Urbanes Quartier statt banale Siedlung

von Franziska Grossenbacher 10. September 2015

Viererfeld, Gaswerkareal, Weyermannshaus Ost und West – in Bern stehen spannende Stadtentwicklungsprojekte an. Ein Dutzend Mitglieder des Grünen Bündnis reiste deshalb zur Inspiration nach Zürich.

Die Limmatstadt ist Bern bei der Förderung von gemeinnützigen Wohnbauträgern meilenweit voraus. Auf dem Hunziker-Areal in Zürich Nord wurde im Herbst 2014 ein neuer, ökologisch und sozial wegweisender Stadtteil bezogen. Eine Inspiration für Bern, obwohl die Ausgangslagen für Bern und Zürich unterschiedlich sind: Aufgrund der rasanten Entwicklung in den letzten 15 Jahren hat Zürich im Gegensatz zu Bern kaum mehr grüne Wiesen und Industriebrachen zum Überbauen und Entwickeln. Die einzige Möglichkeit, mehr Wohnraum zu schaffen, liegt im Verdichten bestehender Wohngebiete – eine anspruchsvolle Aufgabe.

In der Stadt Zürich soll zudem bis 2050 ein Drittel der Mietwohnungen durch gemeinnützige Wohnbauträger zur Kostenmiete vermietet werden – heute ist es ein Viertel. Dieses Ziel ist in der Gemeindeordnung verankert. Folglich müssen bei Neubauten sämtliche Wohnungen durch gemeinnützige Wohnbauträger erstellt werden – anders ist dieses Ziel gar nicht erreichbar.

Dafür wird die Stadt Zürich gemäss dem «Programm Wohnen» des Stadtrates weiterhin Land und Liegenschaften für den kommunalen Wohnungsbau oder die Abgabe an andere gemeinnützige Wohnbauträger erwerben. Zudem will sie im Rahmen von Gebietsplanungen privater Investoren und Verdichtungen im überbauten Gebiet Anreize schaffen, damit ein angemessener Anteil gemeinnütziger und preisgünstiger Wohnungen realisiert wird.

Keine banale Wohnsiedlung

Ein Vorzeigebeispiel, wie der gemeinnützige Wohnungsbau gefördert werden kann, ist das Hunziker-Areal in Zürich Leutschenbach. Im Herbst 2014 wurden dort die ersten Wohnungen bezogen. In der genossenschaftlichen Siedlung leben und arbeiten 1400 Menschen verschiedener Generationen. Bauträgerin ist die Meta-Genossenschaft «mehr als wohnen», ein Zusammenschluss von rund 60 Zürcher Wohnbaugenossenschaften.

Vor zehn Jahren bot die Stadt Zürich das Hunziker-Areal den Wohnbaugenossenschaften zur Abgabe im Baurecht an, aber keine interessierte sich dafür. Das Areal war den einzelnen Genossenschaften zu gross, die Umgebung nicht hip und zusätzlich dem Fluglärm ausgesetzt. Das letzte grosse Entwicklungsgebiet im Norden von Zürich stand im Schatten der regen Bautätigkeit in Zürich West und Neu Oerlikon.

In Schwung kam die Entwicklung des Hunziker-Areals dank dem 100-jährigen Jubiläum der Baugenossenschaften von Zürich. Im Jubiläumsjahr 2007 wollte man nach 100 Jahren wieder einmal ein grosses und pionierhaftes Projekt zu realisieren. So kam es zur Gründung der Wohnbaugenossenschaft «mehr als wohnen». Das sozial, ökologisch und ökonomisch wegweisende Projekt auf dem Hunziker-Areal nahm seinen Anfang.

Treppenhäuser als Begegnungsorte

«Wir bauen keine Siedlung, sondern ein urbanes Quartier»: Dieses Motto lag der Entwicklung des Hunziker-Areals zu Grunde. Entstanden ist ein neuer, urbaner Stadtteil mit hohen Gebäuden, engen Gassen und belebten Plätzen. Die Überbauung diente als Innovationslabor für gemeinnützigen Wohnungsbau. Einerseits wurden viele neue bauliche Techniken ausprobiert. Andererseits hatte die Genossenschaft im Planungsprozess einen hohen Öffentlichkeitsanspruch und setzte sich intensiv mit der gesellschaftlichen Dimension der Stadtentwicklung auseinander.

Das Hunziker-Areal ist ein ökologisch wegweisender neuer Stadtteil mit günstigen Wohnungen, einem gelungenen Mix von Wohnen und Arbeiten, einer bunten Bewohnerschaft und zahlreichen Innovationen.

• Günstige Wohnungen: Die Miete für eine 100 m2 grosse 4-Zimmerwohnung beträgt 1900 Franken.

• Gelungener Mix von Wohnen und Arbeiten: Die Erdgeschossnutzungen sind öffentlich und/oder gewerblich und reichen von einer Bäckerei über Restaurants bis zu Musikstudios.

• Bunte Bewohnerschaft: Der Schwerpunkt liegt bei Familienwohnungen. Für Flexibilität sorgen die vielen zumietbaren Räume. Der Ausländeranteil beträgt 40 Prozent. Im neuen Quartier sind soziale Institutionen für Behinderte sowie Kinder und Jugendliche angesiedelt.

• Ökologisch wegweisend: Das neue Quartier wurde nach Minergie-P-Eco-Standard gebaut und orientiert sich an den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft. Die Häuser werden mit Abwärme des Rechenzentrums der Stadt Zürich geheizt. Die Wohnungsgrössen sind moderat, der Ausbaustandard der Wohnungen ressourcenschonend. Zusammen mit dem Bundesamt für Energie wird der Energieverbrauch im Betrieb bilanziert. Für die 1300 BewohnerInnen stehen nur gerade 100 Parkplätze zur Verfügung, dafür gibt es einen E-Bike-Verleih. Angeboten werden zudem Gemüse-Abos sowie eine gemeinsame Tiefkühlanlage.

• Hotel: Im quartiereigenen Hotel profitieren die SiedlungsbewohnerInnen von günstigen Preisen. Die Hotelzimmer dienen damit auch als Gästezimmer. Die Hotelréception ist der Service-Desk für das ganze Quartier und täglich von 8 bis 20 Uhr geöffnet.

• Cluster-Wohnblock: Zürich hat eine grosse WG-Tradition. Im Hunziker-Areal wurde ein Bau für neue WG-Konzepte reserviert. Der Cluster-Wohnblock verfügt über 11 Grosswohnungen: Private Einheiten (Zimmer mit WC/ Dusche und Kochnische) teilen sich kollektive Bereiche. Jede Wohnung ist ein Verein, der die Wohnung bei der Genossenschaft mietet.

Auch auf dem Vierer- und Mittelfeld

Was bedeuten diese Zürcher Erfahrungen für Bern? Zum Beispiel: Bei der letzten grossen Stadtentwicklung in Brünnen hat die Stadt Bern eine grosse Chance verpasst und eine Siedlung gebaut, statt ein urbanes Quartier. Der gleiche Fehler darf sich nicht auf dem Vierer- und Mittelfeld wiederholen. Inspirieren wir uns am Pioniergeist der Genossenschaft «mehr als wohnen» und realisieren wir ein städtisches Quartier mit hohen Gebäuden, einer dichten Bebauung und einladenden Plätzen.

Auf keinen Fall darf sich die Stadtplanung darauf beschränken, Baufelder zu definieren und anschliessend den Investoren freie Hand zu lassen. Das neue Quartier braucht ein Nutzungskonzept und klare städtebauliche Regeln, die in einem breit abgestützten Prozess erarbeitet werden.