Dreissig Personen fanden sich an dem sommerwarmen Nachmittag in der Stube im Progr ein, um dem dritten Stadtforum beizuwohnen. Die Gruppierung «Wir alle sind Bern» hatte dazu eingeladen, gemeinsam den Möglichkeiten und Realitäten der Forderung von Recht auf Stadt nachzugehen. Dieses Recht basiert auf dem Konzept von Urban Citizenship, wonach nicht Herkunft, sondern der Lebensmittelpunkt, die Stadt, im Zentrum der gesellschaftlichen Entwicklung stehen sollte.
Kampf um Zentralität
Der Soziologe und Stadtaktivist Jacob Geuder aus Basel umriss zu Beginn in einem kurzen Input die Grundgedanken, die hinter dem Begriff «Recht auf Stadt» stehen. Dieser sei sowohl Konzept, Slogan als auch Utopie und wurde 1968 durch den Franzosen Henri Lefebvre geprägt.
Es gehe dabei um den Kampf an der Beteiligung am schöpferischen Überschuss der Städte und um den Kampf um Zentralität. Schlussendlich lasse sich auch jeder Gentrifizierungskonflikt auf die Frage herunterbrechen: Wer besitzt ein Recht auf Stadt? Als radikales Recht angedacht, richte es sich auch gegen bestehende Eigentumsverhältnisse und kapitalistische Strukturen: «Es ist wichtig, jene zu delegitimieren, die den Verkauf der Stadt vorantreiben. Wir müssen die Ansicht in Frage stellen, dass Wohnen eine Ware ist.»
City Card für Bern?
Aus dem losen Netzwerk von «Wir alle sind Bern» entwickelten sich in letzter Zeit eine Vielzahl an Projekten und Ansätzen, die sich auf unterschiedliche Arten mit Recht auf Stadt, gleichberechtigter Teilhabe und dem Leben in einer postmigrantischen Gesellschaft beschäftigen.
Auf grosse Aufmerksamkeit stiess im letzten halben Jahr die Forderung nach einer City Card für alle Bewohnenden der Stadt Bern. Eine solche kann, unabhängig von Aufenthaltsstatus oder Nationalität, allen in Bern wohnhaften Personen als Ausweis dienen und somit auch Sans-Papiers erlauben, sich gegenüber anderen offiziell zu identifizieren. Vorbild dafür ist etwa die City Card in New York, wo diese Idee schon umgesetzt wird. In Bern erweist sich die Umsetzung, wie beispielsweise auch in Zürich, noch als deutlich schwieriger: Es gibt rechtliche und politische Hürden.
Karin Jenni von der Beratungsstelle für Sans-Papiers gab sich am Stadtforum aber zuversichtlich: «Wir erhalten laufend neue Inputs von Personen aus der Beratungsstelle und sind im Gespräch mit Mitgliedern des Parlaments, der Einwohnerkontrolle und dem Kompetenzzentrum Integration der Stadt Bern.» Ausserdem sei es erfreulich, dass die Idee auch in der medialen Öffentlichkeit derart breit und positiv aufgenommen werde.
Recht auf Stadt: Ein aktiver Prozess
Im zweiten Teil des Stadtforums beschäftigten sich die Teilnehmenden mit drei konkreteren Umsetzungen des Rechts auf Stadt. Eine Gruppe diskutierte mit Mitgliedern der Organisation «In-Limbo» über Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, der Workshop Wohnen mit Vertretern der Wohnbaugenossenschaft Warmbächli und der Organisation «wegeleben» beschäftigte sich mit der Teilhabe an urbanem Wohnraum. Der dritte Workshop erarbeitete erste Ansätze für einen Stadtrundgang zu Orten politischer Partizipation.
Eindrucksvoll entfaltete sich in diesen Gesprächen die Vielfalt an Thematiken und Problemfeldern, die sich in modernem Stadtumfeld eröffnen und die einer kritischen Auseinandersetzung bedürfen, wenn das Recht auf Stadt in Zukunft zu einem aktiven gelebten Prozess werden soll, der nicht einfach von gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen vordiktiert wird.
Das nächste öffentliche Stadtforum in drei Monaten wird versuchen, einen weiteren Schritt in Richtung dieser gleichberechtigten Teilhabe zu machen.