«Vielen ist nicht bewusst, wie wichtig unsere Arbeit ist»

von Janine Schneider 20. Dezember 2024

Kulturmanagement Mit «Sweetchoice» tritt eine neue Agentur in die Berner Musikszene. Lou Loosli, Timo Friedli und Reni Kohler haben alle schon Erfahrung im Management von Künstler*innen gesammelt, mit «Sweetchoice» wollen sie neue Impulse setzen.

Lieblingslollipopgeschmack: Erdbeer und Kirsche. Eine Vorliebe für Leopardenmuster, Caps und funkelnde Diamanten auf den Zähnen. Für Trap-Beats, poetische Mundartlines, sphärischen Post-Punk. «Sweetchoice» heisst die neue Berner Musikagentur, Anfang November gegründet, die so unterschiedliche Künstler*innen wie das New Wave Duo Jochen K & Johnny W, den Pop-Hiphop-Chansonnier Pauli oder die Rapperin Soukey vertritt. Aber in diesem Text soll es für einmal nicht um die Künstler*innen auf der Bühne gehen, sondern um die Menschen dahinter. Die sich um alles kümmern, was den Erfolg der Musiker*innen mit ausmacht: Booking, Tourmanagement, Projekt- und Produktionsleitung, Fundraising, Social Media.

In der Szene gilt Vitamin B, was in anderen Berufen das EFZ ist.

Da ist Timo Friedli («Wir haben das nicht geplant. Die Puzzleteile haben sich einfach zusammengesetzt.»): Kultursozialisiert im Gaskessel, wo er erfahren hat, wie viel Arbeit hinter einem Konzert steckt, ist er vom eigenen Rap zum Musikmanagement gekommen, mittlerweile verantwortlich für das Booking des Dachstocks und des Zürcher Clubs EXIL.

Da ist Reni Kohler («Lou ist an der Tour de Lorraine zu mir gekommen: ‘Wir gründen eine Agentur! Ich nur so: was?!»): durch ihre Arbeit im Kapitel die Berner Klub- und Kulturszene kennengelernt, zwei Wochen vor dem Güsche kurzerhand zur Hatepop-Managerin avanciert, konsumiert sie, wie sie selbst schreibt, «Popkultur wie Luft» und arbeitet im queerfeministischen Musiklabel Forcefield Records.

Und da ist Lou Loosli («Es fühlte sich an, als müssten wir die Kinder in eine Schulklasse stecken»): die irgendwie jede und jeden in der Szene kennt, in ihrer Jugend in der Reitschule alles gelernt hat, was sie für ihren Job heute braucht, das No Borders No Nations Festival mitorganisiert und ebenfalls bei Forcefield Records waltet und schaltet.

Sie alle sind Kinder Berner Kulturinstitutionen – und zeigen wie stark der Gaskessel, die Reitschule und das Kapitel eben auch als Schulen wirken. «Du kannst in der Reitschule alles lernen, was du willst», befindet Lou Loosli, «Ich habe zum Beispiel von Booking bis Produktion alles kennengelernt.» Das ist umso wichtiger, da es keine Ausbildung zur Musikagentin gibt. Dorthin schafft es nur, wer seinen eigenen Weg geht und sich ein breites Netzwerk schafft. Denn in der Szene gilt Vitamin B, was in anderen Berufen das EFZ ist.

Ehrlichkeit und Respekt als Grundpfeiler

Mit ihrer eigenen Agentur verbinden sie nun, woran sie bisher allein für einzelne Künstler*innen gearbeitet haben – und können die einzelnen Aufgabenbereiche auch effizienter untereinander aufteilen. Ihr Ziel: «Künstler*innen sollen einfach nur Künstler*innen sein können.» In einer Branche, die kein Erbarmen kennt, die Erfolg über harte Arbeit definiert, und von knallhartem Konkurrenzkampf geprägt ist, will «Sweetchoice» neue Impulse setzen. «Wir möchten diese Strukturen so wenig wie möglich reproduzieren», erklärt Timo Friedli.

Intern heisst das: Ferien und Auszeiten sollen auch mal möglich sein, offene Kommunikation wird hochgehalten. Und auch in der Zusammenarbeit mit den Künstler*innen versuchen die drei Agent*innen aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen, um es besser zu machen. «Ich finde Ehrlichkeit sehr wichtig», so Timo Friedli, «Wenn mich zum Beispiel jemand anfragt, dessen Musik mir nicht gefällt, versuche ich das auf Augenhöhe bei einem Kaffee zu erklären – statt einfach das Mail zu ignorieren und die Person im Ungewissen zu lassen.» Das hätte er sich früher oft selbst gewünscht.

Die eigentliche Frage ist: Wie können wir als Agentur im Business mitmischen, und trotzdem anders funktionieren?

«Ich habe als Rapperin erlebt, dass es manchmal wie in einem schlechten Film ist: Du kommst zu einem Manager, der dir zwar überhaupt nicht entspricht, aber der einfach der grösste Fisch im Becken ist, und mit dem alle zusammenarbeiten wollen», erzählt Lou Loosli. Deshalb ist es ihnen wichtig, ihre eigene Position als Gatekeeper in die Musikwelt auch zu hinterfragen. «Die eigentliche Frage ist: Wie können wir als Agentur im Business mitmischen, und trotzdem anders funktionieren?» Sweetchoice möchte denn auch für die Künstler*innen mehr sein als eine blosse Agentur. Sie wollen sie auch emotional unterstützen, ihnen einen guten Boden unter den Füssen geben, damit sie von der Musikwelt mit allem ihrem Glitzer und Glamour und all den unbezahlten Stunden Arbeit nicht einfach verschluckt werden.

(Foto: David Fürst)

Verdienen tun die drei Berner*innen bislang praktisch kaum etwas mit ihrer Agentur. Die Künstler*innen zahlen ihnen keine Pauschale für ihre Arbeit, stattdessen erhalten sie bei Konzertauftritten eine Kommission. Ihr Lohn ist die eigene Freude an der Arbeit – und die Wertschätzung, die sie von Künstler*innen erhalten. Der Szene-Fame ist zwar gross – die gesellschaftliche Anerkennung aber eher gering. «Ich glaube, vielen Menschen ist nicht bewusst, wie wichtig unsere Arbeit eigentlich ist», sagt Lou Loosli, «Mir war es selber früher nicht klar. Ich habe die Musiker*innen an Konzerten betrachtet, als wären sie einfach auf die Bühne gefallen.»

Möglicherweise gehen wir in zehn Jahren ganz anders in den Ausgang als heute.

Dass viele der Berner Klubs und Konzertbühnen seit Corona unter finanziellen Schwierigkeiten leiden, geht auch ihnen von «Sweetchoice» nahe. «Jeder Ort, den ich mag, den ich im Ausgang gerne besucht habe, ist mittlerweile am struggeln», so Reni Kohler, «Eine ganze Generation, die wegen Corona einfach nie in den Ausgang gegangen ist…» Die Diskussion sei vielschichtig, sind sich die drei einig. Mehr Geld für Kulturbetriebe, die Kultur für die Mehrheit der Bevölkerung anbieten und neue Angebote, um junge Menschen zu erreichen, seien nötig. Gleichzeitig bringt die Bundesstadt immer wieder neue Künstler*innen hervor, die auch schweizweit Erfolg haben.

«Vielleicht ist es auch Symptom einer überreizten Gesellschaft und Kulturszene. Ich finde es fantastisch, was alles stattfindet und wie viele Möglichkeiten es heute gibt. Aber gleichzeitig sind sich viele Leute gar nicht mehr bewusst, was es überhaupt bedeutet, an ein Konzert gehen zu können», sagt Lou Loosli. Timo Friedli bleibt aber alles in allem optimistisch: «Möglicherweise gehen wir in zehn Jahren ganz anders in den Ausgang als heute. Kultur verändert sich. Aber es hat die letzten hundert Jahre funktioniert und wird auch noch die nächsten hundert Jahre funktionieren.»

Redaktionelle Mitarbeit: David Fürst