Uri schickt seine Oberstufenklassen in die Reitschule

von Nicolas Eggen 19. Juni 2022

Seit einigen Monaten besuchen Schüler*innen aus dem Kanton Uri während eines Tages die Stadt Bern. Die «Reise ins politische Bern» soll zur politischen Bildung beitragen. Zum Programm gehören ein Besuch im Bundeshaus, ein Debattiermodul und eine Führung in der Reitschule.

An einem Mittwochmorgen treffen drei grosse Reisecars aus dem Kanton Uri auf der Schützenmatte ein. Sie sind vollgepackt mit Urner Schüler*innen, die ein dichtes Programm vor sich haben und sichtlich aufgeregt sind. Wie es halt so ist auf Schulreisen. Machen wir aber zuerst einen Schritt zurück, um die Frage zu klären: Wie kam es dazu, dass Schüler*innen aus Uri die Reitschule besuchen?

Der Anstoss für die «Reise ins politische Bern» kam vom Kanton Uri. Ein Vorstoss aus dem Kantonsparlament Uri hatte zum Entscheid des Erziehungsrats geführt, dass alle Oberstufenschüler*innen des Kantons Uri die Möglichkeit haben sollen, nach Bern zu kommen und die politischen Strukturen der Schweiz kennenzulernen. Die Reise wird vom Kanton Uri finanziert. Ueli Zberg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Uri, erklärt die Idee dahinter: «Wir wollten den Schüler*innen mehr bieten als bloss den Besuch im Bundeshaus. Schon zu meiner Schulzeit gehörte der Besuch im Bundeshaus zur Exkursion nach Bern und wir wollten ein reichhaltigeres Programm bieten».

Politik und Demokratie finden nicht nur im Parlament statt, sondern auch an anderen Orten, zum Beispiel in der Reitschule.

Durch eigene Recherche stiess Ueli Zberg auf das Polit-Forum Bern, das schon länger Programme zur politischen Bildung für Schulklassen individuell zusammenstellt. In Zusammenarbeit mit Luc Oggier vom Polit-Forum Bern entstand die Idee, den Demokratiebegriff weiter zu fassen und nicht nur die traditionellen politischen Strukturen zu zeigen, sondern auch andere Orte, wo Demokratie passiert und gelebt wird zu präsentieren und somit auch «andere Facetten der Demokratie aufzeigen», wie es Ueli Zberg formuliert.

Die Reitschule mit ihrer basisdemokratischen Organisationsstruktur habe sich deshalb gut als Alternative angeboten. «Es ist auch ein guter Kontrast zum Besuch im Bundeshaus», meint Ueli Zberg. Diese Meinung teilt auch Rebekka Flotron, vom Polit-Forum Bern: «Der Besuch in der Reitschule soll als spannende Ergänzung zum Bundeshaus dienen. Wir wollten den Schüler*innen zeigen: Politik und Demokratie finden nicht nur im Parlament statt, sondern auch an anderen Orten, zum Beispiel in der Reitschule.»

Basisdemokratische Organisation

Nun aber zurück zur Führung in der Reitschule. Teil der Führung sind das Kino, der Frauenraum und der Dachstock. Daneben gibt es auch noch weitere Räume wie die Grosse Halle, das Rössli, das Restaurant Sous le Pont, die Cafete, das Tojo Theater, eine Holzwerkstatt, eine Druckerei, ein Infoladen und auch eine Wohngemeinschaft. Ziemlich schnell sind die Schüler*innen in der Materie, es ist die Rede von Selbstverwaltung, flachen Hierarchien, verschiedenen Kollektiven und Basisdemokratie.

Anfangs gab es vonseiten der Lehrer*innnen auch Bedenken. Diese konnten allerdings zerstreut werden (Foto: Nicolas Eggen).

Jeder Raum besteht aus einem Kollektiv, das sich selber organisiert und basisdemokratisch entscheidet. Das heisst die Entscheide werden nicht nach dem Mehrheitsprinzip gefällt, sondern sie müssen einstimmig angenommen werden, also konsensbasiert. Konkret bedeutet das, dass alle damit einverstanden sein müssen. Zudem gibt es eine Koordinationsgruppe, ein Gremium bestehend aus Delegierten aus allen Kollektiven, die sich wöchentlich zusammenfindet um Alltagsfragen auch finanzieller Art zu klären.

Auch der positive Entscheid für die Führungen Urner Schüler*innen war Teil eines längeren basisdemokratischen Prozesses.

Es kann auch eine Vollversammlung einberufen werden, da sind alle Personen aus allen Kollektiven dabei. Diese Vollversammlung findet in unregelmässigen Abständen statt und dort geht es meist um grundsätzliche Fragen, welche die Reitschule als Ganzes betreffen. Dies kann zum Teil ein langer Prozess sein, welcher einiges an Organisation und Geduld verlangt, erzählen die Reitschüler*innen in der Führung für die Urner Jugendlichen. So war auch der positive Entscheid über die Durchführung der Führungen ein längerer basisdemokratischer Prozess.

Spezielles Erlebnis

Es habe im Vorfeld einige Bedenken gegeben, so Ueli Zberg. «Ein Lehrer fand das am Anfang gar keine gute Idee. Ich ging dann mit ihm und seiner Klasse in die Reitschule und am Ende des Tages waren wir überzeugt vom Bildungswert der Führung», erzählt Ueli Zberg. «Die Reitschüler*innen machten das super und sie wollen auch nicht eine Ideologie übermitteln oder so. Durch die Führung konnten die Vorurteile des Lehrers revidiert werden», erzählt Ueli Zberg.

Für die Schüler*innen ist es schon nur speziell, so einen alternativen Ort wie die Reitschule zu sehen.

«Die Frage ist halt, ob die Schüler*innen dieses Konzept der Basisdemokratie überhaupt verarbeiten können», fragt sich Ueli Zberg selbstkritisch. Einige zum Teil auch kritische Nachfragen von Schüler*innen bei der Führung in der Reitschule lassen aber vermuten, dass sie sich durchaus für das Thema interessieren und ein gewisser Denkanstoss bei ihnen stattgefunden hat. «Für die Schüler*innen ist es schon nur speziell, so einen alternativen Ort wie die Reitschule zu sehen, mit all den Graffitis und so weiter. Das ist ein spezielles Erlebnis – so etwas gibt es im Kanton Uri nicht», meint Ueli Zberg.

Wie es mit der «Reise ins politische Bern» weiter geht, ist noch unklar. Ueli Zberg wird sich aber sicher dafür einsetzen, dass auch in Zukunft weiteren Schüler*innen aus Uri ein solches Erlebnis geboten werden kann.