom serbischen Regime unterdrückt waren und ohne jegliche Sicherheit und Zukunftsaussichten leben mussten.

Diese Position weckte Gefühle der Überlegenheit bei den serbischen Besatzern. Nationalismus wurde propagiert und mit faschistischen Mitteln bekräftigten. Dies führte 1998 zum Krieg im Kosovo. Die Serben versuchten, die Albaner als Bürger zweiter Klasse einzustufen und auszurotten. Dieser Versuch scheiterte 1999 dank der Kosovo Befreiungsarmee und der Luftintervention der NATO gegen Serbien, das im Kosovo einen Völkermord verübte. Der Krieg im Kosovo ist leider nicht der letzte Krieg in Europa geblieben.

Religiöse Intoleranz führt auch anderswo zu Hass, Terroranschlägen und unschuldigen Opfern. Auch im Nahen Osten – und ganz aktuell jetzt im palästinensisch-israelischen Krieg. Es schmerzt mich, dass die Hauptopfer dieser Kriege immer wieder die Zivilisten sind: Tausende Kinder, Mädchen, Frauen und alte Leute.

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Allein im Kosovo sind infolge des Krieges durch serbische Streitkräfte über 800’000 Albaner*innen gewaltsam vertrieben worden. Mehr als 10’000 albanischer Zivilisten wurden getötet, darunter 1’133 Kinder. Über 20’000 albanische Frauen wurden vergewaltigt. 1’673 Personen sind im Krieg verschwunden und werden immer noch vermisst, darunter 109 Kinder. (Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und der kosovarischen Regierungskommission für vermisste Personen.)

Ich halte Toleranz in weitesten Sinn für eine der Hauptvoraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben zwischen Menschen, sowohl wenn sie im selben Land leben als auch in der Beziehung zu anderen Ländern. Die Welt wäre friedlicher und schöner, wenn die Menschen ohne zu werten akzeptieren und respektieren könnten, dass es kulturelle, religiöse, nationale oder politische Unterschiede gibt. Voraussetzung dazu wäre Toleranz. Ohne sie wird ein friedliches Zusammenleben unter den Menschen nie funktionieren. Und Freiheit und Gleichheit können nicht Tatsache werden