Der Fluch der Grossprojekte schlägt zu, einmal mehr. Neuestes Beispiel ist der Viktoriaplatz, die stark befahrene Pforte zum Berner Nordquartier. Und Teil der Grossplanung «Dr nöi Breitsch».
Umfangreiche Bau-Vorhaben wie «Dr nöi Breitsch» haben es aus verschiedenen Gründen nicht leicht:
– Sie sind grossflächig, hier der Raum Viktoriaplatz/Breitenrainplatz/Guisanplatz, und sie sind in mehrere Teilprojekte aufgesplittet. Überall spielen andere Abhängigkeiten, zum Beispiel der dringende Ersatz neuer Schienen oder von ewb-Netzen. Umgekehrt winken mögliche Synergien mit anderen Projekten wie dem Migros-Neubau. (Weil sowohl das Migros-Projekt wie das Stadt-Projekt vor Bundesgericht landeten, wurde der Zeitpunkt für einen gemeinsamen Baubeginn unverschuldet um mehrere Jahre verpasst. Sprich: Löcher werden zweimal aufgerissen, der Baulärm verdoppelt sich zeitlich.)
– Grossprojekte bieten schon rein vom Umfang und den unterschiedlichen Zuständigkeiten her zahlreiche juristische Angriffsflächen. Beim «Dr nöi Breitsch» wurden schon der entsprechende Stadtrats-Beschluss und die (klare) Volksabstimmung bestritten, was demokratiepolitisch unschön ist und die Stadt Jahre (und viel Geld) kostete. Jetzt harren noch die inhaltlichen Einsprachen ihrer Erledigung, teilweise beim Kanton und vor dem Bundesgericht.
– Dort wo Eisenbahnrecht gilt, zum Beispiel beim Viktoria-Platz, ist eine Quartierorganisation nicht Einsprache-berechtigt. Die Mitwirkung ist somit nicht mehr gewährleistet. Sobald ein Projekt auf der rechtlichen Schiene ist, entfallen Infoveranstaltungen fürs Quartier: Da ohnehin Gerichte entscheiden, gibt’s vermeintlich nicht mehr viel zu diskutieren… Das rächt sich spätestens bei der Realisierung. Denn verschiedene Anspruchsgruppen wurden systematisch abgehängt.
– Durch die vielen verschiedenen Bedürfnisse von Kanton, Stadt (Verkehrsplanung, Tiefbau), Bernmobil, ewb und den Einsprechenden (u.a. Pro Velo) ergibt sich letztlich ein Flickwerk, das immer abstruser wird. «E fertigi Schissplanig», wie es sogar aus dem Gemeinderat tönt. Siehe der ungastliche Eigerplatz.
– Jahrelange Verzögerungen führen dazu, dass sich auch die Parameter laufend verändern. So wurde etwa der Viktoria-Kreisel noch mit der Annahme Tempo 50 geplant. Jetzt wird aber Tempo 30 oder gar 20 kommen (Einsprache hängig). Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, wird die einmal bewilligte Planung durchgezogen. Zumal Gleise vorzugsweise in den Sommerferien ausgewechselt werden und man deshalb immer gerade sofort ein Jahr verliert.
Fussgängerfläche stark verkleinert
Für den Viktoriaplatz liegt jetzt endlich eine Baubewilligung vor. Aber ausser BernMobil (Option für Tram Bern-Ostermundigen bleibt gewahrt) kann niemand über den aktuellen Plan glücklich sein. Insbesondere die AG Verkehr der Stadtteilkommission DIALOG Nordquartier. Mit selber gesprayten Linien (siehe Bilder) zeigte sie auf, wo künftig Kreisel und Trottoirs verlaufen werden. Um es kurz zusammenzufassen: Der Platz ist faktisch fussgängerbefreit. Präziser: An den Rändern gibt es noch kleine Überreste von Trottoirs. Der Charme ist dahin. Und: Im überdimensionierten Kreisel dürften sich Velofahrende nicht wahnsinnig wohl (und sicher) fühlen.
«Zeit nutzen»
Urs Jost, der die AG Verkehr leitet, sagt: «Wir sprechen uns dafür aus, dass am Viktoriaplatz im Moment nur die notwendigsten Arbeiten im Untergrund ausgeführt werden und die endgültige Gestaltung erst erstellt wird, wenn das Tram nach Ostermundigen gebaut wird. » Die Zeit solle jetzt dazu genutzt werden, um den Plan für den Viktoriaplatz an die heutigen Erfordernisse anzupassen. «Es ist nicht zu spät für Projektanpassungen, dafür braucht es keine Neuauflage des Projektes. Befürchtungen bezüglich Kostensteigerungen und Verzögerungen sind Angstgespenste», so Jost weiter.
Offene Fragen der AG Verkehr
Die AG Verkehr, die auch Pro Velo und Fussverkehr Kanton Bern hinter sich weiss, richtet deshalb an das Tiefbauamt folgende Fragen:
- Am Viktoriaplatz wurden etliche Projektänderungen durchgeführt. Weshalb soll am Viktoriaplatz mit dem Bau begonnen werden, obschon nicht alle Bewilligungen vorliegen?
- Der Kreisel soll nachträglich vergrössert werden. Dies führt zu neuen Gefahrenpotenzialen. Wie wird sichergestellt, dass z. B. die Kreiselausfahrt für Lastwagen in die Moserstrasse gefahrlos möglich ist?
- Von der Verkehrsplanung der Stadt Bern wurden Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet. Wurden diese Lösungen mit dem Bundesamt für Verkehr proaktiv zwecks einer Optimierung des Kreisels besprochen?
Die letzten Sitzungen der AG mit dem Tiefbauamt führten nicht weiter. Auch Stadtpräsident Alec von Graffenried, der Mitte Juni eine DIALOG-Versammlung besuchte, konnte keine Hoffnungen wecken. Ein Artikel in der BZ vom 30. Juni fand in der Bevölkerung derart grosse Beachtung, dass die AG unbeirrt weiter kämpft.
* Der Autor Urs Frieden ist Präsident der Stadtteilkommission DIALOG Nordquartier