Jacob Schädelin entkräftet das stärkste Argument der Befürworter:
«Ich kann nur mit Karl Valentin anfangen, wenn ich alles bedenke, was ich zur zehnten Revision des Asylgesetzes gelesen habe: Es ist schon alles gesagt, aber nicht von allen. Darum äussere auch ich mich zur Sache.
Das stärkste Argument für diese Revision liegt in der angestrebten Beschleunigung der Asylverfahren. Bundesrätin Sommaruga argumentiert fast nur mit diesem einen Punkt. Doch dieser theoretisch starke Punkt erweist sich als sehr schwacher Punkt, wird er in die Praxis umgesetzt. Denn zügig behandelt werden sollen zunächst nur diejenigen Asylgesuche, die angeblich ‚aussichtslos’ sind und zu einem negativen Entscheid führen dürften. Doch diese Gesuche brauchen bereits jetzt, ohne die neue Revision, nur etwa 200 Tage für einen Entscheid in erster Instanz, und nicht 1400. Diese Zahl, mit der die Befürworter der Revision gerne operieren, gibt nur die durchschnittliche Dauer der wenigen Verfahren an, in denen sämtliche Rechtsmittel ergriffen werden.
«Wie soll eine traumatisierte Frau ihre bedrückenden und beschämenden Erlebnisse unter grösstem Zeitdruck einer fremden Person anvertrauen können?»
Jacob Schädelin, Präsident Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers
Lange, unzumutbar lange Verfahrensdauern bestehen tatsächlich bei den Gesuchen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem positiven Entscheid führen werden. Aber genau diese Gesuche sollen nicht vordringlich behandelt werden, ja viele werden gar nicht behandelt, zur Zeit zum Beispiel die Gesuche von Flüchtlingen aus Syrien. Um die Verfahren zu verkürzen, braucht es also keine Revision, «man müsste die Gesuche einfach behandeln, statt sie liegenzulassen» (Moreno Casasola). Das theoretisch stärkste Argument mit der Verkürzung der Verfahren entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Scheinargument. Denn die Migrationsbehörden wollen bei den Gesuchen mit guter Chance auf einen positiven Entscheid die Dauer des Verfahrens gar nicht verkürzen, weil sie so wenig positive Asylentscheide wie möglich wollen.
«Schneller heisst nun eindeutig auch schlechter, das Asylverfahren wird nun zu einem unfairen Verfahren.»
Jacob Schädelin, Präsident Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers
Zudem: Die Verkürzung der Verfahren, wie sie nun aufgrund der Revision getestet werden soll, soll auch durch die Verkürzung der Beschwerdefrist von bisher 30 auf zehn Tage erreicht werden. Dadurch werden die Bemühungen um Beschleunigung zur Finte; schneller heisst nun eindeutig auch schlechter, das Asylverfahren wird nun zu einem unfairen Verfahren. Denn wie soll eine traumatisierte Frau ihre bedrückenden und beschämenden Erlebnisse unter grösstem Zeitdruck einer fremden Person, und sei die Anwältin noch so einfühlsam, anvertrauen können? Vertrauen braucht Zeit. Wie sollen Beweismittel in dieser kurzen Frist beschafft werden können? – Die Beteuerungen von Bundesrätin Sommaruga, dass die Beschleunigung zuerst im Interesse der Asylsuchenden liege, wird durch diesen Revisionspunkt unglaubwürdig.
NEIN, auch diese Revision bringt nichts Gutes. Auch die gute Absicht, die Verfahren zu verkürzen, wird unter der Hand, das heisst unter diesem Gesetztext zu einem Übel. Es bleibt nichts anderes, als NEIN zu sagen. Damit ist alles gesagt, nun auch von mir.»
Hasim Sancar begründet, warum er die Revision ablehnt:
«Das Asylgesetz, das seit 1981 in Kraft ist, wurde bereits zehn Mal verschärft. Die letzten Verschärfungen nehmen eine neue Dimension an. Sie werden für eine Testphase von zwei Jahren für dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt, um sie dann später zu rechtfertigen. Gegen solche ex-post legitimierte Verschärfungen wurde das Referendum ergriffen, das auch die Grünen unterstützen.
«Die Schweiz schafft das bisherige Botschaftsasyl ab, fördert so indirekt Schlepper und legitimiert den Ausbau der Überwachung.»
Hasim Sancar, Grossrat Grüne Partei
Mit der Verschärfung in Eile möchten der Bundesrat und die bürgerliche Mehrheit die bescheidene Zahl der Asylsuchenden (2012: 28’631) in der Schweiz weiter reduzieren. Weltweit sind 43 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten in Ursprungs-, Nachbar- und Entwicklungsländern. Jährlich verlieren 1500 Menschen ihr Leben auf dem Weg nach Europa, weil die Boote überladen und untauglich sind.
Um schutzsuchende Menschen aus der Schweiz fern zu halten, schafft die Schweiz das bisherige Botschaftsasyl ab, fördert so indirekt Schlepperorganisationen und legitimiert den Ausbau der Überwachungstechnologien. Botschaftsasyl war v.a. für Frauen und Kinder eine Hilfe und viele Flüchtlinge, die wegen politischer Verfolgung fliehen und ohne Pass illegal in die Nachbarländer flüchten, haben davon Gebrauch gemacht.
«Dieser Begriff der Renitenz ist nicht nur diffus sondern rechtlich auch kaum fassbar.»
Hasim Sancar, Grossrat Grüne Partei
Ein weiterer Stein des Anstosses ist die rechtsstaatlich unakzeptable Reduktion der Beschwerdefrist von 30 auf 10 Tage. Wie können Menschen, die seit kurzem in der Schweiz sind, unsere Sprache und Rechtssystem nicht kennen und mittellos sind, dies bewerkstelligen?
Mit den besonderen Zentren für renitente Asylsuchende leisten die Bundesbehörden der Willkür Vorschub, denn dieser Begriff der Renitenz ist nicht nur diffus sondern rechtlich auch kaum fassbar. Doch mit den geschlossenen Zentren für Asylsuchende ist der erste Schritt gemacht und das, obschon wir ja ein Strafgesetz hätten, mit dem bestraft wird, wer dagegen verstösst. Um diese auch gesellschaftspolitisch gefährliche Entwicklung zu stoppen, braucht es am 9. Juni unbedingt ein Nein zur Asylgesetzrevision.»
Christa Ammann fragt, was für eine Schweiz wollen wir?:
«Bei der Asylgesetzrevision geht es nicht um die Beschleunigung der Verfahren, wie uns die Befürworter und Befürworterinnen weis machen wollen. Vielmehr geht es darum, ob wir das Misstrauen in den Gesetzen festschreiben wollen; ob wir Menschen durch die Abschaffung des Botschaftsasyls die Möglichkeit nehmen, sich eine gefährliche Flucht zu ersparen; ob wir Militärdienstverweigerung als wichtigen Beitrag zur Friedenserhaltung betrachten oder als feige; ob wir gesetzliche Willkür angebracht finden und ob wir dem Bundesrat einen Freipass für das Experimentierfeld Asylverfahren geben wollen. Das Botschaftsverfahren abzuschaffen, ist schlicht skandalös: es führt dazu, dass Menschen in besonders prekären Lagen die Möglichkeit genommen wird, vor Ort ein Gesuch einzureichen.
«Das Botschaftsverfahren abzuschaffen ist schlicht skandalös: es führt dazu, dass Menschen in besonders prekären Lagen die Möglichkeit genommen wird, vor Ort ein Gesuch einzureichen.»
Christa Ammann, Berner AL-Stadträtin
Die Abschaffung des Botschaftsasyls ist eine Absage an diesen humanitären Ansatz und spielt nur den Schlepperbanden in die Hände. Dass Kriegsdienstverweigerung kein Asylgrund mehr sein soll, zeigt einmal mehr, dass die Mehrheit des Parlamentes immer noch dem „Dienst am Vaterland”-Bild anhaften und nicht verstehen (wollen), dass die Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, eine Heldentat ist, insbesondere dann, wenn man dadurch selber mit Verfolgung rechnen muss.
Die Verwehrung des Asyls für Kriegsdienstverweigerer beinhalten für mich die Aussagen wie «Krieg ist sinnvoll» oder «Regimegegner zu sein ist nicht legitim». Beides Aussagen, die ich nicht teile.
Lager für Renitente? Wer bitte ist denn renitent? Widerspenstigkeit ist kein objektiver Begriff, sondern klar von den eigenen Wertvorstellungen geprägt. Dass ein solcher Begriff den Eingang in die Gesetzgebung gefunden hat, zeigt exemplarisch, wie emotional belastet viele unserer Parlamentarier zum Thema Asyl sind. Willkürliche Gesetzgebungen sind aber definitiv nicht im Interesse derjenigen, die sich regieren lassen müssen. Heute trifft es die Einen und morgen die Anderen?
«Dass der Begriff Renitenz den Eingang in die Gesetzgebung gefunden hat, zeigt exemplarisch, wie emotional belastet viele unserer Parlamentarier zum Thema Asyl sind.»
Christa Ammann, Berner AL-Stadträtin
Das Parlament gibt mit der dreijährigen Testphase für den Bundesrat seine Verantwortung bei der Gesetzgebung ab und nimmt der Stimmbevölkerung die Möglichkeit, direktdemokratisch Einfluss zu nehmen. Im Rahmen dieser Testphase wurde bereits die Beschwerdefrist bei asylrechtlichen Entscheiden auf 10 Tage verkürzt. Es soll mir mal wer sagen, wie man innerhalb von 10 Tagen fehlende Dokumente aus einem Krisengebiet besorgen kann?
Wollen wir diese sinnlosen Verschärfungen wirklich? Wollen wir nicht viel mehr ein offenes Land, welches Gesetzgebungen zum Schutz von Menschen macht und nicht um diese zu unterdrücken? Wollen wir nicht viel mehr auch den Menschen in besonders prekären Lebenslagen eine etwas weniger gefährliche Möglichkeit bieten, ein Asylgesuch zu stellen? Wollen wir nicht durch Beschwerdefristen reelle Chancen bieten, fehlende Dokumente nachzureichen? Und hat das Gesetz nicht die Aufgabe, Willkür zu unterbinden statt festzuschreiben? Deshalb NEIN zur Asylgesetzrevision am 9. Juni!»
Jo Lang wittert im verschärften Asylgesetz eine Schande für die Schweiz:
«Die zehnte Verschärfung des Asylgesetzes innerhalb von drei Jahrzehnten ist die bislang politischste. Die Abschaffung des Botschaftsasyls trifft die am meisten Schutzbedürftigen, die Frauen und Kinder. Die Revision zwingt sie, sich den Schleppern und den Gefahren einer Flucht durch Wüsten, über Meer und Berge auszuliefern.
«Die Abschaffung des Botschaftsasyls trifft die am meisten Schutzbedürftigen, die Frauen und Kinder.»
Jo Lang, Alt-Nationalrat (Grüne)
In meinen folgenden Ausführungen konzentriere ich mich auf den zweiten besonders skandalösen Revisionspunkt: Den Ausschluss der Kriegsverweigerung als Asylgrund. Wer den neuen Absatz genau liest und die Verschärfung genau verfolgt, kann ihn nur gut finden, wenn er einen Militärkopf auf den Schultern trägt. Ein serbischer Soldat, der im Juli 1995 in Srebrenica desertiert wäre, hätte aufgrund dieser Verschärfung keine Chance mehr, in der Schweiz als Flüchtling anerkannt zu werden. Gleich ginge es einem syrischen Soldaten, der sich weigert, für den Tyrannen Assad auf die eigenen Landsleute zu schiessen.
Im bisherigen Artikel 3 des Asylgesetzes hatte es zwei Absätze, welche definierten, was ein Flüchtling ist. Jetzt wurde folgender Absatz 3 beigefügt: «Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu sein.» Ich bitte Sie, bevor Sie den Abstimmungszettel ausfüllen, dringendst, diesen Satz aufmerksam und wiederholt zu lesen. Und lassen sie sich dabei nicht vom verschämten Nachsatz einlullen: «Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.»
«Es ist eine Schande, dass die Schweiz das Signal aussendet: Desertion ist etwas Dubioses!»
Jo Lang, Alt-Nationalrat (Grüne)
Allerdings beinhaltete der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates vom Mai 2010 noch das entscheidende Wörtchen «einzig»: «Keine Flüchtlinge sind Personen, die einzig wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind (…).» Der Ständerat, der am 12. Dezember 2011 als Erstrat die Asyl-Revision beriet, unterstützte diese Verschärfung unter ausdrücklichem Hinweis auf dieses Adjektiv. So sagte Christine Egerszegi-Obrist (FDP), dass dank dieser Bestimmung Desertion weiterhin ein Asylgrund sei, sofern wegen ihr «eine unmenschliche Behandlung drohe. Es war der Nationalrat, der am 13. Juni 2012 die bundesrätliche Bestimmung zusätzlich und entscheidend verschärfte, indem er das Wörtchen «einzig» strich. Andreas Gross (SP), der mit dem bundesrätlichen Vorschlag hätte leben können, führte aus, was diese Streichung bedeutet: «Einer, der Wehrdienstverweigerer ist, hätte dann nicht mehr das Recht, um Asyl zu ersuchen, er könnte keinen Flüchtlingsstatus mehr erhalten.»
Es ist eine Schande, dass mit diesem neuen Absatz 3 von Artikel 3 des Asylgesetzes die Schweiz in die Welt, insbesondere nach Syrien, das Signal aussendet: «Desertion ist etwas Dubioses!» Aber so denken halt die meisten rechten Männer. Deshalb appelliere ich an die linken und liberalen Männer und an die Frauen: Stimmen Sie am 9. Juni Nein!»