Vo Lafericheibe und Liirihüng

von Martina Messerli 21. Dezember 2012

Konzert Theater Bern führt derzeit Pedro Lenz’ Mundartroman «Der Goalie bin ig» auf. Der Berner Schauspieler Jonathan Loosli verleiht dem strauchelnden Helden ein eindrücklich vielfältiges Gesicht.

Als die Tür zu Vidmar 2 aufgeht, strömt den Wartenden dicke Luft entgegen. Unsicher taste ich mich in den Raum, versuche im künstlichen Nebel einen Sitzplatz zu ergattern. Die Leute husten und es kommen dumpfe Erinnerungen hoch an die Zeit, in der in den Spunten dieser Stadt noch geraucht werden durfte. Die dicke Nebelsuppe lichtet sich und gibt langsam die Sicht auf die Bühne frei. Dort stehen sie: kalt und unbeweglich, fast grotesk – jetzt, wo der Regen draussen den Schnee fast vollständig weggewaschen hat – sechs Schneemänner. Es kann also losgehen.

Doch halt: Einer fehlt noch. Die Tür geht nochmals auf und er platzt rein, viel zu spät natürlich. Während andere sich leise in den Saal schleichen und einen Platz in der letzten Reihe suchen würden, ist er unüberhör- und unübersehbar. Denn der Goalie ist laut, er ist einnehmend und er braucht ein Publikum für seine Räubergeschichten. Dessen Aufmerksamkeit ist ihm zumindest für die nächsten 90 Minuten sicher.

Der Regisseur Till Wyler von Ballmoos bringt mit dem Einakter «Der Goalie bin ig» den gleichnamigen Roman des Berner Autors, Kolumnisten und Spoken-Word-Artisten Pedro Lenz auf die Bühne. Die Rolle des Goalie besetzt Jonathan Loosli, der als gesprächiger Ex-Junkie die Bühne im Alleingang und mit vollem Körpereinsatz bespielt. Die sechs kalten Gesellen, mit denen er wahlweise spricht, sich an sie klammert oder seine Wut an ihnen auslässt, dienen nebst sparsam eingesetzten Licht- und Soundeffekten als Kulisse.

Auf den Punkt

Eben erst aus der Haftanstalt Witzwil entlassen – «Vollpension wäge Giftgschichte» –, versucht der Goalie in seiner Heimat, der Kleinstadt Schummertal, wieder Fuss zu fassen. Allerdings hat sich das Umfeld des Protagonisten in seiner einjährigen Abwesenheit kaum verändert, oder etwa doch? Man trifft sich im Maison, der Dorfspelunke, oder beim Spanier und der Goalie tut was er am besten kann, er erzählt. Am liebsten von der Vergangenheit, der Kindheit, den Fussballspielen in der Jugendzeit. Er weigert sich standhaft, in die Zukunft zu blicken, an der Gegenwart interessiert ihn höchstens die kurz aufflackernde Beziehung zu Regula, die im Maison serviert und für die sein Herz brennt. Die Vergangenheit war zwar auch nicht immer nur schön, aber die kann er sich zumindest so arrangieren, wie sie ihm gefällt. Der Goalie braucht die wortreichen Geschichten wie die Luft zum Atmen. Er braucht sie, um die Welt, in der er lebt, zu begreifen, sein eigenes Leben und Handeln zu verstehen. Manchmal möchte man ihm aus den Zuschauerrängen zurufen: «Goalie, chum ändlech zum Punkt».

Jonathan Loosli spielt den einsamen Mann, der im Leben noch nicht viel Glück gehabt hat, mit beeindruckendem Facettenreichtum, ohne ihn der Lächerlichkeit Preis zu geben. Da ist einerseits der komische Charmebolzen, ein «Lafericheib» der mit seinen Geschichten die Menschen zum Lachen bringt. Der gehetzte Ex-Drögeler, immer auf der Suche nach Geld, einem Job, einer Wohnung, einer Frau, dem «Kick». Plötzlich wird er aggressiv, unberechenbar. Und in der Nacht, wenn sich die Gedanken im Kopf drehen und der Kopf sich vom vielen Wein auch, ist er einfach nur traurig. Und plötzlich scheinen auch die vielen merkwürdigen Geschichten und offenen Fragen aus der Vergangenheit einen Sinn zu ergeben.

Die andere Wahrheit

Denn genau die Vergangenheit, an die er sich verzweifelt klammert, holt den Goalie ein. Plötzlich scheint nicht mehr klar zu sein, wer Freund und Feind ist. Immer stärker wird die Vermutung, er habe als Bauernopfer für einen lukrativen Deal herhalten müssen. Als sich der Verdacht bestätigt, kehrt der Goalie Schummertal und seiner Regula den Rücken, sucht sich sein Glück in der Stadt. Er sagt nennt es zwar «Glückssträhne», doch nicht zum ersten Mal zweifelt der Zuschauer an seiner Version der Geschichte. Und während die mittlerweile arg zugerichteten Schneemänner im warmen Licht der Scheinwerfer langsam dahin schmelzen wie die Glaubwürdigkeit des Goalie, entlässt er uns mit seiner unfertigen Geschichte, die im Kopf nachhallt wie die Lautsprecherstimme, die den ausgezeichneten Theaterabend beendet.