1989 erliess die EU, die damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG hiess, eine Richtlinie, die eine Quotenregelung für Fernsehprogramme einführte. Rund 30% der Programme sollten mit europäischen Werken bestückt werden, und 10% der Sendezeit mussten für Programme reserviert sein, die von fernsehunabhängigen europäischen Firmen produziert worden waren. Damit wollte die EWG der europäischen Filmproduktion unter die Arme greifen, welche sich aufgrund der angelsächsischen Dominanz in vielen Mitgliedsländern in einer ernsthaften Krise befand.
Erfolgreiche Wirtschaftsförderung
Da die EWG nur für wirtschaftliche Fragen zuständig war, nicht aber für die Kultur, begründete sie die Massnahme rein ökonomisch. Die Quotenregelung solle dafür sorgen, mit der Filmindustrie einen zukunftsträchtigen, sehr arbeitsintensiven und standortbezogenen Wirtschaftszweig in Europa zu erhalten. Einzig Frankreich, das schon viel früher eine solche Regelung eingeführt hatte und das damals über die umfangreichste Filmindustrie Europas verfügte, argumentierte auch kulturpolitisch: Es müsse für den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen eine «exception culturelle» geben, die es den einzelnen Ländern erlaube, Massnahmen zum Schutz der eigenen Kultur, insbesondere der dortigen Minderheitenkulturen zu treffen. Dementsprechend erliess Frankreich zusätzlich zur europäischen Quote auch noch eine Vorschrift für einen französischen Mindestanteil am Programm.
Die Massnahme der damaligen EWG erwies sich als ausgesprochen erfolgreich. Heute gibt es in praktisch allen EU-Staaten wieder eine leistungsfähige Filmproduktion. Sie wird in der Regel getragen durch nationale Förderprogramme, durch Koproduktionen mit andern europäischen Produktionsfirmen, insbesondere aber auch durch die mit der Quotenregelung verbundene Garantie von Ausstrahlungsmöglichkeiten im Fernsehen. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen im übrigen Europa hat auch die Schweiz 2001 im Radio- und Fernsehgesetz eine solche Bestimmung verankert, allerdings ohne zahlenmässig fixierte Quoten. Zusätzlich verpflichtete das Gesetz jene Fernsehsender, die in ihren Programmen Filme zeigen, 4% ihrer Bruttoeinnahmen in die heimische Filmproduktion zu investieren.
Ausdehnung auf Abrufdienste
2007 hat die EU ihre Fernsehrichtlinie revidiert und zu einer «Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste» erweitert. Seither sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, auch bei audiovisuellen Plattformen dafür zu sorgen, dass diese «die Produktion europäischer Werke und den Zugang hierzu fördern.» In der deutschen Fassung der Richtlinie heisst es dazu weiter: «Diese Förderung könnte sich unter anderem auf den finanziellen Beitrag solcher Dienste an der Produktion europäischer Werke und am Erwerb von Rechten an europäischen Werken oder auf den Anteil und/oder die Herausstellung europäischer Werke in dem von diesem audiovisuellen Mediendienst auf Abruf angebotenen Programmkatalog beziehen.». Die Vorschrift ist seit Dezember 2011 verbindlich, aber noch nicht in allen Mitgliedsländern umgesetzt.
Die relativ offene Formulierung hat zur Folge, dass in den einzelnen Ländern der EU recht unterschiedliche Regelungen gelten. In Italien ist es eine Investitionspflicht von 20%, in Deutschland eine Abgabe von 2,5%, in Frankreich eine Kombination von beidem im Betrag von insgesamt 28%. Österreich gehört zu den Ländern, die noch keine definitive Regelung eingeführt haben. Immerhin besteht überall die Pflicht, dass wenigstens 30% des Angebots auf audiovisuellen Plattformen aus europäischen Werken bestehen muss.
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Die Schweiz hat bei dieser Entwicklung den Anschluss verpasst. Sie hat lange tatenlos zugesehen, wie ausländische Plattformbetreiber im Schweizer Markt aktiv waren, dort enorme Einnahmen erzielten und die Gewinne ohne jede Investition in lokale Produktionen und dazu noch steuerfrei ins Ausland verbrachten. Diesem parasitären Geschäftsgebaren will die Revision des Filmgesetzes ein Ende bereiten. Sie will erreichen, dass die Plattformen wenigstens einen minimalen Teil von 4% ihrer Bruttoeinnahmen in schweizerische Filmproduktionen reinvestieren. Und die neuen Bestimmungen sehen vor, dass die Pflicht, ein Mindestangebot an europäischen Werken bereit zu halten, auch für diese in der Schweiz tätigen ausländischen Plattformen gilt.
Für und Wider der Vorlage
Es erstaunt nicht, dass sich „Bern für den Film“ – die Plattform für das Berner Filmschaffen, die auch mit Journal B zusammenarbeitet – für diese Vorlage einsetzt. Sie ist überzeugt, dass die Revision des Filmgesetzes auch den Produktionsstandort Bern stärken würde. Davon würde nicht nur die lokale Filmindustrie profitieren, denn Dreharbeiten bringen auch der lokalen Wirtschaft, insbesondere dem Tourismus, der Hotellerie und Gastronomie sowie den lokalen Handwerksbetrieben Aufträge.
Offenbar bereitet die Neuerung den betroffenen Streaming-Plattformen keinerlei Kopfzerbrechen, denn sie wehren sich auch nicht gegen die vorgesehenen Auflagen. Da sie in der Schweiz weitgehend die gleichen Angebote bereithalten wie in den Nachbarländern, müssen sie die Verpflichtung zur Vielfalt ohnehin schon erfüllen. Und schon die blosse Diskussion darüber, dass es auch in der Schweiz eine Investitionspflicht geben soll, hat bei Netflix oder Disney+ dazu geführt, dass sie erste Schweizer Filme angekauft und ins Angebot aufgenommen haben. So war etwa der Spielfilm «Wolkenbruchs wundersame Reise in die Arme einer Schikse» bei Netflix zu sehen und wurde dort schon über 10 Millionen Mal abgerufen.
Opposition kommt hingegen vom Verband Telesuisse, in welchem TeleBärn und 12 weitere regionale Fernsehveranstalter organisiert sind. Das erstaunt schon eher, denn von ihnen ist kein einziger von der neuen Regelung betroffen. Diese Sender zeigen gar keine Filme und unterliegen daher auch keiner Investitionsverpflichtung. Trotzdem sprechen sie von einem «Filmverbot», von welchem sie betroffen seien. Dieses soll darin bestehen, dass sie vielleicht in Zukunft gerne Filme zeigen würden, dies aber nicht tun könnten, weil sie dann allenfalls von dieser Investitionspflicht betroffen wären, die für sie untragbar sei.
Diese doch recht komplizierte Begründung ist vor allem unter dem Aspekt interessant, dass sämtliche dieser 13 Regionalsender, also auch TeleBärn, vom Bund über Gebührenanteile aus der Medienabgabe subventioniert werden. Sie sind also gerne bereit, schweizerische Fördergelder zu kassieren, wollen diese aber ausschliesslich in audiovisuelle Produkte aus dem Ausland investieren. Das ist schon ein recht merkwürdiges Verständnis von regionalem Service public.
Weder Bevormundung und noch höhere Abopreise
Während der Unterschriftensammlung hatten die Gegnerinnen und Gegner vor allem mit der Behauptung für ihre Sache geworben, dass durch die Quotenregelung die Konsumentinnen und Konsumenten bevormundet würden. Ausserdem würden durch die Investitionspflicht die Abopreise für die betroffenen Plattformen steigen. Beides ist kaum stichhaltig.
Dass Konsumentinnen und Konsumenten durch ein vielfältigeres Angebot bevormundet werden könnten, ist paradox. Sie können ja nach wie vor genau die Filme schauen, die sie wollen, und weiterhin alle andern ignorieren. Einzig die Auswahl der Filme, unter denen sie wählen oder die sie ignorieren können, wird grösser. Wo also liegt die Bevormundung?
Auch die Behauptung von steigenden Preise ist falsch. Zum einen stösst sie sich an der Realität, denn die beiden Länder mit den höchsten Reinvestitionspflichten, Frankreich und Italien, haben bei Netflix und Disney+ deutlich tiefere Abonnementspreise als die Schweiz, die noch keine solche Pflicht kennt. Zum andern ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die Kostenstruktur einer Streaming-Plattform ändern sollte, weil sie einen Teil ihrer Einnahmen in der Schweiz statt wie bisher im Ausland reinvestieren muss. Eine Steigerung der Abopreise könnte so nicht begründet werden. Klar ist hingegen, dass sich höhere Einnahmen auch in höheren Reinvestitionen in der Schweiz niederschlagen würden, was genau dem Zweck der Gesetzesrevision entsprechen würde.
Alles spricht für ein Ja
Fazit: Ob mit einer Reinvestitionspflicht und einer Quotenregelung für das Angebot auf den audiovisuellen Plattformen die Vielfalt für das Heimkino wächst, wird sich weisen müssen. Sicher ist, dass damit wenigstens ein kleiner Teil der in der Schweiz generierten Einnahmen im Lande verbleibt. Ebenso sicher ist, dass das Angebot auf den Plattformen weiterhin von der grossen US-Filmindustrie dominiert sein wird.
Dass sich bei dieser Neuregelung auch für die Schweizer Filmproduktion neue Geschäftsmöglichkeiten ergeben, ist wahrscheinlich. Darum sollte ein solcher Versuch gemacht werden. Irgendwelche Risiken sind damit nicht verbunden. Wenn es solche Risiken gäbe, müssten die Gegnerinnen und Gegner nicht mit so hilflosen Argumenten hantieren.