Alltag - Kolumne

Verlieren und Fussball

von Jovana Nikic 14. August 2025

Be(rn)trachtungen Unsere Kolumnistin fragt sich, worum es beim Gewinnen geht, gegen wen wir antreten, und ob wir etwas gewinnen können, auch wenn wir eigentlich verloren haben.

Als ich letzte Woche im strömenden Regen nach einem gelungenen Konzertabend am Gurtenfestival vor meiner Haustür stand und vergeblich versuchte, meinen Schlüssel in der viel zu grossen, mit Kaugummis aus dem Jahr 2007 vermüllten Handtasche zu finden, breitete sich ein unangenehmes Gefühl in mir aus: Ich hatte ihn wohl ein weiteres Mal verloren.

Kein Wunder – wenn ich etwas wirklich gut kann, dann ist es, Gegenstände zu verlegen oder zu verlieren. Wäre mein eigener Kopf nicht fest mit mir verbunden, ich bin überzeugt, ich hätte auch den schon längst irgendwo liegen gelassen.

Worin ich dagegen ziemlich schlecht bin, ist das Verlieren im Gruppensport. Obwohl ich schon lange nicht mehr aktiv in einer Riege oder einem Verein tätig bin, bringt mich kaum etwas so auf die Palme wie eine selbstverschuldete Niederlage bei einem Grümpelturnier.

Dabei stellt sich mir eine Frage: Was gewinnen wir eigentlich – und gegen wen treten wir wirklich an?

Irgendwie scheint dieser Drang zum Wettkampf tief in der menschlichen Natur zu liegen. Angefangen bei harmlosen Gesellschaftsspielen wie Jass, Uno oder dem direkt aus dem Höllenschlund gekrochenen «Mensch ärgere dich nicht», bei dem ich schon meine Nerven verliere, wenn ich nur daran denke, es spielen zu müssen. Und last but not least: Das Spiel des Lebens – ob auf dem Brett oder im echten Leben.

Dabei stellt sich mir eine Frage: Was gewinnen wir eigentlich – und gegen wen treten wir wirklich an? Sind es die Mitspielenden, die wir übertrumpfen wollen? Oder geht es vielmehr darum, uns uns selbst zu beweisen? Wollen wir, dass uns die anderen nach einem Sieg auf die Schulter klopfen – oder wollen wir es am Ende selbst tun können?

Auch im Fussball verlieren nicht nur elf Spielende auf dem Feld – wir alle fühlen mit: Der Blutdruck schiesst gemeinsam mit dem Pfostenschuss in die Höhe, unsere Hände schwitzen auf der Wankdorf-Tribüne genauso wie die Stirn der Spielenden. Und beim Foul fühlen wir uns selbst, auch hinter dem Bildschirm, getroffen.

Die Frauen-EM machte das einmal mehr deutlich: Schweiz gegen Finnland, Schweiz gegen Island, Schweiz gegen Spanien – wir gegen die anderen.

Gewonnen – wir alle zusammen

Und vielleicht ist genau dieses «Wir-Gefühl» der wahre Gewinn.

Seit ich denken kann, wurde dem Frauenfussball kaum öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt – von Anerkennung oder Respekt ganz zu schweigen.

Vielleicht liegt der eigentliche Gewinn darin, sich messen zu dürfen, genau wie es die männlichen Kollegen tun.

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

Nicht, weil das ein Privileg sein sollte – sondern weil sich dadurch ein neues, geschlechterunabhängiges Verständnis für den Sport entwickeln kann.

Auch wenn die Schweiz gegen Spanien und Spanien im Finale gegen England verloren hat – irgendwie haben sie doch gewonnen: Gegen veraltete Vorstellungen von Fussball, gegen Vorurteile und gesellschaftliche Normen in der Sportwelt.

Gewonnen – wir alle zusammen.
Nicht verloren.
Genau wie ich meinen Schlüssel – der die ganze Zeit in meiner Tasche war. Fussball war eben auch schon immer da – für alle.