Ist das Liebe? Worauf beruht sie, wie drückt sie sich aus? Bleibt die Liebe? Oder: Was bleibt ihnen beiden, nachdem sie gegangen ist? Die Fragen wirken nach so wie die sich entfernenden Klänge der Frau. Ein rauer Aufschrei des Mannes. Dann Dunkel.
Die meiste Zeit war es hell. Das Stück spielt im weiss getünchten Orchestergraben des Stadttheaters (Bühnenbild und Kostüme Rainer Sellmaier). Er ähnelt einem Pool mit zwei Ein- und Ausstiegsleitern. Der Mann, der in der Klinik behandelt wird, trägt schwarz (Robin Adams). Schwarz gekleidet ist auch die Frau (Claude Eichenberger), die ihn besucht und zuerst von oben, später ebenfalls im Graben mit ihm streitet, sich seiner erwehrt, ihn in den Armen hält, eher ein Kind als einen Mann, ihn schliesslich sorgsam anzieht – und über zwei Leitern langsam verlässt. «Küsse, Bisse, / Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, / Kann schon das eine für das andere greifen. / Verflucht das Herz, das sich nicht mäss’gen kann» heisst es in Kleists «Penthesilea». Das trifft etwa das Geschehen im «Liebesverrat». Das Paar ringt um seine Beziehung, die Liebe. Er krank, sie verletzt. Sie fühlt sich hintergangen, weil er ihr nicht von seiner Behandlung erzählt hat und jetzt nicht in der Lage ist, auf ihre Annäherung einzugehen.
Wenn man, wie ich, die Vorstellung besucht ohne das Programmheft gelesen zu haben, versteht man manches nicht. Denn oft sind im Graben die Sängerin und der Sänger nicht zu sehen, sind ihre Worte kaum zu verstehen. Der Gesang übertönt das Sprechen. Gesungen wird oft laut, zu laut, fast schrill. Eine Übertitelung fehlt leider, wohl weil der Text deutsch ist. So verrenkt man sich auf der Tribüne, die auf der Bühne aufgebaut ist, oft vergeblich.
Dafür sieht man für einmal in das geschlossene Parkett und viele dort installierte Bildschirme, wie es sie auch in anderen Teilen des Zuschauerraums und im Orchestergraben – der eigentlichen Bühne – gibt. Sie flackern verschiedentlich grundlos, wie es scheint, und füllen sich zuweilen mit schwarz-weissen Bildern von Zug- und anderen Vögeln, von zarten Vögelchen, einem Nestlein und zuletzt farbigen Aufnahmen exotischer Gefieder (Video Manuel Braun und Jonas Dahl).
Ja, über den Graben hinweg ist der Blick frei in den ersten, zweiten, dritten Rang, die Logen, die Treppen, die rundlichen Balustraden mit ihren Ornamenten. Man sieht, wo man sonst sitzt: ein mittelgrosses Plüschtheater mit Riesenlüster, 120-jährig, kleiner wirkend als in Erinnerung. Man sieht Zuschauende vis-à-vis, einige von ihnen verlassen ihre Plätze schon recht früh, aber ohne die Bleibenden stören zu wollen. Und man ist auf der Bühnentribüne umgeben von schwarzer Technik voller farbiger Lämpchen, während im Zuschauerraum hunderte verschiedenfarbiger Lichtlein das Funktionieren einer unsichtbaren Technik signalisieren.
90 Minuten dauert der Versuch, den Bühnen Bern mit dem Auftragswerk an vier Vorstellungsabenden wagen. Das Wagnis ist grundsätzlich zu begrüssen: Zwei Stimmen, kein Orchester, ein karger Text mit x-fachen Wiederholungen einzelner Silben und Sätze, ein neuartig erfahrbares Theater, urmenschliche Fragen zwischen Frau und Mann. Und doch: Der an sich kurze Abend zieht sich zäh, Manches bleibt im Ungefähren mangels Artikulation oder Akustik. Die Übertitelung auszulassen, schadet dem Text. Bühnen Bern hat das Wagnis nicht zu Ende gewagt. Warum?
Journal B unterstützen
Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.
Am Schluss bleiben Fragen zum Geschehen, an das Libretto, an die Schauspielbegabung der Sängerin und des Sängers – wenn man sehr kritisch sein will: an das Ganze. Es mag sonderbar tönen: Am ehrlichsten und überzeugendsten waren das Schnauben, das Stöhnen, das Summen und Brummen, die kreatürlichen Laute. Und etwa in der Mitte der Aufführung die Stille, als die Frau den Mann umfangen hielt, ein Bild des Friedens und der Ruhe.