Von der Kritik zur Aktion

von Sophie Widmer 8. Mai 2024

Studium Die Vorlesung «Plurale Ökonomik» an der Universität Bern mischt den auf Neoklassik ausgelegten Lehrplan des Volkswirtschaftlichen Instituts auf. Diesen Frühling haben Studierende dazu erstmals Dozent*innen eingeladen, um Vorträge über alternative Perspektiven der Volkswirtschaft zu halten.

Kritisch denken, Zusammenhänge erkennen und Gelerntes hinterfragen. Alles Dinge, die Teil des universitären Lehrplans sind, jedoch manchmal vernachlässigt werden. Ich bin selbst Studentin der Universität Bern und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann habe auch ich vieles ohne kritischen Blick betrachtet. Deshalb faszinierte es mich umso mehr, die Gruppe «VWelles Rethinking Economics Bern» bei der Vorlesung zur ökologischen Ökonomik kennenzulernen.

«Rethinking Economics» ist eine globale Bewegung die auf internationaler, sowie regionaler Ebene vertreten ist und Studierende der Volkswirtschaftslehre zusammenbringt, um Kritik zu äussern, über Theorien zu diskutieren oder auch soziale Umstände aus dem Blick der VWL zu analysieren. Die Gruppe in Bern benutzt zusätzlich die Wortschöpfung «VWelles», da sie ursprünglich als Verein für feministische und plurale Ökonomie angefangen haben.

Neue Perspektiven

Im Frühlingssemester 2024 lanciert die Gruppe ihre erste eigens organisierte Vorlesung in Bern. Ich habe eine solche Vorlesung in Berlin besucht, die mich mit einer neuen Begeisterung für mein Studium zurückliess. Beim Lesen des Syllabus der Vorlesung in Bern sehe ich spannende Themen, die ich so im Lehrplan des Volkswirtschaftlichen Instituts noch nie gesehen habe: feministische, ökologische oder marxistische Ökonomie.

«Es gibt nur sehr wenige Professuren für heterodoxe Ökonomik in der Schweiz. Forschende, die in diesem Gebiet arbeiten wollen, finden selten Anstellung an volkswirtschaftlichen Lehrstühlen.

Umso grösser die Enttäuschung, als ich erfuhr, dass diese Vorlesung gar nicht für Studierende der VWL anrechenbar ist. «Wir haben keine offizielle Anfrage erhalten», meint Professor Blaise Melly auf Nachfrage. Weiter erklärt Melly, das Volkswirtschaftliche Institut sei grundsätzlich nicht abgeneigt und könne sich, nach einer Qualitätskontrolle der Inhalte, vorstellen, in den nächsten Semestern eine solche Vorlesung aufzunehmen.

Neue Perspektiven finden mit «VWelles Rethinking economics» (Foto: Mik Matter).

Das Problem mit der heterodoxen Ökonomik

Denn nicht das Volkswirtschaftliche Institut der Universität Bern, sondern das Centre for Development and Environment (CDE) ermöglicht die Vorlesung. Das CDE ist am Institut der nachhaltigen Entwicklung der Universität angegliedert. Durch das Gefäss «Students4Sustainability», einem hochschulübergreifenden Hub, haben die organisierenden Student*innen auch ein Budget für die vortragenden Personen erhalten.

Die Vorlesung wird demnach nur Student*innen der «Nachhaltigen Entwicklung» angerechnet. Nichtsdestotrotz treffe ich Studierende der VWL bei der Vorlesung zur ökologischen Ökonomie an. Sie nehmen aus Eigeninteresse an der Vorlesung teil und erzählen mir, dass sie sich eine solche Vorlesung im Curriculum der VWL wünschen würden.

Nebst Vorlesung organisiert «VWelles Rethinking Economics» eine Sommer Schule (Foto: Mik Matter).

Ich spreche nach der Vorlesung mit Max und Kaja. Sie gehören beide zu «Rethinking Economics» und haben die Vorlesung mitorganisiert. «Es gibt nur sehr wenige Professuren für heterodoxe Ökonomik in der Schweiz. Forschende, die in diesem Gebiet arbeiten wollen, finden selten Anstellung an volkswirtschaftlichen Lehrstühlen. Stattdessen finden heterodoxe Ökonom*innen eher an politikwissenschaftlichen, geografischen oder interdisziplinären Lehrstühlen ihren Platz», erzählt Max. Somit mache es auch Sinn, dass eine Vorlesung zur pluralen Ökonomie erstmal beim Volkswirtschaftlichen Institut anklopfen und sich beweisen muss.

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Kritik am Mainstream

Als Studentin habe ich, zusammen mit meinen Mitstudierenden, immer wieder die fehlende Pluralität im VWL-Studium kritisiert. Wirtschaft ist weitgehend verflochten mit unserer Gesellschaft. Politik, Umwelt, Geografie, alles scheint davon beeinflusst zu sein. In fast jedem dieser Fächer wird eine Vorlesung bezogen zur Wirtschaft gehalten. Doch warum nicht auch andersherum? Warum wird Ökonomie nicht vermehrt im Kontext anderer Disziplinen gelehrt?

Die Vorlesung «Plurale Ökonomie» findet im Unigebäude Mittelstrasse statt (Foto: Mik Matter).

An der Universität soll überwiegend «Mainstream-Ökonomik» gelehrt werden, doch was heisst das eigentlich genau? Professor Blaise Melly erklärt mir, dass er die Kritik an der vermeintlichen «Mainstream-Ökonomik» nicht versteht. «Ehrlich gesagt, weiss ich nicht genau, was mit ‚Mainstream-Ökonomik‘ gemeint ist. In unserem Institut bemühen wir uns, ein breites Spektrum wichtiger ökonomischer Fragen zu behandeln. Wir legen grossen Wert darauf, verschiedene Theorien miteinander zu konfrontieren und mit empirischen Daten abzugleichen.»

Wirtschaft ist weitgehend verflochten mit unserer Gesellschaft. Politik, Umwelt, Geografie, alles scheint davon beeinflusst zu sein.

Ich frage Max, wie er diesen Begriff begreift. «Mainstream-Ökonomik ist das, was in ökonomischen Lehrstühlen mehrheitlich gelehrt wird. Ja es gibt an der Universität Vorlesungen zur Arbeitsmarkt-, Gesundheits- oder auch Umweltökonomik, aber das ist Pluralität in einer Denkschule und nicht Pluralität von Denkschulen!»

Kaja führt weiter aus: «Wir hoffen, die heterodoxe Ökonomie ein Stück weit zu institutionalisieren und zu zeigen, dass es verschiedene Perspektiven auf Lösungsansätze oder Probleme gibt, so dass diese Perspektiven auch ernst genommen werden und eben nicht nur die Mainstream-Ökonomik.»