Urbanes Quartier statt Hüsli-Pest in der Agglo

von Franziska Grossenbacher 7. März 2016

Am 5. Juni entscheidet die Berner Stimmbevölkerung über die Einzonung des Mittel- und des Viererfeldes. Mit einem Beitrag von GB-Stadträtin Franziska Grossenbacher starten wir auf Journal B die Diskussion zum Thema.

Wo heute elf Hektaren Ackerfläche bewirtschaftet werden, soll ein urbanes Quartier für rund 3000 Menschen entstehen. Wie die Debatte vom letzten Donnerstag, 3. März 2016, im Stadtrat zeigt, anerkennen alle Akteure von links bis rechts die grosse Wohnungsnot in Bern. Der strittige Punkt ist, wo und wie die Stadt neuen Wohnraum realisieren soll.

Abgesehen von möglichen Stadterweiterungen im Westen und Osten sind das Vierer- und Mittelfeld die letzten Freiflächen, die noch überbaut werden können. Bauen auf der grünen Wiese hat einen hohen Preis. Darum stellen der Gemeinde- und Stadtrat an den neuen Stadtteil hohe soziale und ökologische Bedingungen:

• Bern zeigt Mut zum dicht bauen: Es soll ein neuer Stadtteil in gleicher Dichte entstehen wie das bestehende Länggassquartier.

• Die Überbauung orientiert sich an den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft. Ressourcenschonung und Klimaschutz stehen also an oberster Stelle.

• Mindestens 50 Prozent der Wohnfläche ist für gemeinnützige Wohnbauträger reserviert. Diese wenden das Prinzip der Kostenmieten an und sorgen langfristig für bezahlbaren Wohnraum.

• Es werden keine unnötigen Parkplätze erstellt. Auf dem Mittelfeld gibt es für jede dritte, auf dem Viererfeld für jede zweite Wohnung einen Parkplatz. Im Gegenzug wird pro Zimmer ein Veloabstellplatz erstellt.

• Dank der vorgesehenen Nutzungsmischung werden die 3000 neuen Bewohnerinnen und Bewohner die Einrichtungen für den täglichen Bedarf in unmittelbarer Nähe finden. Neben Wohnungen sind Schulen, Läden, attraktive Plätze und Grünräume, Restaurants und Bars vorgesehen.

Die Überbauung des Vierer- und Mittelfeldes ist ganz im Sinne des neuen eidgenössischen Raumplanungsgesetzes. Dieses will die Siedlungsentwicklung erstens an die richtigen Orte lenken, also an gut mit ÖV erschlossene Lagen. Und zweitens muss mit dem Land sparsam umgegangen, also dicht gebaut werden. Auf den Punkt gebracht fordert das neue Raumplanungsgesetz dichte urbane Quartiere statt Hüsli-Pest in der Agglomeration. Die Gemeinde Stettlen hat rund 3000 Einwohnende und 600 Arbeitsplätze, ist also absolut vergleichbar mit der Überbauung von Mittel- und Viererfeld. Aber die Gemeinde Stettlen braucht für die gleiche Anzahl Menschen und Arbeitsplätze sieben Mal mehr Fläche!

Rot-grüne Erziehungsvorlage?

Die reduzierte Anzahl Parkplätze und die 50% gemeinnützige Wohnbauträger sind den bürgerlichen Parteien ein Dorn im Auge. SVP, FDP, BDP und CVP haben im Stadtrat deshalb die Zonenpläne als «rot-grüne Erziehungsvorlage» abgelehnt. Der Blick über den Berner Gartenzaun zeigt aber: Die Forderungen sind keineswegs übertrieben und die Investoren durchaus bereit, so zu bauen.

Die Stadt Zürich hat das Ziel in der Gemeindeordnung festgeschrieben, bis 2050 ein Drittel aller Mietwohnungen durch gemeinnützige Wohnbauträger zu vermieten. Will Zürich dieses Ziel erreichen, müssen in Zukunft bei Neubauten alle Wohnungen durch gemeinnützige Wohnbauträger erstellt werden. Wäre das Viererfeld also in Zürich, würde die Strategie lauten: 100% gemeinnütziger Wohnungsbau!

Im städtischen Umfeld zeichnet sich ein Trend zum autoarmen Wohnen ab. In allen grösseren Schweizer Städten sind autofreie oder autoarme Siedlungen in Planung oder bereits realisiert. Auch in der Stadt Bern hat bereits jeder zweite Haushalt kein Auto – in der Länggasse sind es sogar 63%. Weshalb sollen also in einer neuen Siedlung viele Parkplätze gebaut und damit die Mieten in die Höhe getrieben werden, wenn es gar keine Nachfrage danach gibt? Schliesslich kostet die Erstellung eines Parkplatzes rund 40’000 Franken.

Vermeintlich ökologische Argumente

Neben den bürgerlichen Parteien, die sich an den sozialen und ökologischen Eckpfeilern der geplanten Siedlung stören, kämpfen auch die Bewahrer der grünen Wiese gegen die Vorlage. Sie preisen den hohen ökologischen Wert des Vierer- und Mittelfeldes an, der mit der neuen Siedlung zerstört würde. Aber sowohl auf dem Vierer- wie auch auf dem Mittelfeld sollen je nur die Hälfte der Freiflächen überbaut werden. Daneben entsteht ein attraktiver Stadtteilpark. Dieser hat für die Bernerinnen und Berner einen weit grösseren Erholungswert als die heute unzugänglichen Äcker. Die Familiengärten und der Fussballplatz bleiben bestehen und werden in den Park integriert.

Die Gegner der Überbauung schlagen als Alternativen Siedlungen auf der Autobahn und auf Industriebrachen wie Ausserholligen vor. Wohnraum auf der Autobahn wäre unbezahlbar. Die Entwicklung von Industriebrachen ist keine Alternative, sondern eine Ergänzung. Auf diesen Arealen sind aber die Eigentümerverhältnisse sehr komplex und es laufen noch Baurechte. Der dringend benötigte Wohnraum lässt sich darauf nicht rasch realisieren. Schliesslich handelt es sich in den Augen der Gegner bei der Überbauung des Viererfeldes nicht um Verdichten. Wer so argumentiert, nimmt eine Froschperspektive ein: Durch den neuen Stadtteil wird das Berner Siedlungsgebiet gegen die Engehalbinsel geschlossen.

Bern stimmt am 5. Juni nicht über eine rot-grüne Zwängerei ab, sondern über die Schaffung eines zukunftsweisenden neuen Stadtteils. Die Einzonung des Viererfeldes ist eine einmalige Chance, die Wohnungsnot in Bern zu lindern und Wohnraum für 3000 Menschen zu schaffen.