Vom Privileg, ein Jubiläum zu feiern

von Basrie Sakiri-Murati 19. September 2022

Unsere Kolumnistin nahm als «lebendes Buch» und somit Auskunftsperson am 10-jährigen Jubiläum von Journal B teil. Als gebürtige Kosovo-Albanerin weiss sie um die Fragilität von freien Medien – und um die Pflicht die Meinungsfreiheit zu bewahren.

Seit einem Jahr schreibe ich Kolumnen für Journal B. Die Zusammenarbeit mit dem Team ist für mich eine bereichernde und sehr schöne Erfahrung. Mit voller Freude habe ich deshalb die Einladung zum 10-jährigen Jubiläumsfest von Journal B erhalten. Es war das erste Mal, dass ich etwas Vergleichbares erleben durfte. Ich empfand es als grosses Privileg, als Autorin ein Teil der «Living Library» zu sein. (An einer Living Library leiht man Menschen für ein Gespräch aus, Anm. d. Red.)

Doch bevor ich vor Ort war, begleiteten mich gemischte Emotionen. Werde ich die Erwartungen von Journal B und den Leser*innen erfüllen? Die Frage kam oft auf – und machte mich nervös.

In den 80er-Jahren, als ich im Kosovo lebte, musste ich sehr aufpassen, wenn ich Zeitungen oder Literatur las, die von der Regierung verboten waren. Ich schrieb schon damals Tagebuch, Prosa und Gedichte. Allerdings unter strengster Geheimhaltung. Frei äussern durfte ich mich nur im engsten Familienkreis und unter vertrauenswürdigen Freund*innen. Sonst wäre ich nicht lange auf freiem Fuss geblieben. Unzählige junge Aktivist*innen sassen damals hinter Gitter und wurden sogar als Terrorist*innen verurteilt – nur weil sie «verbotene Literatur» lasen. Also Bücher und Zeitungen, die zensurfrei über wahre Ereignisse berichteten und in denen die Freiheit und die Rechte der Kosovo-Albaner*innen proklamiert und verlangt wurden.

Das waren Gedanken, die mich begleiteten, als ich das «Wartsaal Kaffee» betrat, in dem das Journal B-Jubiläum stattfand. Das waren andere Umstände. Damals litten die Medien stark unter der staatlichen Zensur, die im Kosovo herrschte. Jetzt befinde ich mich nicht nur in einem anderen Land, sondern auch in anderen Zeiten.

Ich betrat den «Wartsaal» in Bern; in der Schweiz – einem demokratischen Land – um dort das Jubiläum eines freien Mediums zu feiern. Dort empfing mich das freundliche Team von Journal B. Sie gaben mir das Gefühl, als würde ich eine Friedensmission antreten und nicht nur eines von zehn «lebenden Büchern» der «Living Library» zu sein.

Als Journal B-Leserin erlaube ich mir eine kurze Einschätzung: Das Team
engagiert sich mit voller Motivation für ein repräsentatives Bern. Sie bedienen das Publikum so gut wie möglich mit den aktuellen und wichtigsten Themen. Ähnliche Töne hörte ich von vielen meiner Kolleg*innen, mit denen ich über meine Kolumne und über Journal B diskutiert habe. Das Team sorgt auch für das Wohlsein der Autor*innen. Den professionellen und liebevollen Umgang durfte ich am Jubiläumsfest selbst erleben und geniessen.

Die Gespräche mit den Leser*innen des Journal B an der «Living Library» waren angenehm. Die Gäste waren sehr interessiert und stellen vielfältige Fragen: Warum ich in die Schweiz gekommen sei, über meine politischen Aktivitäten in Kosovo, wie ich die Zeit als Asylsuchende in Erinnerung habe, was ich heute mache und warum ich Kolumnen schreibe. Sie hörten sehr aufmerksam zu und waren teils erstaunt über meine Antworten.

Auch heute noch gibt es Länder, in denen die Medien eingeschränkt und die Medienschaffenden verfolgt werden. Sie haben weder das Privileg noch die Möglichkeit, ein Jubiläum zu feiern.

Nicht nur im Kosovo der 80er-Jahren wurden freie Medien verboten und wurden Journalist*innen für ihre Tätigkeit verhaftet. Auch heute noch gibt es Länder, in denen die Medien eingeschränkt und die Medienschaffenden verfolgt werden. Sie haben weder das Privileg noch die Möglichkeit, ein Jubiläum zu feiern. Freie Medien, wie in diesem Fall Journal B, bieten neben dem Kontakt mit den Leser*innen die Möglichkeit zur öffentlichen und freien Meinungsäusserung. Es ist die Pflicht der freien Medien, sich mit ihren Kolleg*innen zu solidarisieren und gemeinsam die Stimme zur Verteidigung ihrer Rechte und der Meinungsfreiheit zu erheben.